„Ich war früh DMarkMillionär“
Roland Berger ist der bekannteste deutsche Unternehmensberater. Der 83-Jährige erzählt, wie er mit einer Wäscherei sowie einem Spirituosengeschäft seine erste Million verdient hat und warum er nicht Wirtschaftsminister wurde
Herr Berger, Sie haben Ihre erste Million während des Studiums verdient. Wie stellt man das an?
Roland Berger: Ich habe stets hart gearbeitet, ob als Möbelpacker oder Akkordarbeiter bei Siemens.
Doch damit kann man vielleicht eine Studentenbude finanzieren, wird aber nicht Millionär.
Berger: Deshalb bin ich als Student selbst Unternehmer geworden. Ich wollte wissen, ob sich die betriebswirtschaftlichen Vorlesungen auch praktisch anwenden lassen. Und ich wollte schlicht Geld verdienen. Die Uni fiel mir leicht. Ich hatte also Zeit fürs Unternehmertum. So entdeckte ich eine Marktlücke: Ende der 50er Jahre ging es einigen schon wieder so gut, dass sie in der Lage waren, ihre Wäsche außer Haus zu geben. Sie hatten aber noch nicht genügend Geld, sich eine Waschmaschine zu kaufen. Also habe ich eine Wäscherei in München aufgemacht.
Wie sind Sie an das Startkapital gekommen?
Berger: Meine Mutter, damals Geschäftsführerin bei einem Münchner Möbelhändler, war so vertrauensvoll, für einen Kredit über 35000 D-Mark zu bürgen. Mit dem Geld habe ich Maschinen gekauft und die Wäscherei eingerichtet. Auch investierte ich eigene gesparte 5000 D-Mark. Wenn ich pleitegegangen wäre, wäre auch meine Familie pleite gewesen. Denn ich war noch nicht volljährig und die Wäscherei lief auf den Namen meiner Mutter.
Als Student waren Sie auch im Alkohol-Business tätig.
Berger: Ich habe einen SpirituosenDiscounter gegründet.
Eine Art Aldi für Whisky und Gin?
Berger: Das Nachfragepotenzial für internationale Luxusspirituosen wie Cognac, Whisky, Wodka und Champagner war riesig. Aber diese Getränke waren 70 bis 100 Prozent teurer als die schon hochpreisigen deutschen, die der Preisbindung unterlagen. Die große Geschäftschance bestand nun darin, Importgetränke in preislicher Nähe zu deutschen Spirituosen zu verkaufen.
Wie lief das hochprozentige Geschäft?
Berger: Sehr gut. Die Nachfrage in den vier Monaten, in denen ich das Geschäft betrieben habe, war hoch. Da kamen Kunden aus BadenWürttemberg in einem 600er-Mercedes zu uns. Solche Kunden kauften kistenweise Whisky und Champagner. Der billigste Whisky kostete im Handel um die 25 D-Mark. Wir haben ihn für 17,99 D-Mark verkauft.
Warum sind Sie dann nicht Chef eines Getränkemarkt-Konzerns oder einer Wäscherei-Kette, sondern Unternehmensberater geworden?
Berger: Ich wollte nicht im Wäschereiund Spirituosen-Business bleiben. Das war mir intellektuell zu anspruchslos. Eine Kundin meiner Wäscherei hat mir damals dabei geholfen, Unternehmensberater zu werden. Der Dame, einer 74-jährigen Baronin, habe ich die saubere Wäsche geliefert. Sie fragte mich, was ich einmal werden wolle – na, jedenfalls kein Wäscherei-Millionär. Ich erzählte der Dame, dass ich mich im Studium mit der Ausgliederung betrieblicher Funktionen an Dritte beschäftigt und dabei vom Beruf des Unternehmensberaters gehört hatte. Die Baronin wusste, dass ich Italienisch sprach und erzählte mir, dass ihr Sohn bei einer Unternehmensberatung in Mailand arbeitete. Sie stellte den Kontakt her. Ich habe mich dann dort beworben und wurde genommen.
Was haben Sie dann mit Ihrer Wäscherei und dem Spirituosen-Discounter gemacht?
Berger: Ich habe beide Geschäfte verkauft. Für die Wäscherei bekam ich 600000 D-Mark, für den Spirituosen-Discounter einige hunderttausend D-Mark. Ich war also früh D-Mark-Millionär.
So läuft’s Business, würde Franz Beckenbauer sagen. Waren Ihre Eltern stolz auf Sie?
Berger: Meine Eltern waren damals schon geschieden. Meine Mutter war sehr stolz auf mich, mein Vater etwas weniger.
Warum das denn?
Berger: Er war der konservativen Auffassung, dass man, ehe man ein Unternehmen berät, erst einmal eines erfolgreich geführt haben sollte. Da ist natürlich was dran, aber man muss ja auch keine Theaterstücke schreiben, um Theaterkritiker zu werden. Ich hatte jedenfalls ausreichend Selbstvertrauen, um mich 1967 mit der nach mir benannten Unternehmensberatung in München selbstständig zu machen. Zuvor hatte ich viereinhalb Jahre für eine italienisch-amerikanische Strategieberatung gearbeitet und dort viel Geld verdient.
Sie sagen bis heute, Ihr Vater sei für Sie ein moralisches Vorbild. Doch das Handelsblatt hat enthüllt, dass Ihr Vater, anders als Sie es dargestellt haben sollen, kein Opfer, sondern ein Begünstigter des NS-Regimes gewesen sein soll.
Berger: Ich habe immer gesagt, dass mein Vater Parteigenosse und ab 1936 Finanzchef der Hitlerjugend war. Mitte 1939 ist er aus diesen Ämtern ausgeschieden, wurde zunächst Prokurist bei der Deutschen Knäckebrot AG und dann Generaldirektor bei Anker-Brot in Wien. Mein Vater legte nach seinen Worten aus religiösen Gründen und wegen der Reichskristallnacht seine Ämter sieben Monate nach diesem Horror nieder.
Aber wie kamen Sie dann darauf, er sei auch ein Opfer der Nazis?
Berger: Weil ich als Kind regelmäßig miterlebte, wie die Gestapo unser Haus durchsucht hat. Ich habe in der Darstellung der Vita meines Vaters nur eines falsch dargestellt: Er trat nicht 1939 aus der NSDAP aus, als er seine Ämter niederlegte, sondern wurde 1944 ausgeschlossen. Ich habe die Geschichte meines Vaters vom Historiker Michael Wolffsohn aufarbeiten lassen. Mein Vater, so viel steht fest, wurde spätestens seit Juni 1942 von Gestapo und NS-Justiz gequält. Am Ende hat ihn die Gestapo in München inhaftiert – eine Tatsache, die bei der Berichterstattung unter den Tisch gefallen ist.
Die Corona-Krise lässt uns nicht los. Ist die Bundesregierung gut beraten?
Berger: Ich glaube, dass die Politik sich im vergangenen Frühjahr beim ersten harten Lockdown, wenn man Schulnoten vergibt, eine Zwei plus verdient hat.
Welche Zensuren verteilen Sie für den zweiten, harten Lockdown?
Berger: Was die Teil-Lockdowns im Oktober und November und den aktuellen Dreiviertel-Lockdown betrifft, würde ich eher die Note Vier vergeben. Es wäre vermutlich besser gewesen, das Land für sechs Wochen im Dezember und Januar komplett dichtzumachen, wie es auch Wissenschaftler rund um Ifo-Chef Clemens Fuest gesagt haben. Der dadurch entstandene wirtschaftliche Schaden hätte sich wohl schnell wieder aufholen lassen. Gesunde, voll leistungsfähige Menschen hätten produzieren und wieder konsumieren können und die Wirtschaft wäre so wieder gewachsen. Nun haben wir einen Schrecken ohne Ende. Schon im Sommer hätte man sich der Altenund Pflegeheime und anderer Hochrisikogruppen annehmen müssen. Ich verstehe nicht, warum einige Ministerpräsidenten Bundeskanzlerin Angela Merkel seinerzeit bei ihren strikteren Corona-Plänen ausgebremst haben.
Kann Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgehen, wie es schon nach der Finanzmarktkrise der Fall war?
Berger: Wir werden auch aus der Corona-Krise gestärkt hervorgehen. Das setzt aber voraus, dass wir in einer vernünftigen Zusammenarbeit zwischen Staat, Wissenschaft und Wirtschaft die Jahrhundertthemen des Technologiewandels angehen. Wir müssen also eine sozialökologische Hightech-Marktwirtschaft werden, die Digitalisierung ausbauen und den Klimawandel stoppen.
Sie haben viele Politiker beraten, ob Kanzler wie Kohl, Schröder oder Kanzlerin Merkel. Auch Ministerpräsidenten wie Stoiber schätzten Ihre Expertise. Wer war am zugänglichsten für Ratschläge?
Berger: Das hängt vor allem davon ab, ob ein Politiker einen starken Gestaltungswillen hat, also als Leader gewillt ist, unabhängig von der jeweiligen Koalition und dem Mainstream in Medien und Gesellschaft seine Ideen durchzusetzen. Manche Politiker lassen sich primär von Meinungsumfragen leiten und sind daher eher beratungsresistent.
Nennen Sie doch Namen.
Berger: Natürlich sind Politiker wie Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, die ihr Land gestalten wollen, leichter zu beraten. Sie sind Macher und entscheiden: Das machen wir so. Oder: Das geht gar nicht. Oder: Ich versuche, dafür eine Mehrheit zu organisieren. Ein Beispiel: Unter Schröder war ich Mitglied der Rürup-Kommission. Diese hatte damals die Idee, die Zahnheilkunde aus der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen, weil Zahnprobleme oft auf mangelnde Pflege zurückgehen.
Was hielt Schröder von der rebellischen Idee? Hat es geknirscht?
Berger: Schröder sagte zu mir: „Roland, das kann ich nicht machen. Ich habe meinen Wählern auf dem Marktplatz in Hildesheim versprochen, dass, solange ich Bundeskanzler bin, keiner um seine Zähne Angst haben muss.“Das sind klare Antworten. Das Thema war vom Tisch.
Schröder hat Sie gefragt, ob Sie Bundeswirtschaftsminister werden wollen.
Berger: Doch er hat leider nicht auf meine Antwort gewartet, sondern es gleich den Medien kommuniziert.
Warum haben Sie nicht zugegriffen?
Berger: Weil die SPD gespalten war zwischen Schröder und den Linken in der Partei, an denen Schröder am Ende auch gescheitert ist. Zudem war mir klar, wie schwer es ist, als Quereinsteiger in einer Bundesregierung Erfolg zu haben. Denn jeder Abgeordnete mit Stallgeruch meint, jetzt sei er dran, Minister zu werden. Außenseiter haben es da schwer.
Wie so etwas ausgehen kann, sieht man am Fall „Friedrich Merz“, der lange weg war und glaubte, an die Parteispitze durchmarschieren zu können.
Berger: Er hat letztlich nicht die Mehrheit des Establishments in der CDU gewonnen – trotz seiner herausragenden Fähigkeiten, seiner Führungskraft und starken Persönlichkeit.
Und wie beurteilen Sie die Arbeit von Angela Merkel?
Berger: Angela Merkel wird als Bundeskanzlerin in der Geschichte unseres Landes einen wichtigen Platz einnehmen. Sie ist die erste Frau, die erste Ostdeutsche und die erste Naturwissenschaftlerin in dieser Position. Sie hat viel für den Ruf Deutschlands in der Welt getan und unser Land gut durch die Weltfinanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 geführt. Ihr sind aber auch Fehler unterlaufen. Namentlich die teilweise Rückabwicklung der Agenda-Reformen von Gerhard Schröder und der Linksruck der CDU. Dazu die missglückte Energiewende und das Missmanagement bei der Flüchtlingskrise. Last, but not least der Mangel an Visionen für die europäische Integration sowie Stagnation und Rückschritte bei der Entwicklung der EU.
Wie wird man ein Netzwerker wie Sie?
Berger: Man wird nicht als Netzwerker geboren. Man muss zuhören und auf Menschen eingehen, ja sie mögen. Mich interessiert, was andere bewegt, und ich stelle mich auf sie ein. Wenn man einem Klienten Ratschläge erteilt, sollte man nicht als Erstes dessen Schwächen aufzeigen, sondern die Zukunftschancen. Oder wie es der französische Dichter Antoine de Saint-Exupéry sagte: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Roland Berger, 83, sitzt beim Inter view in seinem Büro, im Rücken ein Bild mit einem auf dem Kopf stehen den Adler des Künstlers Georg Base litz, der ein Freund des Unterneh mensberaters ist. Berger hat von 1967 an die einzig weltweit führende StrategieBeratung gegründet und aufgebaut, die keine angelsächsi schen Wurzeln hat. Bis 2003 war er Chef des in München sitzenden Un ternehmens und leitete danach bis 2010 den Aufsichtsrat. Dann zog sich Roland Berger auf den Ehrenvorsitz zurück. (sts)
„Die Gestapo hat unser Haus durchsucht“