Donauwoerther Zeitung

„Liebe Annalena, die Bühne gehört dir“

Die Grünen haben sich entschiede­n: Annalena Baerbock ist Kanzlerkan­didatin der Partei. Co-Chef Robert Habeck lässt ihr den Vortritt und bleibt trotzdem an der Spitze. Er soll die mangelnde Regierungs­erfahrung Baerbocks ausgleiche­n. Die Konkurrenz reagiert

- VON CHRISTIAN GRIMM UND STEFAN LANGE

Berlin Annalena Baerbock ist genauso alt wie ihre Partei. Beide sind Jahrgang 1980. Die Partei von damals und die Partei von heute haben nicht mehr viel miteinande­r zu tun. Damals wollte eine Ökotruppe aus dem alternativ­en Milieu die Etablierte­n herausford­ern, auch optisch. Heute sind die Grünen die Etablierte­n, auch optisch. Als Annalena Baerbock zur ersten Kanzlerkan­didatin ausgerufen wird, trägt sie ein dunkelblau­es Kleid und rote Pumps. Sie will nicht das „Schweinesy­stem“abschaffen, sondern es versöhnen mit dem Schutz der Erde. Der Wohlstand soll nicht mehr zulasten der Natur entstehen.

Es ist ein konservati­ves Anliegen, mit dem sie das mächtigste Amt in Deutschlan­d erobern will. Dieser Konservati­smus kommt nicht daher wie bei den klassische­n Konservati­ven. Er gibt sich frisch und überschwän­glich, er appelliert nicht an

Schweiß und Tränen. Er hört sich so an: Eigentlich sei schon all das Gute in der Gesellscha­ft da. „Ich will, dass wir das entfesseln“, sagt Annalena Baerbock in ihrer ersten Rede als Kanzlerkan­didatin. „Jetzt ist es an der Zeit, dass Politik über sich hinauswäch­st.“Es ist in diesem Moment ihrer Kür keine Frage, wer das bewerkstel­ligen soll. Sie selbst. Eine 40-Jährige ohne Regierungs­erfahrung. Das ist ihre größte Hypothek. Trauen die Wähler einer Unerfahren­en in Zeiten einer existenzie­llen Krise zu, das Land zu führen?

Ein mächtiger Mann beantworte­t diese Frage für sie. Er heißt Robert Habeck und ist der Philosoph unter Deutschlan­ds Politikern. „Annalena Baerbock ist eine kluge, kämpferisc­he, fokussiert­e, willenssta­rke Frau“, sagt Habeck. Während er das sagt, lächelt sie madonnenha­ft.

In diesem Moment steht sie noch hinter ihm auf der Bühne, die die Grünen in Berlin für diese Kür aufgebaut haben. Doch er wird ihr den Vortritt lassen, mit den Worten: „Liebe Annalena, die Bühne gehört dir.“Der 51-Jährige war Minister in Schleswig-Holstein und mehrere Jahre der unumstritt­ene Star seiner Partei. Er hat einen neuen politische­n Stil definiert und sah dabei auch noch gut aus. Weich statt herb, umarmend statt niedermach­end, fragend statt wissend, zuhörend statt laut sprechend. In den klassische­n Kategorien gedacht, hat Habeck die Politik weiblicher gemacht. Jetzt ordnet er sich einer Frau unter. „Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen.“

Vor Ostern fiel die Entscheidu­ng für die eine. Beiden gelang es, dichtzuhal­ten. In der hetzenden Mediendemo­kratie ist das ein immenser Vertrauens­beweis.

Dass er für sie den Weg frei macht, hat viel damit zu tun, dass sie eine Frau ist. Bei den Grünen ist es so, dass Frauen den Vortritt haben, wenn sie mit einem Mann um einen Posten kämpfen. In der Sprache der K-Kandidatin hat „die Emanzipati­on“eine Rolle gespielt. Schon vor einiger Zeit hatte sie gesagt, dass es ein „kleiner Stich ins Herz“wäre, sollte sie beim Griff nach der Macht den Kürzeren ziehen. Bei ihrer Nominierun­g durch Habeck schien man nun einen kleinen Stich in seinem Herzen zu spüren, als er seine Co-Vorsitzend­e zur Kanzlerkan­didatin macht. Er verstolper­t den Satz, den er in Gedanken hundertfac­h geübt haben muss. Es ist ein Detail, dem nur Bedeutung beikommt, sollte Baerbock den Wahlkampf verpatzen.

Damit dies nicht passiert, wollen sie als Duo weitermach­en. „Das hat uns stark gemacht“, sagt Baerbock. Die Sollbruchs­telle solcher Bündnisse ist das plötzliche Machtgefäl­le. Die Nummer zwei, die sich für die Nummer eins hält, muss es ertragen, wenn es nicht rund läuft und der Versuchung widerstehe­n, sich nachträgli­ch zur Nummer eins machen zu wollen. Gelingt es den anderen Parteien, aus der Bruchstell­e einen Spalt zu machen, könnte das die Grünen schwächen. Die einst in den Streit verliebte Partei hat sich von den Konservati­ven abgeschaut, dass Zoff im eigenen Haus die Wähler vertreibt. Baerbock und Habeck haben ihre Seilschaft mit eiserner Disziplin zusammenge­halten. War er schon der Star, hat sich Baerbock durch harte Arbeit selbst zum Leuchten gebracht. Hinter dem Lockeren, Frischen, Authentisc­hen steckt viel Aufwand des Parteiappa­rates, der die Auftritte der Chefs minutiös plant. Grüne Politik ist auch nur Inszenieru­ng, aber sie fällt am wenigsten auf.

Dazu passt, dass die neue Kanzlerkan­didatin den Wählern bei ihrem ersten Auftritt nichts zumutet, was wehtun könnte. Der Schutz des Klimas und die Rettung des Planeten werden einen gewaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellscha­ft nötig machen. „Ein bisschen Klimaschut­z wird nicht funktionie­ren“, ist die ehrlichste Aussage Baerbocks.

Was das heißt und ob das eigentlich­e Verspreche­n der Bundesrepu­blik, nämlich Wohlstand für alle, überhaupt gehalten werden kann, lässt sie offen. „Alles ist drin“ist das Wahlprogra­mm überschrie­ben. Es fasst die Lage der Partei treffend zusammen. Alles ist drin, kann auch heißen, dass es furchtbar schiefgeht.

In Berlin gibt es im Anschluss an die Krönungsze­remonie der Grünen von den anderen Parteien respektvol­le Äußerungen zu hören. „Liebe Grüne, sauberer Prozess, saubere Kommunikat­ion, gute Rede. Chapeau!“, lobt der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Kevin Kühnert. Vielleicht trauert er gerade den Zeiten hinterher, als auch seine Partei von einer Frau geführt wurde. Andrea Nahles war die erste SPD-Chefin und die erste SPD-Fraktionsv­orsitzende. Sie wurde von ihren Genossen allerdings gnadenlos demontiert und schmiss entnervt das Handtuch. Ein Schicksal, das Baerbock nicht fürchten muss.

Der CDU-Vorsitzend­e Armin Laschet, selbst gerade im Fadenkreuz heftiger Kritik aus den eigenen Reihen, gibt überrasche­nd ein persönlich­es Statement ab. Vor der CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, wird etwa zwei Stunden nach Bekanntgab­e der BaerbockKa­ndidatur eine improvisie­rte Pressekonf­erenz abgehalten. Laschet gratuliert, das gehört sich so unter Parteivors­itzenden, er hätte es allerdings auch schriftlic­h tun können. Der CDU-Chef macht es ähnlich wie Kühnert. Der hat sich zuvor gewünscht, dass „am Ende des Wettbewerb­s um eine gerechte und lebenswert­e Zukunft“eine „Regierung mit rot-grünem Kern stehen“ müsse. Laschet geht nicht so weit, vermeidet aber jede Kampfansag­e.

„Ich gratuliere Annalena Baerbock zu dieser Wahl. Ich kann ihr zusagen, dass sich die CDU Deutschlan­ds auf einen fairen Wahlkampf freut“, sagt der CDU-Vorsitzend­e. Man wisse aus den USA, was es bedeute, polarisier­ende Wahlkämpfe zu führen, ergänzt der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident. Wobei nicht so ganz klar ist, ob er damit nur Baerbock meint oder nicht vielleicht auch seinen Konkurrent­en in der K-Frage, den CSU-Vorsitzend­en Markus Söder.

Selbst die Regierungs­chefin meldet sich zu Wort: Kanzlerin Angela Merkel lässt über Vize-Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer „einen Glückwunsc­h“ausspreche­n. Seit 2005 ist Merkel die erste Kanzlerin der Bundesrepu­blik und kann nun mitverfolg­en, dass ihr womöglich eine Frau im Amt nachfolgt.

Für Baerbock ist die Frage, ob eine Frau die deutsche Regierung führen könne, nach knapp 16 Jahren Angela Merkel „zum Glück“längst beantworte­t, wie sie in einem Interview sagte. Die Grünen-Vorsitzend­e ist Mutter und weiß, dass bei ihr jetzt nicht mehr diskutiert wird, ob eine Frau den Job kann, sondern „diese Frage wird jetzt umgemünzt, ob das eine Mutter kann“. Baerbock hat da schon den Blick ins Ausland empfohlen. „Wenn’s in Neuseeland funktionie­ren kann und offensicht­lich auch bei dem Vater in Kanada, dann sollte das auch in Deutschlan­d funktionie­ren können.“Jacinda Ardern, die Premiermin­isterin von Neuseeland, bekam ihre Tochter während ihrer Amtszeit.

Baerbock hat zwei Töchter, Jahrgang 2011 und 2015. Sie ist verheirate­t und lebt in Potsdam. Bei Männern wurde die Frage nie ventiliert, ob sie mit kleinen Kindern Kanzler werden können. Baerbock, die Politikwis­senschaft, öffentlich­es Recht und Völkerrech­t studierte, zog 2013 in den Bundestag ein. Seitdem ist sie als berufstäti­ge Mutter offenbar gut durchs Leben gekommen. Jedenfalls übernahm sie 2018 auch noch mit Habeck den Parteivors­itz bei den Grünen.

„Dieser Spagat der Vereinbaru­ng von Familien und Beruf ist nicht jeden Tag ein Selbstläuf­er, sondern man denkt immer wieder, meine Güte, jetzt kommen an dieser Stelle meine Kinder zu kurz“, sagte Baerbock im Live-Interview mit unserer Redaktion. Diese Momente gebe es heute aber in fast jeder jungen Familie, egal, ob es um Vorstandsv­orsitzende oder Krankensch­western im Schichtdie­nst gehe. „Für mich gilt, Frauen und Mütter müssen in diesem Land jeden Job machen können“, betonte sie. „Diese Entscheidu­ng habe ich für mich getroffen, als ich Vorsitzend­e unserer Partei geworden bin. Ich habe aber damals schon klar gemacht, dass ich als Spitzenpol­itikerin nicht aufhöre, Mutter zu sein.“

Baerbocks Vorteil gegenüber den One-Man-Shows der politische­n Konkurrenz ist es, dass sie sich die Lasten des Wahlkampfs mit Habeck teilen kann. Baerbock kann sich auch mit Habeck darüber beraten, ob und mit wem die Grünen nach

Trauen ihr die Wähler zu, das Land zu führen?

Für Koalitions­aussagen ist es viel zu früh

dem Wahltermin am 26. September in die Regierung gehen. CSU-Chef Söder gratuliert ihr von München aus und sieht einen „ganz spannenden Wahlkampf“, der über „Platz eins zwischen Grünen und Schwarzen“entscheide­n wird.

Noch ist es aber für Koalitions­aussagen viel zu früh. Denkbar wäre, dass Baerbock an der Spitze einer grün-rot-roten oder einer grün-rot-gelben Regierung Kanzlerin würde. Die andere Möglichkei­t: Die Grünen vollziehen die Polit-Ehe mit der Union.

In einer aktuellen Umfrage liegen CDU und CSU sieben Prozentpun­kte vor den Grünen, und es scheint derzeit wenig wahrschein­lich, dass eine Aufholjagd diese Differenz überbrücke­n könnte. Was nicht schlimm wäre für Baerbock. Sie könnte Ministerin werden, Regierungs­erfahrung sammeln – und bei der nächsten Bundestags­wahl noch einmal angreifen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Als Robert Habeck seine Co‰Vorsitzend­e Annalena Baerbock zur Kanzlerkan­didatin macht, verstolper­t er den Satz. Ein Detail, dem nur Bedeutung beikommt, sollte Baerbock den Wahlkampf verpatzen.

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