Nur noch fassungslos über das Hin und Her
Zwar kassiert Kanzlerin Merkel die umstrittene Osterruhe wieder ein und erntet dafür Lob, aber das Chaos macht Wirtschaftsvertreter sprachlos. Bayerns Handelsverbandschef Puff spricht von „Rat- und Hilflosigkeit“der Politik
Augsburg Vorher. Nachher. Osterruhe. Dann doch nicht. Gründonnerstag schließen, nun doch wieder öffnen. Wenn Wirtschaft vernünftige Rahmenbedingungen, Planbarkeit, braucht, dann haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder mit ihren jüngsten Corona-Beschlüssen, nun ja, den Eindruck des absoluten Gegenteils hinterlassen. Das zeigen die deutlichen Reaktionen aus der Wirtschaft.
Im Handwerk schüttelt man über das politische Hin und Her fassungslos den Kopf. „Es ist richtig, dass der Schnellschuss des Ruhetags am Gründonnerstag zurückgenommen worden ist, darüber herrscht bei uns Erleichterung“, sagt Ulrich Wagner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben. „Es ist höchst respektabel, dass Kanzlerin Angela Merkel diesen Fehler einräumt“, sagt er. „Das ändert aber nichts daran, dass die Entscheidungen zwischen Bund und Ländern von Montagnacht das Bild von Chaos, Unzuverlässigkeit und Unplanbarkeit befeuern“, sagt Wagner. „Es ist keine Verlässlichkeit in der Corona-Politik da, unsere Betriebe sind mit Mut und Geduld am Ende.“
Rund 300 Anrufe von Handwerksunternehmen hätten ihn seit Montag erreicht, berichtet Wagner. „Die Unternehmer fragen sich: Was ist da los? Sind alle verrückt geworden?“Die Unsicherheit schlage inzwischen auf Branchen im Handwerk durch, welche lange gut durch die Krise kamen. „Die Aufträge im Baubereich gehen deutlich zurück – dies war bisher das Zugpferd“, warnt Wagner. Handwerksbetriebe wie Metzger oder Bäcker, die an Restaurants oder Hotels liefern, leiden ebenfalls stark.
Der freie Gründonnerstag ist vom Tisch, der bis 18. April verlängerte Lockdown aber bleibt – und stellt Unternehmen vor Probleme. Direkt betroffen seien im Handwerk die handwerklichen Gewerbe mit Ladengeschäften, wie Gold- und Silberschmiede, Maßschneider, Uhrmacher oder Keramiker. Diese stünden erneut praktisch ohne Geschäftsgrundlage da. „Dass der Politik wieder einmal nicht mehr einfällt, als die vor zwei Wochen beschlossenen, leichten Öffnungen einfach wieder zurückzunehmen, ist ein Armutszeugnis“, sagt Handwerkskammer-Präsident Hans-Peter Rauch.
Durch das Chaos rund um den Gründonnerstag haben Friseure die Termine ihrer Kunden an dem Tag erst storniert, jetzt müssen sie alles rückgängig machen. „Wir müssen für einen mittleren bis längeren
verlässliche Rahmenbedingungen haben“, fordert Handwerksvertreter Wagner. Statt neuer Schnellschüsse wünscht er sich von der Politik, den seit dem 8. März greifenden, an Corona-Inzidenzwerte geknüpften Stufenplan für Öffnungen und gegebenenfalls Schließungen einzuhalten. „Darauf haben sich alle Betriebe eingestellt, man darf so einen Plan nicht alle 14 Tage umwerfen.“Zudem ist Wagner überzeugt, dass die Hygienemaßnahmen
in den Betrieben greifen und Nutzen bringen. Die Autoindustrie warnte diese Woche davor, dass spontane Lockdown-Tage ihre Lieferketten massiv durcheinanderbringen.
Auch im Handel hat man die Kehrtwende am Mittwoch fassungslos verfolgt. So hatte Wolfgang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Bayern, im Gespräch mit unserer Redaktion die Corona-Beschlüsse zunächst wie folgt kommentiert: „Es ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit, nichts Halbes und nicht Ganzes. Es zeigt, dass der Staat in den wichtigen Kernbereichen der Pandemiebekämpfung versagt hat. Darunter verstehe ich: Impfen, eine schlüssige Teststrategie und die
Kontaktnachverfolgung.“Es sei genügend Zeit gewesen, sich darauf vorzubereiten, diese aber sei nicht genutzt worden. „Und nun stehen wir vor dem Dilemma, dass es mit dem Lockdown weitergeht.“Die zuerst angedachte Schließung am Gründonnerstag bezeichnete Puff als „vollkommen unverständlich“. Der ist für gewöhnlich nicht nur der umsatzstärkste Tag des Einzelhandels im ganzen Jahr, deshalb sei die Logistik „eng gestrickt und ausgefeilt“. Die Entscheidung aus Berlin brächte „alles durcheinander“. Zudem wäre durch den dann erwarteten Ansturm am Mittwoch „das Ziel der Frequenzminimierung konterkariert worden“. Er betonte: „Die vernünftigste Entscheidung wäre, diese Regel wieder zu kippen.“
Wenig später wurde sein Wunsch erhört. In Berlin wurden die Beschlüsse zur Osterruhe am Gründonnerstag zurückgenommen. Puff kommentierte das so: „Wir begrüßen die Entscheidung sehr, wir sind froh, dass es so gekommen ist, aber sie ist auch Ausdruck der Rat- und Hilflosigkeit der politisch Verantwortlichen.“Er erwartet jetzt, dass das Impfen, das Nachvollziehen von Kontakten und die Teststrategie „endlich so umgesetzt werden, wie wir uns das alle wünschen – sonst werden wir nicht zu einer Normalität zurückkommen“. Außerdem gibt Puff zu bedenken, dass MenZeitraum schenleben höher zu bewerten seien als Datenschutz. „Deshalb fehlt mir auch jegliches Verständnis, wenn unter Berufung auf datenschutzrechtliche Probleme die lebensnotwendigen Kontaktverfolgungen verhindert werden.“
Mehr Zuverlässigkeit wünscht man sich auch in der Industrie. Für die Industrie- und Handelskammer Schwaben begrüßt Hauptgeschäftsführer Marc Lucassen zwar die Rücknahme der Pläne zur Osterruhe und zollte der Bundeskanzlerin dafür Respekt. Gleichzeitig sei die Wirtschaft über die Arbeitsweise der Bundes- und Landesregierungen zunehmend besorgt, sagt er. „Es verfestigt sich der Eindruck, dass die politischen Entscheidungsträger mit der Krise überfordert sind“, kritisiert Lucassen. „Eine Dauerschleife von Entscheidungsrunden mit einem Zeithorizont von zwei Wochen ist die falsche Antwort auf die großen Herausforderungen, die wir gemeinsam meistern müssen.“
Mehr Zuverlässigkeit fordert auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft: Die Firmen setzten Hygienekonzepte um und seien nicht Treiber der Pandemie. „Unsere Unternehmen wünschen sich in der schweren Krise nun im besonderen Maße mehr Planungssicherheit durch politische Prozesse im Bund“, sagt er.
Friseure hatten schon viele Kundentermine abgesagt