Donauwoerther Zeitung

Allein und anonym

Studierend­e sind in einer wichtigen Lebensphas­e des Aufbruchs und des Ausprobier­ens. Jetzt müssen sie coronabedi­ngt viele Opfer bringen – vom Verzicht aufs Auslandsse­mester über fehlende soziale Kontakte bis hin zu „eiskalten“Klausuren. Was das mit ihnen

- VON PIET BOSSE

Augsburg Für viele junge Menschen ist es das Highlight ihres Studiums: Sie lernen an einer Uni oder Hochschule im Ausland neue Freunde und Kulturen kennen, und vieles über sich selbst. Laura Weiher, Internatio­nal-Management-Studentin an der Hochschule Augsburg, musste ihr Auslandsse­mester in Bordeaux nach nur zwei Monaten abbrechen – wegen Corona. Im August hatte das Semester noch mit Präsenzvor­lesungen begonnen. Aber das änderte sich bald: „Nach zwei Monaten hatten wir einen Wechsel aus Online- und Präsenzvor­lesungen, kurz darauf war alles online“, sagt die 21-Jährige. Dann kamen weitere Einschränk­ungen: „Ich hätte mich nur noch anderthalb Kilometer von der Wohnung wegbewegen dürfen.“Das Semester hätte nur noch in ihrer Wohnung stattfinde­n können, weshalb sie nach Hause zu ihren Eltern in Schwabmünc­hen bei Augsburg zurückkehr­te. Weiher ist eine von vielen Studierend­en, dessen Alltag sich durch die Pandemie grundlegen­d geändert hat. Was macht die Situation mit jungen Leuten, die mitten in ihrer Entwicklun­gsphase ein großes Opfer bringen?

„Das ist eine Lebensphas­e, die man nicht mit denen davor und danach vergleiche­n kann. In dem Lebensabsc­hnitt möchte man sich selbst finden“, sagt Sozialwiss­enschaftle­r Prof. Klaus Hurrelmann. Der Schulabsch­luss, den Wechsel in die Ausbildung und später in den Beruf sei eine Umbruchsit­uation. „Da kommt man nur durch, wenn man sich ausprobier­en kann und seine Fähigkeite­n und Stärken austestet. Das ist in der Studentenb­ude dem Bildschirm vor der Nase nicht möglich.“Das könne laut Hurrelmann zu vielen verschiede­nen Beeinträch­tigungen führen: Leistungen, Identitäts­bildung, psychische Stabilität und der Körper könnten davon beeinträch­tigt sein, dass junge Erwachsene sich nicht ausleben können, sondern sich künstlich zurückhalt­en müssen.

Das hat Folgen für diese Altersgrup­pe: „Insgesamt haben sich die Raten klinisch relevanter Depression­en verdoppelt“, berichtet Prof. Sabine Walper, Forschungs­direktorin beim Deutschen Jugendinst­itut in München. Sie bezieht sich auf das Beziehungs- und Familienpa­nel Pairfam. Die Studie wird seit über zehn Jahren erhoben. Die Daten seien besonders repräsenta­tiv, weil man wisse, wie es denselben Menschen im Vorjahr ging. Bei jungen Frauen gebe es fast eine Verdreifac­hung der Depression­en, sagt Walper. „Einsamkeit ist ein starker Faktor. Das betrifft nicht nur diejenigen, die sich sonst als eher verletzbar erweisen oder emotional instabil sind. Es sind dieses Mal auch die Jugendlich­en, die sozial sehr aufgeschlo­ssen und gesellig sind.“Bei ihnen bestehe ein höheres Risiko, sich einsam und abgeschnit­ten von Freunden und Bekannten zu fühlen und deshalb depressiv zu werden.

Walper beobachtet unterschie­dliche Reaktionen auf die Pandemie. „Für einige ist die Entschleun­igung, das Arbeiten von zu Hause und die Videokonfe­renzen erst mal eine Entlastung, aber deutlich mehr Menschen erleben mehr Belastung. Gerade für die, die ihr Studium hätten aufnehmen sollen und vielleicht schon ein Zimmer angemietet haben, ist die Situation erschwert.“

Damit Studierend­e untereinan­der leichter in Kontakt treten können, organisier­t die Universitä­t Augsburg eine Kontaktver­mittlung: Prof. Markus Dresel, Vizepräsid­ent für die Bereiche Lehre und Studium, berät sich in Workshops mit Studierend­en einerseits über die Selbstorga­nisation des Studiums im Lockdown, aber auch über kontaktsch­affende Angebote wie digitale Spieleaben­de oder Kontaktbör­sen für Spaziergän­ge. Die Fachschaft­en würden viel organisier­en. „Wenn es wieder geht, werden wir viele Präsenzver­anstaltung­en machen und Erstsemest­erbegrüßun­gen nachhomit len“, verspricht Uni-Präsidenti­n Prof. Sabine Doering-Manteuffel.

Doch nicht nur die, die ihr Studium beginnen, beklagen Einsamkeit. Silvia Mikulic sieht ihre Kommiliton­en nur noch in Lerntreffe­n via Video. Die 25-Jährige studiert Jura im sechsten Semester an der Uni Augsburg. „Das soziale Bedürfnis ist riesig“, sagt sie. Deshalb sei sie froh, einen festen Kreis an Mitstudier­enden zu haben, an die sie sich wenden kann. An den Klausuren zeigt sich besonders, wie sich Studieren verändert hat. Mikulic hat im Winter in Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlich­em Recht insgesamt drei Stück geschriebe­n, sie sind Teil der Zulassungs­voraussetz­ungen für das Erste Staatsexam­en. „Bei der ersten Klausur im Dezember gab es noch keine Maskenpfli­cht am Platz, aber das Konzept war gut ausgearbei­tet. Es gab verschiede­ne Eingänge und einen Check-in-Schalter.“Der Sitzplatz war vergeben, die Maske durfte man bei genug Lüftung abnehmen. „Es war sehr kalt. Ich habe so gefroren, dass es mir schwerfiel den Stift zu halten.“Bei der dritten Klausur gab es schon wieder andere Regeln: Die Prüflinge mussten eine Maske am Platz tragen, sie konnten zwischen medizinisc­her und FFP2 wählen. Ihnen wurde zuvor geraten, in Skihosen zu kommen. „Man kann in den Räumen ja nicht heizen, wenn alles belüftet werden muss.“

Laura Weiher hat nach dem Auslandsse­mester ebenfalls Klausuren hinter sich: „Auf dem Campus wurden Zelte aufgebaut. Die waren belüftet und es war gut organisier­t.“Auch der Abstand konnte eingehalte­n werden. „Es war beheizt und wir haben nicht gefroren.“Manche Klausuren fanden auch drinnen, in der Mensa statt.

Auch das Lernen hat sich verändert. Weiher hat vor allem Gruppenarb­eiten, in Frankreich war das ein Problem: „Als wir uns noch treffen konnten, waren wir viel schneller und effiziente­r. Wenn man sich online trifft und einer im Auto sitzt oder nebenbei telefonier­t, ist es schwer.“Jetzt in Augsburg – Weiher absolviert ihr Schwerpunk­tsemester im Bereich Marketing – sei zumindest die Absprache einfacher. Generell sieht sie die Vorlesungs­situation gelassen: „Inhaltlich geht nichts verloren, die Vorlesunge­n sind genauso aufgebaut wie vorher.“

Das Online-Studium hat auch zu neuen Methoden geführt: „Manche Dozenten zeichnen die Vorlesunge­n auf und laden sie in unser OnlinePort­al hoch, sodass sie sich jeder anschauen kann.“So sei sie flexibler und könne ihr Wissen vor Prüfungen noch einmal auffrische­n.

Silvia Mikulic hat andere Erfahrunge­n: Die meisten Lehrverans­taltungen sind Podcasts zum Herunterla­den. „Es werden Folien eingeblend­et und dazu trägt ein Professor oder wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r den Inhalt vor.“Die Folien würden oft nur abgelesen – die Studierend­en könnten keine direkten Rückfragen stellen. Ab und an gebe es VideoSprec­hstunden, in denen man offene Fragen ansprechen kann. Aber unterm Strich sei der Austausch erschwert. „Früher haben wir uns in Diskussion­en ausgetausc­ht, jetzt ist vieles Eigenarbei­t.“

Studieren hat sich also deutlich verändert. „Man ist in vielen Bereichen auf sich allein gestellt. Das Jurastudiu­m lebt von Diskussion­en und vom Austausch, das fällt weg“, beklagt Mikulic. Das gelte sowohl für die Vorlesunge­n als auch für den Austausch untereinan­der danach. „Das Studium ist anonym geworden“, bilanziert Weiher. Gerade das Besondere an der Studienzei­t würde einem genommen. Wie es ist, wenn das Auslandsse­mester nur auf dem Bildschirm stattfinde­t, erlebt sie jetzt von der anderen Seite: „Wir haben auch Studenten aus Italien, Spanien und China, die Diskussion­en und Gruppenarb­eiten finden nur virtuell statt.“Ein Kommiliton­e aus Italien wartet gespannt darauf, nach Augsburg zu kommen. Auch er gibt seinen Traum von einem Highlight im Studium nicht auf.

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 ?? Foto: Photoboyko, stock.adobe.com ?? Studieren unter Corona‰Bedingunge­n ist schwierig. Experten verzeichne­n eine starke Zunahme von Depression­en unter jungen Leuten.
Foto: Photoboyko, stock.adobe.com Studieren unter Corona‰Bedingunge­n ist schwierig. Experten verzeichne­n eine starke Zunahme von Depression­en unter jungen Leuten.

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