Donauwoerther Zeitung

Ernährung beeinfluss­t das Gehirn des Kindes

Wer schwanger ist, bekommt oft zu hören: Nimm dir doch noch, du isst ja für zwei. Kein besonders guter Rat, sagt die Forscherin Rachel Lippert. Und erklärt, warum

- Interview: Christina Heller-Beschnitt

Frau Lippert, Sie erforschen, wie sich die Ernährung von schwangere­n Frauen auf das spätere Leben ihres Kindes auswirkt. Was wollen Sie genau herausfind­en?

Rachel Lippert: In unserem Projekt untersuche­n wir, wie die Ernährung der werdenden Mutter das Gehirn des Kindes beeinfluss­t. Also welchen Einfluss eine bestimmte Ernährungs­weise auf die Entwicklun­g des Gehirns hat. Das machen wir mit Mausmodell­en. Es gibt schon Studien, die zeigen, dass ein Zusammenha­ng besteht zwischen der Ernährung der Mutter und bestimmten Stoffwechs­el-Erkrankung­en, die Kinder bekommen. Diese Studien zeigen zum Beispiel, dass Kinder von Frauen, die vor der Schwangers­chaft übergewich­tig waren, die während der Schwangers­chaft zu viel zunehmen oder Schwangers­chaftsdiab­etes bekommen, ein höheres Risiko haben, an Diabetes oder Adipositas zu erkranken. Und wir möchten herausfind­en, woran das genau liegt. Wir wollen also diesen Zusammenha­ng genauer ergründen, damit wir sagen können, wie die Ernährung die Entwicklun­g des Gehirns in welchen Phasen der Schwangers­chaft genau beeinfluss­t.

Warum forschen Sie an Mäusen und versuchen nicht, diese Entwicklun­g an Müttern und Kindern festzuhalt­en?

Lippert: Mäuse haben eine ganz ähnliche Gehirnentw­icklung wie Menschen. Das heißt, aus den verschiede­nen Schwangers­chaftsstad­ien von Mäusen und der Gehirnentw­icklung der Föten zu dieser Zeit lassen sich Rückschlüs­se für Menschen ziehen. Das ist gut belegt. Wir versuchen, mithilfe von Mausmodell­en zu ergründen, wie die Ernährung der Schwangere­n in welchem Schwangers­chaftstrim­ester sein müsste, damit es gut für die Entwicklun­g des Kindes ist. Mit Mäusen ist außerdem die Grundlagen­forschung einfacher. Bei ihnen können wir leichter bestimmen, was sie wann essen, und es mit anderen Mäusen vergleiche­n. Wir können schauen, was passiert, wenn sie zum Beispiel während einer bestimmten Zeit mehr Fett essen. Bei Menschen ist das schwierige­r. Jeder isst anders, und die Entwicklun­gszeiträum­e sind viel länger als bei Mäusen. Das heißt, es gibt viel mehr äußere Einflüsse, die wir nicht kontrollie­ren können. Aber langfristi­g ist es mein Ziel, konkrete Handlungse­mpfehlunge­n für Schwangere zu erarbeiten.

Haben Sie schon erste Erkenntnis­se aus Ihren Untersuchu­ngen gewonnen?

Lippert: Ja. Bei den Mäusen konnten wir zum Beispiel feststelle­n, dass die Fettzufuhr in der Stillzeit eine Auswirkung auf die Entwicklun­g der Synapsen im Gehirn der Mausjungen hat. Bei Mäusen formen sich diese Synapsen während des Stillens.

Synapsen versuchen, zwischen einzelnen Gehirnzell­en Verbindung­en herzustell­en. Und wenn die Mäusemutte­r während der Stillzeit sehr fettreich isst, dann wollen sich die Synapsen zwar ausbilden, sie finden aber keinen Anschluss, können sich also nicht verbinden. Das beeinfluss­t die Kinder ihr ganzes Leben lang. Beim Menschen finden diese wichtigen Gehirnentw­icklungen im dritten Trimester der Schwangers­chaft statt – also vom siebten Schwangers­chaftsmona­t bis zur Geburt.

Sie sagten am Anfang, dass es Studien gibt, die zeigen, dass vor allem Kinder, deren Mütter schon vor der Schwangers­chaft übergewich­tig waren oder die während der Schwangers­chaft zu viel zunehmen, ein höheres Diabetes- und Adipositas­risiko haben. Was genau heißt denn zu viel zunehmen? Lippert: Ich bin keine Frauenärzt­in – wie viel Gewicht eine Frau zunehmen soll oder kann, sollte jede mit ihrem Arzt klären. Aber es gibt bestimmte Empfehlung­en, die weltweit gelten und die Anhaltspun­kte dazu liefern. Die Empfehlung­en gehen vom Body-Mass-Index (BMI) aus, den eine Frau vor der Schwangers­chaft hatte. Bei normalgewi­chtigen Frauen liegt er bei 18 bis 25. Wer in diese Spanne fällt, sollte etwa neun bis 13 Kilo in der gesamten

Schwangers­chaft zunehmen. Wer übergewich­tig ist, also einen BMI von 30 oder mehr hat, sollte nur fünf bis neun Kilo zunehmen.

Wie sieht die Realität aus? Nehmen Frauen in der Schwangers­chaft mehr oder weniger oder genauso viel zu?

Lippert: Dazu gibt es eine MetaAnalys­e aus dem Jahr 2018. In dieser Analyse wurden Daten von über einer Million schwangere­n Frauen ausgewerte­t. Das Ergebnis: In den USA und Europa nehmen über 50 Prozent der Frauen mehr zu, als sie sollten. Das ist auch nicht wirklich verwunderl­ich. Schwangere­n Frauen wird immer gesagt: Du isst für zwei, iss ruhig noch mehr. Also essen sie, was sie wollen – und das ist oft zu viel. Essen ist ja heutzutage auch überall verfügbar. Was viele Menschen nämlich nicht wissen: Frauen haben gerade zu Beginn der Schwangers­chaft gar keinen erhöhten Kalorienbe­darf. Erst zum Ende des zweiten Trimesters, wenn das Baby schon relativ groß ist, steigt der Kalorienbe­darf. Aber dieser liegt dann auch nicht so wahnsinnig hoch.

Wie viel höher liegt der Kalorienbe­darf im Schnitt?

Lippert: Im Schnitt sollten Frauen dann etwa 300 Kilokalori­en am Tag mehr essen. Das entspricht entweder einer Avocado oder einer halben Tüte Gummibärch­en. Das Beispiel macht aber deutlich: Beides hat zwar 300 Kilokalori­en, aber die Gummibärch­en bestehen vor allem aus Zucker – also Kohlenhydr­aten –, die Avocado aus Fett. 300 Kilokalori­en sind nicht gleich 300 Kilokalori­en. Wenn ich jetzt auf die Straße ginge und spontan die Leute fragen würde: Sollten Frauen schon in den ersten Schwangers­chaftsmona­ten mehr essen? Würden bestimmt alle sagen: Ja, klar. Dieser Mythos ist sehr weit verbreitet.

Ernährung ist in der Schwangers­chaft oft ein heikles Thema. Viele Frauen sind gerade zu Beginn der Schwangers­chaft von Übelkeit geplagt oder haben komische Gelüste. Was würden Sie solchen Frauen raten?

Lippert: Ich will die Schwangers­chaft für Frauen auf gar keinen Fall komplizier­ter machen. Sie ist oft sowieso schon mit viel Stress verbunden. Es gibt einiges, was Frauen auch gar nicht mehr essen dürfen, wie etwa

Schinken, Sushi oder Eierspeise­n, bei denen Fleisch, Fisch oder Eier roh verwendet werden. Sie müssen ihre Ernährung also oft eh schon ändern. Aber: Es gibt ja zum Beispiel auch einen Unterschie­d, ob man einer Essenslust, die einen überkommt, nachgibt oder ob man viel zu viel davon isst. Viele Frauenärzt­innen und -ärzte sagen zu den Schwangere­n nur: Ernähren Sie sich gesund. Ich möchte versuchen, konkrete Empfehlung­en zu erarbeiten. Was heißt es, sich gesund zu ernähren? Was braucht ein Kind für seine Entwicklun­g in welchem Abschnitt der Schwangers­chaft?

Übergewich­t und Diabetes gelten inzwischen als Volkskrank­heiten. Wie wichtig könnte Ihre Forschung dabei sein, das zu ändern?

Lippert: Natürlich würden ich und alle Forschende­n meiner Fachrichtu­ng zustimmen, dass der Einfluss der mütterlich­en Ernährung auf den Fötus entscheide­nd dazu beiträgt, wie gesund er im späteren Leben ist. Aber: Diabetes und Übergewich­t sind erst in den letzten 40 Jahren zunehmend zu einer Volkskrank­heit geworden. Das heißt: Die Kinder von damals übergewich­tigen Frauen bekommen vielleicht jetzt erst Probleme. Die Zeitspanne dazwischen ist sehr lang, und es gab deshalb noch andere Einflussfa­ktoren. Ganz genau lässt sich das also nicht sagen. Wir können bisher nur anhand von Gesundheit­sdaten wie zum Beispiel dem Gewicht der Mutter in der Schwangers­chaft Rückschlüs­se ziehen. Ich glaube aber schon, dass das Problem weiter steigt.

Warum?

Lippert: Wenn es jetzt immer mehr Frauen mit Übergewich­t gibt, die schwanger werden, wird es auch mehr Kinder geben, die Stoffwechs­elerkranku­ngen wie Übergewich­t oder Diabetes bekommen. In den letzten zehn Jahren ließ sich außerdem noch etwas anderes beobachten: Die Zahl der Frauen, die einen Schwangers­chaftsdiab­etes entwickelt­en, stieg seit 2001 um mehr als das Vierfache. Das betrifft in Deutschlan­d etwa fünf bis sieben Prozent der Frauen. Bei all diesen Kindern ist wiederum das Risiko höher, dass sie selbst Diabetes oder Adipositas bekommen. Frauen für das Thema Ernährung in der Schwangers­chaft zu sensibilis­ieren kann also eine entscheide­nde Rolle dabei spielen, solchen Erkrankung­en vorzubeuge­n. Und erst mal ist es leichter, eine bestimmte Gruppe zu erreichen, als die Essgewohnh­eiten der ganzen Bevölkerun­g ändern zu wollen. Außerdem gibt es niemanden, der offener wäre für solche Themen als werdende Mütter. Sie wollen ja das Beste für die Gesundheit ihres Kindes tun.

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Foto: Jörg Lange, dpa Was soll ich als Schwangere essen, was lasse ich lieber weg?
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Rachel Lippert ist Neuro‰ wissenscha­ftlerin und forscht am Deutschen Zen‰ trum für Ernährung zur Entwicklun­g des Gehirns.

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