Pferdewelt im Schockzustand
Bei einem großen Turnier in Valencia gab es einen für die Tiere lebensbedrohlichen Herpes-Ausbruch. Mehrere Pferde starben bereits, die Nerven liegen blank. Und das Virus verbreitet sich bereits unkontrolliert in Europa
Augsburg Während an allen Ecken der Welt noch gegen das Corona-Virus gekämpft wird, trifft Pferdebesitzer und Reitsportler nun der nächste Schock: In Europa könnte sich das für Pferde lebensbedrohliche Herpes-Virus unkontrolliert ausbreiten, nachdem es auf einem mehrwöchigen internationalen Reitturnier im spanischen Valencia zu einem massiven Ausbruch gekommen ist. Von über 150 Pferden haben sich mindestens 100 mit einer sehr aggressiven Variante des Equinen Herpes-Virus-Typs EHV-1 infiziert. Es ist für den Menschen ungefährlich, aber für Pferde immer wieder tödlich. Die Krankheit ist schwer behandelbar, denn der Erreger bleibt für immer im Pferdekörper erhalten. Trächtige Stuten können ihre Fohlen verlieren und selbst scheinbar genesene Tiere später noch unter gravierenden Spätfolgen wie Lähmungen und Atemwegsproblemen leiden.
Mindestens sechs Pferde, darunter vier von deutschen Besitzern, sind in Valencia bereits verendet, weitere ringen um ihr Leben. Andere haben schwere Krankheitsverläufe mit Fieberschüben und neurologischen Ausfällen. Manche mussten laut Medienberichten mit Kränen hochgehoben werden, um behandelt werden zu können. Verzweifelt versuchen Reiter und Besitzer, ihren Tieren zu helfen. Eine Tierärztin vor Ort beschreibt die Lage in einem
NDR-Interview als „sehr stressig, sehr angespannt und sehr, sehr schwierig.“
Alle Pferde wurden sofort unter Quarantäne gestellt, doch über 50 hatten zum Zeitpunkt des Ausbruchs den Turnierort schon verlassen – entweder in Richtung heimatlicher Stall oder zum nächsten Turnier. Ohne Gesundheitszeugnis und ohne Tests. Die große Befürchtung, dass sich das Virus damit in Europa unkontrolliert ausbreiten könnte, bestätigte sich bereits am Mittwoch. Denn da wurden die ersten Pferde beim Turnier in Doha positiv getestet. Viele Weltklasse-Reiter und auch Mitglieder des deutschen Olympia-Kaders, wie etwa die Springreiter Philipp Weishaupt, Christian Ahlmann und Marcus Ehning, sind nach Doha gereist. Schließlich soll dort bis zum Sonntag die erste Etappe der Global Champions Tour über die Bühne gehen.
Getroffen hat es bereits die Pferde des baden-württembergischen Springreiters Sven Schlüsselburg, der in Unkenntnis der Infektion und der Ansteckung mit zwei Pferden direkt von Valencia nach Doha gefahren ist. Sie wurden nun beide positiv getestet, sein Schimmel Bud Spencer zeigte am Mittwoch leichtes Fieber. Die Pferde wurden separiert und in eine Klinik gebracht. „Wir können jetzt nur beten“, sagte der Reiter. „Ich bin am Boden und habe Angst, auch um die Pferde zu Hause. Das kann ja alles so schnell gehen, und keiner ist am Ende sicher.“Die Sorgen sind berechtigt: Seit gestern gibt es das erste verendete Pferd in Deutschland.
Zur Unsicherheit trägt bei, dass die Zeit bis zum Auftreten von Symptomen und positiven Tests zwei Wochen oder mehr betragen kann. So rät Tierarzt Dr. Max Stechele von der Pferdeklinik Equopark in Wehringen (Landkreis Augsburg) zu erhöhter Wachsamkeit. „Auch aus unserer Region kommen Pferde zurück aus Italien und Spanien, die zwar nicht direkt in Valencia waren, bei denen aber wegen der genauen Rückverfolgung nicht ganz klar ist, ob es eventuell Pferdekontakte gab. Aber die Rückkehrer, die zu meiner Klientel gehören, gehen jetzt alle in Quarantäne.“
Von daher sieht der Mediziner Stechele das Risiko nicht „wahnsinnig erhöht“. Dennoch müsse man in dieser Jahreszeit generell wachsam sein. Warum bundesweit nicht alle Pferde durchgeimpft sind, erklärt sich der Tierarzt mit zwei Faktoren. Zum einen sei der Impfstoff aufgrund geringer Herstellermengen und wechselnder Nachfrage nicht immer ausreichend verfügbar – derzeit ist er so gut wie ausverkauft –, zum anderen scheuten manche Pferdebesitzer womöglich auch die Kosten der halbjährlich notwendigen Impfung. „Zumal auch leider nur dramatische Herpes-Ausbrüche wie derzeit in Valencia die Ernsthaftigkeit der Erkrankung vor Augen führen.“Zumal selbst die keinen absoluten Schutz garantiert.
Denn eine Impfung hilft meist nur, wenn der komplette Tierbewirklich stand eines Stalls geimpft ist. So starben in Valencia nach Medienangaben auch geimpfte Pferde. „Man kann nur versuchen, mit Entzündungshämmern das Immunsystem zu stärken. Aber eine direkte Therapie gibt es nicht“, sagt Stechele.
Um ihren Bestand zu schützen, hätten bereits viele Ställe in der Region erste Maßnahmen ergriffen, zu denen auch Stechele rät. „Grundsätzlich würde ich in der aktuellen Situation einen unnötigen Stallwechsel vermeiden und auch alles, was das Immunsystem des Pferdes stark beeinträchtigt. Deshalb haben schon viele Ställe dicht gemacht. Da reagieren die Leute bisher ganz gut.“Auch die durch Corona bereits bekannten Hygienemaßnahmen gehörten dazu, denn durch infizierte Gegenstände kann das Herpes-Virus ebenfalls übertragen werden. „Wichtig ist auf alle Fälle, Pferde, die neu in einen Stall kommen, unbedingt vom Bestand zu separieren. Wenn einem Pferdebesitzer etwas komisch vorkommt, soll er unbedingt Temperatur messen, sofort dem Tierarzt und dem Stallbesitzer Bescheid geben und das Pferd separieren. Das gilt grundsätzlich für alles Fiebrige am Pferd“, rät Max Stechele.
Aus Angst vor der Verbreitung des Virus hat der Weltverband FEI bereits am Dienstag alle internationalen Turniere in Deutschland und in neun weiteren europäischen Ländern abgesagt. Auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) sprach bis zum 28. März bundesweit ein Verbot für Pferdesport- und Zuchtveranstaltungen aus.
„Einige Reiter und Pferde sind bereits vor dem Ausbruch in Valencia nach Hause gefahren. Wir wissen nicht, wie viele von diesen Pferden möglicherweise infiziert sind“, bestätigte auch FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach in einer offiziellen Stellungnahme. „Wir wollen verhindern, dass sich die besondere Variante aus Spanien in Deutschland verbreitet, deshalb ist für alle leider Sendepause.“