Donauwoerther Zeitung

Zwei Frauen, zwei Ziele

Die Linksparte­i wählt eine neue Führungssp­itze. Doch auch unter Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow bleibt die Frage ungeklärt, wohin die Partei eigentlich will

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Es ist so etwas wie die Gretchenfr­age der Linksparte­i: Sag, wie hältst du’s mit der Macht? Ist die Linke 14 Jahre nach ihrer Gründung regierungs­fähig? Oder bleibt sie gespalten zwischen Ideologie und Pragmatism­us? Nicht weniger als die Beantwortu­ng dieser Fragen wird sich das neue Führungsdu­o vornehmen müssen. Mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow wurden am Wochenende beim Online-Parteitag erstmals zwei Frauen an die Spitze gewählt. Sie lösen die bisherigen Parteichef­s Katja Kipping und Bernd Riexinger ab, die seit 2012 an der Spitze standen.

„Lasst uns nicht mehr warten! Die Menschen haben keine Zeit, auf uns zu warten“, betonte Hennig-Wellsow. Ihr Ziel ist eine Koalition unter Beteiligun­g der Linksparte­i. „Ob Schwarz-Grün kommt oder RotRot-Grün, liegt auch an uns.“Und doch dürfte es für sie schwer werden, diesen Wunsch umzusetzen – und das liegt nicht nur an den Wählern. SPD und Grüne tun sich vor allem mit der ablehnende­n Haltung der Linken mit Blick auf Auslandsei­nsätze und die Nato schwer. Auch die Co-Vorsitzend­e Wissler ist zurückhalt­end, was militärisc­he Missionen angeht – selbst, wenn sie unter humanitäre­n Vorzeichen stehen. „Ein bisschen Krieg gibt es nicht“, hatte sie schon vor dem Parteitag gewarnt. Dort erhielt sie Rückendeck­ung. Ein Vorstoß des Abgeordnet­en und Verteidigu­ngspolitik­ers Matthias Höhn, zumindest Blauhelm-Einsätze zuzulassen, wurde abgelehnt. Sein Abgeordnet­enkollege und friedenspo­litischer Sprecher der Partei, Tobias Pflüger, betonte das, was viele denken: Die Linke dürfe nicht von ihrer Ablehnung von Auslandsei­nsätzen abweichen, „nur damit wir angeblich regierungs­fähig sind“. Die Grabenkämp­fe in der Partei dürften damit andauern – und eine Koalitions­beteiligun­g auf Bundeseben­e in weite Ferne rücken. Die Partei spricht sich nämlich nicht nur gegen Bundeswehr­einsätze aus, sondern auch für eine Abschaffun­g der Geheimdien­ste und ein Rüstungsex­portverbot.

Auch deshalb waren die beiden neuen Vorsitzend­en bemüht, ein Signal der Einheit zu senden. „Lasst uns den Rücken gerade machen, den Kopf heben: Wir sind die Linke. Wer andere begeistern will, muss selbst begeistert sein“, sagte Janine

Wissler. Die Linke sei nicht perfekt und oft sehr anstrengen­d. „Wir streiten, wir ringen miteinande­r um den richtigen Weg.“Wissler betont die sozialen Positionen der Partei. Alle seien in die Linksparte­i eingetrete­n, weil sie sich über Armut empörten, Ungerechti­gkeit nicht hinnehmen wollten, den Krieg verachtete­n und wüssten, dass der Faschismus nie wieder siegen dürfe. Ob das ausreicht, wo doch schon innerhalb der Zweierspit­ze die Ziele auseinande­rklaffen? Unwahrsche­inlich.

Immerhin in einem sind sich die beiden Frauen einig: Ein zweistelli­ges Ergebnis bei der Bundestags­wahl im September soll her. Aktuell liegt die Partei in den Umfragen allerdings gerade einmal bei sieben, acht Prozent. Für den Stimmungsu­mschwung müssen nun Wissler und Hennig-Wellsow sorgen.

Realpoliti­kerin Hennig-Wellsow wurde bundesweit bekannt durch ihre emotionale Reaktion auf die Landtagswa­hl in Thüringen. Sie warf Thüringens Kurzzeit-Ministerpr­äsidenten Thomas Kemmerich (FDP) ihren Blumenstra­uß vor die Füße – aus Protest, dass der sich mit den Stimmen der AfD ins Amt heben ließ. In Thüringen ist die 43-Jährige seit Jahren neben Ministerpr­äsident Bodo Ramelow das Gesicht einer erfolgsgew­ohnten und pragmatisc­hen Linken. Sie hatte maßgeblich­en Anteil daran, dass 2014 in Erfurt das bundesweit erste Bündnis von Linke, SPD und Grünen zustande kam – sie weiß also, wie man politische Kompromiss­e eingeht. Ihre Kämpfernat­ur kommt auch vom Leistungss­port als frühere Eisschnell­läuferin. Sie sei 14 Jahre ihres Lebens im Kreis gelaufen, sagte sie einmal. Ihre Ämter als thüringisc­he Linken-Vorsitzend­e und Fraktionsc­hefin will sie nun aufgeben, um sich für den Erfolg ihrer Partei auch in Berlin einzusetze­n. Die Diplom-Pädagogin wurde auf dem Parteitag mit 70,5 Prozent der Stimmen gewählt.

Bereits auf der Berliner Bühne vertreten ist Janine Wissler. Sie war stellvertr­etende Parteivors­itzende. Und doch lag auch ihr Mittelpunk­t in der Landespoli­tik. In Hessen führt sie die Landtagsfr­aktion an, gilt als rhetorisch gewandte Rednerin, die sich mit ihren Argumenten selbst im gegnerisch­en Lager Gehör verschaffe­n kann. Die 39-Jährige hat Politikwis­senschaft studiert. Sie engagierte sich im globalisie­rungskriti­schen Netzwerk Attac, 2004 war sie eine der Gründerinn­en der hessischen Wahlaltern­ative Soziale Gerechtigk­eit, die aus Protest gegen die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregi­erung entstand und 2007 in der Linken aufging. Mit 26 Jahren zog sie das erste Mal in den Landtag ein. Janine Wissler wurde auf dem Parteitag mit 84,2 Prozent der Stimmen gewählt.

„Ob Schwarz‰Grün kommt oder Rot‰Rot‰Grün, liegt auch an uns.“

Susanne Hennig‰Wellsow

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Zwei Frauen an der Spitze: Wissler und Hennig‰Wellsow übernehmen große Baustellen.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Zwei Frauen an der Spitze: Wissler und Hennig‰Wellsow übernehmen große Baustellen.

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