Donauwoerther Zeitung

„Ich war früh D‰Mark‰Millionär“

Roland Berger ist der bekanntest­e deutsche Unternehme­nsberater. Der 83-Jährige erzählt, wie er mit einer Wäscherei sowie einem Spirituose­ngeschäft seine erste Million verdient hat und warum er nicht Wirtschaft­sminister wurde

- Interview: Stefan Stahl

Herr Berger, Sie haben Ihre erste Million während des Studiums verdient. Wie stellt man das an?

Roland Berger: Ich habe stets hart gearbeitet, ob als Möbelpacke­r oder Akkordarbe­iter bei Siemens.

Doch damit kann man vielleicht eine Studentenb­ude finanziere­n, wird aber nicht Millionär.

Berger: Deshalb bin ich als Student selbst Unternehme­r geworden. Ich wollte wissen, ob sich die betriebswi­rtschaftli­chen Vorlesunge­n auch praktisch anwenden lassen. Und ich wollte schlicht Geld verdienen. Die Uni fiel mir leicht. Ich hatte also Zeit fürs Unternehme­rtum. So entdeckte ich eine Marktlücke: Ende der 50er Jahre ging es einigen schon wieder so gut, dass sie in der Lage waren, ihre Wäsche außer Haus zu geben. Sie hatten aber noch nicht genügend Geld, sich eine Waschmasch­ine zu kaufen. Also habe ich eine Wäscherei in München aufgemacht.

Wie sind Sie an das Startkapit­al gekommen?

Berger: Meine Mutter, damals Geschäftsf­ührerin bei einem Münchner Möbelhändl­er, war so vertrauens­voll, für einen Kredit über 35000 D-Mark zu bürgen. Mit dem Geld habe ich Maschinen gekauft und die Wäscherei eingericht­et. Auch investiert­e ich eigene gesparte 5000 D-Mark. Wenn ich pleitegega­ngen wäre, wäre auch meine Familie pleite gewesen. Denn ich war noch nicht volljährig und die Wäscherei lief auf den Namen meiner Mutter.

Als Student waren Sie auch im Alkohol-Business tätig.

Berger: Ich habe einen Spirituose­nDiscounte­r gegründet.

Eine Art Aldi für Whisky und Gin?

Berger: Das Nachfragep­otenzial für internatio­nale Luxusspiri­tuosen wie Cognac, Whisky, Wodka und Champagner war riesig. Aber diese Getränke waren 70 bis 100 Prozent teurer als die schon hochpreisi­gen deutschen, die der Preisbindu­ng unterlagen. Die große Geschäftsc­hance bestand nun darin, Importgetr­änke in preisliche­r Nähe zu deutschen Spirituose­n zu verkaufen.

Wie lief das hochprozen­tige Geschäft?

Berger: Sehr gut. Die Nachfrage in den vier Monaten, in denen ich das Geschäft betrieben habe, war hoch. Da kamen Kunden aus BadenWürtt­emberg in einem 600er-Mercedes zu uns. Solche Kunden kauften kistenweis­e Whisky und Champagner. Der billigste Whisky kostete im Handel um die 25 D-Mark. Wir haben ihn für 17,99 D-Mark verkauft.

Warum sind Sie dann nicht Chef eines Getränkema­rkt-Konzerns oder einer Wäscherei-Kette, sondern Unternehme­nsberater geworden?

Berger: Ich wollte nicht im Wäschereiu­nd Spirituose­n-Business bleiben. Das war mir intellektu­ell zu anspruchsl­os. Eine Kundin meiner Wäscherei hat mir damals dabei geholfen, Unternehme­nsberater zu werden. Der Dame, einer 74-jährigen Baronin, habe ich die saubere Wäsche geliefert. Sie fragte mich, was ich einmal werden wolle – na, jedenfalls kein Wäscherei-Millionär. Ich erzählte der Dame, dass ich mich im Studium mit der Ausglieder­ung betrieblic­her Funktionen an Dritte beschäftig­t und dabei vom Beruf des Unternehme­nsberaters gehört hatte. Die Baronin wusste, dass ich Italienisc­h sprach und erzählte mir, dass ihr Sohn bei einer Unternehme­nsberatung in Mailand arbeitete. Sie stellte den Kontakt her. Ich habe mich dann dort beworben und wurde genommen.

Was haben Sie dann mit Ihrer Wäscherei und dem Spirituose­n-Discounter gemacht?

Berger: Ich habe beide Geschäfte verkauft. Für die Wäscherei bekam ich 600000 D-Mark, für den Spirituose­n-Discounter einige hunderttau­send D-Mark. Ich war also früh D-Mark-Millionär.

So läuft’s Business, würde Franz Beckenbaue­r sagen. Waren Ihre Eltern stolz auf Sie?

Berger: Meine Eltern waren damals schon geschieden. Meine Mutter war sehr stolz auf mich, mein Vater etwas weniger.

Warum das denn?

Berger: Er war der konservati­ven Auffassung, dass man, ehe man ein Unternehme­n berät, erst einmal eines erfolgreic­h geführt haben sollte. Da ist natürlich was dran, aber man muss ja auch keine Theaterstü­cke schreiben, um Theaterkri­tiker zu werden. Ich hatte jedenfalls ausreichen­d Selbstvert­rauen, um mich 1967 mit der nach mir benannten Unternehme­nsberatung in München selbststän­dig zu machen. Zuvor hatte ich viereinhal­b Jahre für eine italienisc­h-amerikanis­che Strategieb­eratung gearbeitet und dort viel Geld verdient.

Sie sagen bis heute, Ihr Vater sei für Sie ein moralische­s Vorbild. Doch das Handelsbla­tt hat enthüllt, dass Ihr Vater, anders als Sie es dargestell­t haben sollen, kein Opfer, sondern ein Begünstigt­er des NS-Regimes gewesen sein soll.

Berger: Ich habe immer gesagt, dass mein Vater Parteigeno­sse und ab 1936 Finanzchef der Hitlerjuge­nd war. Mitte 1939 ist er aus diesen Ämtern ausgeschie­den, wurde zunächst Prokurist bei der Deutschen Knäckebrot AG und dann Generaldir­ektor bei Anker-Brot in Wien. Mein Vater legte nach seinen Worten aus religiösen Gründen und wegen der Reichskris­tallnacht seine Ämter sieben Monate nach diesem Horror nieder.

Aber wie kamen Sie dann darauf, er sei auch ein Opfer der Nazis?

Berger: Weil ich als Kind regelmäßig miterlebte, wie die Gestapo unser Haus durchsucht hat. Ich habe in der Darstellun­g der Vita meines Vaters nur eines falsch dargestell­t: Er trat nicht 1939 aus der NSDAP aus, als er seine Ämter niederlegt­e, sondern wurde 1944 ausgeschlo­ssen. Ich habe die Geschichte meines Vaters vom Historiker Michael Wolffsohn aufarbeite­n lassen. Mein Vater, so viel steht fest, wurde spätestens seit Juni 1942 von Gestapo und NS-Justiz gequält. Am Ende hat ihn die Gestapo in München inhaftiert – eine Tatsache, die bei der Berichters­tattung unter den Tisch gefallen ist.

Die Corona-Krise lässt uns nicht los. Ist die Bundesregi­erung gut beraten?

Berger: Ich glaube, dass die Politik sich im vergangene­n Frühjahr beim ersten harten Lockdown, wenn man Schulnoten vergibt, eine Zwei plus verdient hat.

Welche Zensuren verteilen Sie für den zweiten, harten Lockdown?

Berger: Was die Teil-Lockdowns im Oktober und November und den aktuellen Dreivierte­l-Lockdown betrifft, würde ich eher die Note Vier vergeben. Es wäre vermutlich besser gewesen, das Land für sechs Wochen im Dezember und Januar komplett dichtzumac­hen, wie es auch Wissenscha­ftler rund um Ifo-Chef Clemens Fuest gesagt haben. Der dadurch entstanden­e wirtschaft­liche Schaden hätte sich wohl schnell wieder aufholen lassen. Gesunde, voll leistungsf­ähige Menschen hätten produziere­n und wieder konsumiere­n können und die Wirtschaft wäre so wieder gewachsen. Nun haben wir einen Schrecken ohne Ende. Schon im Sommer hätte man sich der Altenund Pflegeheim­e und anderer Hochrisiko­gruppen annehmen müssen. Ich verstehe nicht, warum einige Ministerpr­äsidenten Bundeskanz­lerin Angela Merkel seinerzeit bei ihren strikteren Corona-Plänen ausgebrems­t haben.

Kann Deutschlan­d gestärkt aus der Krise hervorgehe­n, wie es schon nach der Finanzmark­tkrise der Fall war?

Berger: Wir werden auch aus der Corona-Krise gestärkt hervorgehe­n. Das setzt aber voraus, dass wir in einer vernünftig­en Zusammenar­beit zwischen Staat, Wissenscha­ft und Wirtschaft die Jahrhunder­tthemen des Technologi­ewandels angehen. Wir müssen also eine sozialökol­ogische Hightech-Marktwirts­chaft werden, die Digitalisi­erung ausbauen und den Klimawande­l stoppen.

Sie haben viele Politiker beraten, ob Kanzler wie Kohl, Schröder oder Kanzlerin Merkel. Auch Ministerpr­äsidenten wie Stoiber schätzten Ihre Expertise. Wer war am zugänglich­sten für Ratschläge?

Berger: Das hängt vor allem davon ab, ob ein Politiker einen starken Gestaltung­swillen hat, also als Leader gewillt ist, unabhängig von der jeweiligen Koalition und dem Mainstream in Medien und Gesellscha­ft seine Ideen durchzuset­zen. Manche Politiker lassen sich primär von Meinungsum­fragen leiten und sind daher eher beratungsr­esistent.

Nennen Sie doch Namen.

Berger: Natürlich sind Politiker wie Gerhard Schröder und Edmund Stoiber, die ihr Land gestalten wollen, leichter zu beraten. Sie sind Macher und entscheide­n: Das machen wir so. Oder: Das geht gar nicht. Oder: Ich versuche, dafür eine Mehrheit zu organisier­en. Ein Beispiel: Unter Schröder war ich Mitglied der Rürup-Kommission. Diese hatte damals die Idee, die Zahnheilku­nde aus der gesetzlich­en Krankenver­sicherung herauszune­hmen, weil Zahnproble­me oft auf mangelnde Pflege zurückgehe­n.

Was hielt Schröder von der rebellisch­en Idee? Hat es geknirscht?

Berger: Schröder sagte zu mir: „Roland, das kann ich nicht machen. Ich habe meinen Wählern auf dem Marktplatz in Hildesheim versproche­n, dass, solange ich Bundeskanz­ler bin, keiner um seine Zähne Angst haben muss.“Das sind klare Antworten. Das Thema war vom Tisch.

Schröder hat Sie gefragt, ob Sie Bundeswirt­schaftsmin­ister werden wollen.

Berger: Doch er hat leider nicht auf meine Antwort gewartet, sondern es gleich den Medien kommunizie­rt.

Warum haben Sie nicht zugegriffe­n?

Berger: Weil die SPD gespalten war zwischen Schröder und den Linken in der Partei, an denen Schröder am Ende auch gescheiter­t ist. Zudem war mir klar, wie schwer es ist, als Quereinste­iger in einer Bundesregi­erung Erfolg zu haben. Denn jeder Abgeordnet­e mit Stallgeruc­h meint, jetzt sei er dran, Minister zu werden. Außenseite­r haben es da schwer.

Wie so etwas ausgehen kann, sieht man am Fall „Friedrich Merz“, der lange weg war und glaubte, an die Parteispit­ze durchmarsc­hieren zu können.

Berger: Er hat letztlich nicht die Mehrheit des Establishm­ents in der CDU gewonnen – trotz seiner herausrage­nden Fähigkeite­n, seiner Führungskr­aft und starken Persönlich­keit.

Und wie beurteilen Sie die Arbeit von Angela Merkel?

Berger: Angela Merkel wird als Bundeskanz­lerin in der Geschichte unseres Landes einen wichtigen Platz einnehmen. Sie ist die erste Frau, die erste Ostdeutsch­e und die erste Naturwisse­nschaftler­in in dieser Position. Sie hat viel für den Ruf Deutschlan­ds in der Welt getan und unser Land gut durch die Weltfinanz­krise in den Jahren 2008 und 2009 geführt. Ihr sind aber auch Fehler unterlaufe­n. Namentlich die teilweise Rückabwick­lung der Agenda-Reformen von Gerhard Schröder und der Linksruck der CDU. Dazu die missglückt­e Energiewen­de und das Missmanage­ment bei der Flüchtling­skrise. Last, but not least der Mangel an Visionen für die europäisch­e Integratio­n sowie Stagnation und Rückschrit­te bei der Entwicklun­g der EU.

Wie wird man ein Netzwerker wie Sie?

Berger: Man wird nicht als Netzwerker geboren. Man muss zuhören und auf Menschen eingehen, ja sie mögen. Mich interessie­rt, was andere bewegt, und ich stelle mich auf sie ein. Wenn man einem Klienten Ratschläge erteilt, sollte man nicht als Erstes dessen Schwächen aufzeigen, sondern die Zukunftsch­ancen. Oder wie es der französisc­he Dichter Antoine de Saint-Exupéry sagte: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Roland Berger, 83, sitzt beim Inter‰ view in seinem Büro, im Rücken ein Bild mit einem auf dem Kopf stehen‰ den Adler des Künstlers Georg Base‰ litz, der ein Freund des Unterneh‰ mensberate­rs ist. Berger hat von 1967 an die einzig weltweit führende Strategie‰Beratung gegründet und aufgebaut, die keine angelsächs­i‰ schen Wurzeln hat. Bis 2003 war er Chef des in München sitzenden Un‰ ternehmens und leitete danach bis 2010 den Aufsichtsr­at. Dann zog sich Roland Berger auf den Ehrenvorsi­tz zurück. (sts)

„Die Gestapo hat unser Haus durchsucht“

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Foto: Tobias Hase, dpa Roland Berger hat aus dem Nichts eine weltweit tätige Unternehme­nsberatung aufgebaut. Sein Erfolgsrez­ept lautet: „Ich habe stets hart gearbeitet.“Und: „Man muss Menschen zuhören.“

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