„Auf die Dauer ist das nicht machbar“
Eishockey-Profis können weiterhin ihrem Beruf nachgehen, während Hobbyspieler nicht mehr aufs Eis dürfen. Fans im Stadion sind nicht zugelassen. Was Johanna Bayer-Merk und AEV-Torwart Keller verbindet und trennt
Warum ist Eishockey euer Favorit?
Johanna BayerMerk: Mich begeistert, dass man so viele verschiedene Dinge beherrschen muss, um Eishockey zu spielen. Man muss Schlittschuhlaufen können, dazu mit dem Schläger umgehen und dann noch auf den Mitspieler und den Gegner achten, um den exakten Pass zum richtigen Zeitpunkt spielen zu können.
Keller: Eishockey ist hart, emotional. Ich bin auch Fußball-Fan, aber so ein 0:0-Kick kann schon sehr zäh sein. Beim Eishockey passiert immer etwas: Checks, Strafzeiten, Überzahlspiel – da rührt sich immer etwas.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihren Eishockey-Sport getroffen?
Keller: Als Profis sind wir dankbar, dass wir überhaupt antreten dürfen. Ansonsten hätte es uns Spieler maximal getroffen. Trotzdem bleibt es eine schwierige Situation für den Eishockeysport in Deutschland. Ohne Zuschauer spielen zu müssen, ist ein ganz anderes Sport-Erlebnis, an das wir uns nicht gewöhnen wollen, aber eben in dieser Saison doch müssen. Hoffentlich wird es in der kommenden Spielzeit wieder anders. Die finanzielle Seite ist für den Klub wie auch für die Spieler schwierig. Alle müssen mit Einbußen zurechtkommen. Wir sind froh, dass wir es in Augsburg geschafft haben, in den Spielbetrieb zu kommen. Dazu haben Sponsoren, Dauerkarten-Inhaber und letztendlich auch wir Spieler mit unserem Gehaltsverzicht beigetragen.
BayerMerk: Darf ich einhaken: Haben da alle Spieler mitgezogen?
Keller: Ja, ausnahmslos. Den Gehaltsverzicht gab es bei allen Klubs der Deutschen Eishockey Liga, bei den einen fiel er etwas höher, bei anderen etwas niedriger aus. Es gab auch Spieler, die nicht verzichten wollten, und die haben den Verein und die Liga verlassen. Die Kommunikation mit der Panther-Führung um Hauptgesellschafter Lothar Sigl war sehr offen. Aber wir Spieler haben uns natürlich auch untereinander verständigt: Auf wie viel verzichtet ihr? Wie sollen wir uns verhalten? Es gab auch einen Austausch mit der neu gegründeten Spielervereinigung SVE. Dadurch fühlten wir uns gut informiert. Egal ob man in Mannheim, München oder Augsburg spielt – es trifft jeden.
BayerMerk: Uns Hobbyspieler hat Corona voll getroffen. Ich war in der laufenden Saison kein einziges Mal auf dem Eis. Im März 2020 sollte das Woodstocks-Turnier mit Mannschaften aus Bozen, Brixen oder München steigen. Wenige Stunden vor dem geplanten Beginn wurde es abgesagt. Als die Saison im September startete, war es mit Auflagen wieder möglich zu spielen. Ich war jedoch sehr vorsichtig, weil mein zwölfjähriger Sohn im Rollstuhl sitzt und es nicht klar ist, ob er zu einer Risikogruppe gehört. Da wollte ich nichts riskieren und bin lieber nicht zum Training der „alten Herren“gefahren. Als Lehrerin habe ich sowieso schon viele Kontakte und wollte mich nicht in einem weiteren Kreis bewegen. Ab November wurde der Amateursport für alle untersagt.
Auf welche Sportarten sind Sie im Sommer ausgewichen?
BayerMerk: Ich habe die Westlichen Wälder in Augsburg vor der Haustüre und da bin ich mindestens zwei Mal pro Woche zwischen zehn und 15 Kilometer zum Laufen gegangen. Keller: Im Sommer gehe ich auch joggen. 15 Kilometer wären mir zu viel, aber ich genieße es, eine Stunde lang zu laufen, da bekommt man den Kopf frei …
BayerMerk: Genau das ist für mich der Punkt: Ich nenne es Psycho-Hy
Der EishockeyAlltag: Die Augsburger Panther spielen im CurtFrenzelStadion – und die Fans müssen draußen bleiben.
giene. Mir fallen die besten Unterrichtsideen im Wald ein.
Es gibt Kritik am Profisport, weil der seinen „Betrieb“aufrechterhalten durfte, während Gastronomen oder Hoteliers zusperren mussten. Wie denken Sie darüber?
Keller: Bei uns wird so viel dafür getan, dass keiner mit Corona in die Umkleide kommt, dass wir keinen Ausbruch haben oder weitere Leute anstecken. Wir werden wöchentlich drei Tests unterzogen. Wir halten Abstand, tragen FFP2-Masken in der Kabine. Die Klubs und die Liga leisten viel in Sachen Präventionen und lassen sich das viel Geld kosten. Ich kann den verärgerten Gastronomen verstehen, er kann ja nur schwer jeden Gast testen lassen. BayerMerk: Doch, das wäre mein Vorschlag. Die Politik hätte viel früher und mehr in Know-how und Geld für Teststrategien investieren müssen. Ich reite nicht auf Fehlentscheidungen der Politik herum, weil ich die Corona-Pandemie als enorme Herausforderung für alle sehe. Auf der anderen Seite leben wir jetzt seit über einem Jahr mit dem Virus und hätten durchaus, besonders für den Handel, Konzepte entwickeln müssen. Der Sport hat einen Weg gefunden, den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Das finde ich schon deshalb in Ordnung, weil es für die Profis um ihre berufliche Existenz geht. Als Hobbyspielerin würde ich mich nie beschweren, dass ihr spielen dürft und wir nicht. Für mich ist Eishockey ein Freizeitvergnügen, für euch der Gelderwerb. Im Vergleich zum Profi-Fußball, wo ungleich mehr Geld im Umlauf ist, hat das Eishockey genügend darum zum kämpfen, um zu überleben.
Keller: Wenn wir den Spielbetrieb nicht wieder hochgefahren hätten, wäre es vermutlich zu einigen Insolvenzen gekommen.
Eishockey findet zwangsläufig nur noch im Fernsehen statt. Macht das Zuschauen Spaß?
BayerMerk: Als TV-Konsument wird einem nicht so sehr bewusst, dass keine Fans in der Halle sind. Bei Toren wird der übliche Jingle eingespielt, in den Spielpausen läuft Rockmusik. Man versucht ganz geschickt, das Fehlen der Zuschauer zu kaschieren. Anfangs war ich irritiert, weil man das Klacken der Eis
oder die Zurufe der Spieler untereinander gehört hat … Keller: Das ist der einzige Vorteil für mich im Vergleich zu früher. Ich kann meine Vorderleute besser dirigieren und mit ihnen kommunizieren. Wenn die Halle getobt hat, ist das untergegangen. Aber das wiegt die Nachteile lange nicht auf. Wenn ich daran denke, wie oft wir Spiele in dieser Saison gehabt hätten, in denen es auf der Tribüne gebrannt hätte. Du gewinnst und es ist niemand da, mit dem du feierst. Nach der Schluss-Sirene geht es ohne Handschlag
direkt in die Kabine. Maske auf und Schluss. Gerade wir in Augsburg sind ein Klub, der von den Zuschauern und ihrer Begeisterung lebt. Das Curt-Frenzel-Stadion ist auch in einer durchschnittlichen Saison oft ausverkauft gewesen. Die Leute kommen natürlich, um uns siegen zu sehen. Aber auch wegen der dichten Stimmung, wegen des Gemeinschaftserlebnisses. Das fehlt uns allen.
BayerMerk: Eishockey lebt noch mehr als viele andere Sportarten von den Emotionen, die vom Eis auf die Ränge überschwappen. Wenn ich im
Stadion bin, wird mir bewusst, wie nah man als Zuschauer am Geschehen dran ist. Das sind nur wenige Meter. Ich bin mit meinem Mann auch hin und wieder beim FC Augsburg in der Arena. Die Stimmung ist da anders.
Ist mit der Verbannung der Zuschauer aus den Eishallen auch der Kontakt zu den Fans abgebrochen?
Keller: Nicht ganz, aber es ist deutlich weniger geworden. Wenn ich nach einem Match das Frenzel-Stadion verlasse, dann schwätze ich noch mit einem Ordner und wir analysieren das Spiel. Aber Eishockey in Augsburg macht doch viel mehr aus. Wir suchen und genießen die Nähe zu unserem Publikum: in Fan-Feiern, in Autogrammstunden oder bei Sponsorenterminen, wo dann nicht selten ein Teil der Belegschaft anwesend ist. Das alles ist weggefallen. Auch den Zusammenhalt als Mannschaft herzustellen, ist schwierig. Wir spielen ja nicht nur miteinander. Vor der vergangenen Saison waren wir zusammen beim Kanufahren am Eiskanal. Unsere neuen Spieler sind bestimmt nette Kerle, aber außer im Eisstadion habe ich sie nie getroffen.
Fehlen der oft einzigen Frau in einer Männerkabine die „alten Herren“?
BayerMerk: Ich habe mich immer auf unser Training gefreut, auch wenn man als Frau manchmal angesichts der Sprüche mit roten Ohren in der Kabine sitzt. Aber es ist eine andere Welt, in die ich eintauche. Auch die jährliche Fahrt zu unserem AH-Turnier in Bozen, die Kameradschaft mit meinen Jungs fehlt. Ich spiele seit zwölf Jahren bei den Männern der EG Woodstocks. Wenn man mit ehemaligen AEVProfis wie Dietrich Adam auf dem Eis steht, dann ist das schon was anderes als bei den Frauen.
Herrscht in einer Frauenmannschaft ein anderes Klima?
BayerMerk: Nein, als ich beim Augsburger EV oder in Königsbrunn gespielt habe, habe ich es nicht so empfunden. Vielleicht auch, weil ich meist zu den Führungsspielern gezählt habe. In der Nationalmannschaft herrschte schon mehr Konkurrenz. Gerade als es darum ging, dass die Frauen 2002 in Salt Lake City erstmals an einem olympischen Eishockeyturnier teilnehhockeyschläger men durften. Ich war damals die Nummer 23 im Olympiakader, aber nur 22 durften mit. Das hat mich gewurmt. Aber Staatsexamen und Olympiavorbereitung waren zu viel.
Johanna Bayer-Merk hat ein Jahr auf Eishockey verzichtet, wäre das für Sie vorstellbar?
Keller: Das wäre sehr schlecht, das würde ein Jahr ohne Einkommen bedeuten …
BayerMerk: Könntest du dein Geld auch anders verdienen?
Keller: Ich habe vor ein paar Jahren eine Fortbildung bei der IHK im Bereich der Rentenversicherung gemacht. Dort könnte ich arbeiten. Versicherungen und Finanzen interessieren mich. Aber ansonsten will ich zunächst als Profi so lange wie möglich weiterspielen. Auf dem heißen Stuhl des Trainers zu sitzen, wäre nichts für mich. Wenn ich aufhöre mit Eishockey, will ich in Augsburg bleiben und nicht wie in den vergangenen 14 Jahren nach der Saison oft nicht wissen: Bin ich noch hier oder ganz woanders?
BayerMerk: In der Mannschaft dürfte es einige Kollegen geben, die kein zweites Standbein haben, oder?
Keller: Wenn Spieler mir das erzählen, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Als Eishockeyprofi musst du einen Plan B haben. Denn du kannst morgen eine schwere Verletzung erleiden und dann ist es vorbei.
In Deutschland könnte bis zum Herbst durch das Impfen eine Herdenimmunität erreicht werden. Strömen die Fans dann wie früher zum Eishockey?
BayerMerk: Ja. Den Menschen ist erst jetzt durch die Entbehrungen bewusst geworden, wie viel ihnen das Erlebnis im Stadion bedeutet. Die Menschen lechzen wieder nach Eishockey und Augsburg ist eine absolute Eishockeystadt.
Keller: Die Begeisterung und das Interesse sind ungebrochen, deswegen werden die Fans wiederkommen. Ich hoffe, dass wir Ende dieser Saison das letzte Spiel ohne Zuschauer erleben werden. Länger ist der Sport auf diesem Niveau allerdings auch nicht finanzierbar. So viele Beteiligte, von den Werbepartnern über die Dauerkarteninhaber bis zu den Spielern, haben finanziellen Verzicht geübt. Auf die Dauer ist das nicht machbar.