Ernährung beeinflusst das Gehirn des Kindes
Wer schwanger ist, bekommt oft zu hören: Nimm dir doch noch, du isst ja für zwei. Kein besonders guter Rat, sagt die Forscherin Rachel Lippert. Und erklärt, warum
Frau Lippert, Sie erforschen, wie sich die Ernährung von schwangeren Frauen auf das spätere Leben ihres Kindes auswirkt. Was wollen Sie genau herausfinden?
Rachel Lippert: In unserem Projekt untersuchen wir, wie die Ernährung der werdenden Mutter das Gehirn des Kindes beeinflusst. Also welchen Einfluss eine bestimmte Ernährungsweise auf die Entwicklung des Gehirns hat. Das machen wir mit Mausmodellen. Es gibt schon Studien, die zeigen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Ernährung der Mutter und bestimmten Stoffwechsel-Erkrankungen, die Kinder bekommen. Diese Studien zeigen zum Beispiel, dass Kinder von Frauen, die vor der Schwangerschaft übergewichtig waren, die während der Schwangerschaft zu viel zunehmen oder Schwangerschaftsdiabetes bekommen, ein höheres Risiko haben, an Diabetes oder Adipositas zu erkranken. Und wir möchten herausfinden, woran das genau liegt. Wir wollen also diesen Zusammenhang genauer ergründen, damit wir sagen können, wie die Ernährung die Entwicklung des Gehirns in welchen Phasen der Schwangerschaft genau beeinflusst.
Warum forschen Sie an Mäusen und versuchen nicht, diese Entwicklung an Müttern und Kindern festzuhalten?
Lippert: Mäuse haben eine ganz ähnliche Gehirnentwicklung wie Menschen. Das heißt, aus den verschiedenen Schwangerschaftsstadien von Mäusen und der Gehirnentwicklung der Föten zu dieser Zeit lassen sich Rückschlüsse für Menschen ziehen. Das ist gut belegt. Wir versuchen, mithilfe von Mausmodellen zu ergründen, wie die Ernährung der Schwangeren in welchem Schwangerschaftstrimester sein müsste, damit es gut für die Entwicklung des Kindes ist. Mit Mäusen ist außerdem die Grundlagenforschung einfacher. Bei ihnen können wir leichter bestimmen, was sie wann essen, und es mit anderen Mäusen vergleichen. Wir können schauen, was passiert, wenn sie zum Beispiel während einer bestimmten Zeit mehr Fett essen. Bei Menschen ist das schwieriger. Jeder isst anders, und die Entwicklungszeiträume sind viel länger als bei Mäusen. Das heißt, es gibt viel mehr äußere Einflüsse, die wir nicht kontrollieren können. Aber langfristig ist es mein Ziel, konkrete Handlungsempfehlungen für Schwangere zu erarbeiten.
Haben Sie schon erste Erkenntnisse aus Ihren Untersuchungen gewonnen?
Lippert: Ja. Bei den Mäusen konnten wir zum Beispiel feststellen, dass die Fettzufuhr in der Stillzeit eine Auswirkung auf die Entwicklung der Synapsen im Gehirn der Mausjungen hat. Bei Mäusen formen sich diese Synapsen während des Stillens.
Synapsen versuchen, zwischen einzelnen Gehirnzellen Verbindungen herzustellen. Und wenn die Mäusemutter während der Stillzeit sehr fettreich isst, dann wollen sich die Synapsen zwar ausbilden, sie finden aber keinen Anschluss, können sich also nicht verbinden. Das beeinflusst die Kinder ihr ganzes Leben lang. Beim Menschen finden diese wichtigen Gehirnentwicklungen im dritten Trimester der Schwangerschaft statt – also vom siebten Schwangerschaftsmonat bis zur Geburt.
Sie sagten am Anfang, dass es Studien gibt, die zeigen, dass vor allem Kinder, deren Mütter schon vor der Schwangerschaft übergewichtig waren oder die während der Schwangerschaft zu viel zunehmen, ein höheres Diabetes- und Adipositasrisiko haben. Was genau heißt denn zu viel zunehmen? Lippert: Ich bin keine Frauenärztin – wie viel Gewicht eine Frau zunehmen soll oder kann, sollte jede mit ihrem Arzt klären. Aber es gibt bestimmte Empfehlungen, die weltweit gelten und die Anhaltspunkte dazu liefern. Die Empfehlungen gehen vom Body-Mass-Index (BMI) aus, den eine Frau vor der Schwangerschaft hatte. Bei normalgewichtigen Frauen liegt er bei 18 bis 25. Wer in diese Spanne fällt, sollte etwa neun bis 13 Kilo in der gesamten
Schwangerschaft zunehmen. Wer übergewichtig ist, also einen BMI von 30 oder mehr hat, sollte nur fünf bis neun Kilo zunehmen.
Wie sieht die Realität aus? Nehmen Frauen in der Schwangerschaft mehr oder weniger oder genauso viel zu?
Lippert: Dazu gibt es eine MetaAnalyse aus dem Jahr 2018. In dieser Analyse wurden Daten von über einer Million schwangeren Frauen ausgewertet. Das Ergebnis: In den USA und Europa nehmen über 50 Prozent der Frauen mehr zu, als sie sollten. Das ist auch nicht wirklich verwunderlich. Schwangeren Frauen wird immer gesagt: Du isst für zwei, iss ruhig noch mehr. Also essen sie, was sie wollen – und das ist oft zu viel. Essen ist ja heutzutage auch überall verfügbar. Was viele Menschen nämlich nicht wissen: Frauen haben gerade zu Beginn der Schwangerschaft gar keinen erhöhten Kalorienbedarf. Erst zum Ende des zweiten Trimesters, wenn das Baby schon relativ groß ist, steigt der Kalorienbedarf. Aber dieser liegt dann auch nicht so wahnsinnig hoch.
Wie viel höher liegt der Kalorienbedarf im Schnitt?
Lippert: Im Schnitt sollten Frauen dann etwa 300 Kilokalorien am Tag mehr essen. Das entspricht entweder einer Avocado oder einer halben Tüte Gummibärchen. Das Beispiel macht aber deutlich: Beides hat zwar 300 Kilokalorien, aber die Gummibärchen bestehen vor allem aus Zucker – also Kohlenhydraten –, die Avocado aus Fett. 300 Kilokalorien sind nicht gleich 300 Kilokalorien. Wenn ich jetzt auf die Straße ginge und spontan die Leute fragen würde: Sollten Frauen schon in den ersten Schwangerschaftsmonaten mehr essen? Würden bestimmt alle sagen: Ja, klar. Dieser Mythos ist sehr weit verbreitet.
Ernährung ist in der Schwangerschaft oft ein heikles Thema. Viele Frauen sind gerade zu Beginn der Schwangerschaft von Übelkeit geplagt oder haben komische Gelüste. Was würden Sie solchen Frauen raten?
Lippert: Ich will die Schwangerschaft für Frauen auf gar keinen Fall komplizierter machen. Sie ist oft sowieso schon mit viel Stress verbunden. Es gibt einiges, was Frauen auch gar nicht mehr essen dürfen, wie etwa
Schinken, Sushi oder Eierspeisen, bei denen Fleisch, Fisch oder Eier roh verwendet werden. Sie müssen ihre Ernährung also oft eh schon ändern. Aber: Es gibt ja zum Beispiel auch einen Unterschied, ob man einer Essenslust, die einen überkommt, nachgibt oder ob man viel zu viel davon isst. Viele Frauenärztinnen und -ärzte sagen zu den Schwangeren nur: Ernähren Sie sich gesund. Ich möchte versuchen, konkrete Empfehlungen zu erarbeiten. Was heißt es, sich gesund zu ernähren? Was braucht ein Kind für seine Entwicklung in welchem Abschnitt der Schwangerschaft?
Übergewicht und Diabetes gelten inzwischen als Volkskrankheiten. Wie wichtig könnte Ihre Forschung dabei sein, das zu ändern?
Lippert: Natürlich würden ich und alle Forschenden meiner Fachrichtung zustimmen, dass der Einfluss der mütterlichen Ernährung auf den Fötus entscheidend dazu beiträgt, wie gesund er im späteren Leben ist. Aber: Diabetes und Übergewicht sind erst in den letzten 40 Jahren zunehmend zu einer Volkskrankheit geworden. Das heißt: Die Kinder von damals übergewichtigen Frauen bekommen vielleicht jetzt erst Probleme. Die Zeitspanne dazwischen ist sehr lang, und es gab deshalb noch andere Einflussfaktoren. Ganz genau lässt sich das also nicht sagen. Wir können bisher nur anhand von Gesundheitsdaten wie zum Beispiel dem Gewicht der Mutter in der Schwangerschaft Rückschlüsse ziehen. Ich glaube aber schon, dass das Problem weiter steigt.
Warum?
Lippert: Wenn es jetzt immer mehr Frauen mit Übergewicht gibt, die schwanger werden, wird es auch mehr Kinder geben, die Stoffwechselerkrankungen wie Übergewicht oder Diabetes bekommen. In den letzten zehn Jahren ließ sich außerdem noch etwas anderes beobachten: Die Zahl der Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes entwickelten, stieg seit 2001 um mehr als das Vierfache. Das betrifft in Deutschland etwa fünf bis sieben Prozent der Frauen. Bei all diesen Kindern ist wiederum das Risiko höher, dass sie selbst Diabetes oder Adipositas bekommen. Frauen für das Thema Ernährung in der Schwangerschaft zu sensibilisieren kann also eine entscheidende Rolle dabei spielen, solchen Erkrankungen vorzubeugen. Und erst mal ist es leichter, eine bestimmte Gruppe zu erreichen, als die Essgewohnheiten der ganzen Bevölkerung ändern zu wollen. Außerdem gibt es niemanden, der offener wäre für solche Themen als werdende Mütter. Sie wollen ja das Beste für die Gesundheit ihres Kindes tun.