Donauwoerther Zeitung

Vorreiter der digitalen Sparte

Die Pandemie hat die deutschen Bühnen dazu gezwungen, das Internet mit all seinen Möglichkei­ten viel stärker zu nutzen. Das Augsburger Staatsthea­ter geht innovativ voran

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Die Corona-Krise hat die deutschen Theater grundsätzl­ich mit den Möglichkei­ten und der Notwendigk­eit der Digitalisi­erung konfrontie­rt. Eine eigene Seite mit einer Premieren-Übersicht, dem Spielplan, der Vorstellun­g des Ensembles und der Möglichkei­t zum Kartenkauf, das war vor der Pandemie der digitale Standard deutscher Theater. Hinzu kamen Social-Media-Kanäle auf Facebook, Instagram und Twitter, die zu Marketing-Zwecken genutzt worden sind. Die künstleris­che Arbeit der Häuser fand auf der Bühne und vor Publikum statt. Wer dann und wann eine ins Netz übertragen­e Inszenieru­ng anbot, gehörte schon zu den Vorreitern. Im Internet gezeigt wurde dabei, was für die Bühne entstanden war. Eine B-Lösung fürs digitale Publikum, weil Bühnenprod­uktionen ja in allererste­r Linie an den Zuschauer im Saal denken und nicht an den zu Hause vor dem Bildschirm.

Dann stand alles still wegen der Corona-Pandemie. Als den Verantwort­lichen dämmerte, dass es so schnell kein zurück zu dem Vor-Corona-Zustand geben würde, reagierten fast alle Häuser gleich, sie suchten verstärkt künstleris­che Präsenz im Netz, um dort die eigene künstleris­che Arbeit fortsetzen zu können.

Was für viele anfangs wie eine Zwischenlö­sung erschien, scheint sich nun, ein Jahr nach dem Ausbruch von Corona, aber zu verstetige­n. Einfach wieder zurück auf den digitalen Vor-Corona-Stand möchten viele nicht mehr gehen. Das wird jetzt zum Beispiel in einem Zusammensc­hluss von 15 Theatern zum theaternet­zwerk.digital deutlich – maßgeblich initiiert von der Akademie für Theater und Digitalitä­t Dortmund, dem Theater Dortmund und dem Staatsthea­ter Augsburg. Unter den Teilnehmer­n befinden sich die Münchner Kammerspie­le, das Wiener Volkstheat­er, das Schauspiel Köln, aber auch kleine Bühnen wie das Zimmerthea­ter Tübingen.

Dass das Staatsthea­ter Augsburg zu den Vorreitern digitaler Projekte in Deutschlan­d gehört, liegt auch daran, dass es bereits vor Corona mit neuen visuellen Konzepten experiment­ieren wollte. Für die OpernInsze­nierung „Orfeo ed Euridice“ließ Intendant André Bücker Virtual-Reality-Brillen anschaffen, ursprüngli­ch dazu gedacht, das Publikum im Saal damit auszustatt­en und dieses auf eine zusätzlich­e, rein virtuelle Bühne zu führen.

Die Inszenieru­ng musste Coronabedi­ngt verschoben werden, die VR-Brillen allerdings kamen nicht in den Fundus, sondern dienten gleich während des ersten Lockdowns dazu, Theaterpro­duktionen zum Publikum nach Hause zu brinDazu nahm das Staatsthea­ter anfangs bereits bestehende Produktion­en, inszeniert­e diese neu für die Aufnahme mit Spezialkam­eras, überspielt­e die Filme auf die Brillen, schuf dazu einen Lieferdien­st und bot dem Publikum ein neues Theatererl­ebnis: zu Hause in den eigenen vier Wänden, allein mit dieser Brille,

die einen sehr schnell dazu bringt, sich öfter um die eigene Achse zu bewegen, um das 360-GradSeherl­ebnis voll auszukoste­n.

Das war neu und innovativ und etwas anderes als eine abgefilmte und ins Netz übertragen­e Inszenieru­ng und unterschie­d sich dadurch auch von den vielen Wohnzimmer­Stücken und Projekten, die vergangene­s Frühjahr als künstleris­che Reaktion auf den Lockdown zu sehen waren. Das Staatsthea­ter Augsburg hatte sich damit allerdings selbst überholt. „Ich hatte zu Beginn der vergangene­n Spielzeit angekündig­t, perspektiv­isch eine digitale Sparte zu gründen und plötzlich war sie bereits da“, sagt Bücker, der Intendant des Staatsthea­ters. Deshalb folgte an seiner Bühne auf den zweiten auch der erste Schritt, nämlich diesen Prozess zu institutio­nalisieren. Die Sparte bekam eine Leiterin – Tina Lorenz – und mit ihr wiederum ein Bündel an neuen Ideen. Das Staatsthea­ter entdeckte für sich eine Internet-Plattform, auf der sich sonst Computersp­ieler tummeln, die dort anderen beim Computersp­ielen zuschauen. Dort – auf twitch – etablierte das Haus ein neues Serienform­at, das stark von seiner Interaktiv­ität mit dem Publikum lebt. „Das wollen wir weiter ausbauen“, sagt Bücker. Er erzählt auch, dass gerade ein bundesweit­er Theater-Hub am Entstehen ist, ein richtiges, rein digitales Theater, in dem sich Schauspiel­er und Publikum virtuell treffen können.

Nun hat sich auch das eingangs erwähnte Netzwerk gegründet, vorangetri­eben auch durch das Staatsthea­ter Augsburg. Darin sollen die Erfahrunge­n mit verschiede­nen Formen der Digitalisi­erung ausgetausc­ht werden. In der gemeinsage­n. men Gründungse­rklärung heißt es, dass die Digitalisi­erung zentrale Grundfeste­n des Kulturbere­ichs grundsätzl­ich infrage stelle, etwa wie inszeniert werde, aber auch, wie und wo Kultur von den Menschen genutzt werde. Dem wollen sich die Theater vorwärtsge­wandt stellen. „Wir wollen den digitalen Wandel aktiv und mit den Mitteln der Kunst gestalten; wir möchten uns neue Spiel- und Handlungsr­äume erschließe­n, wollen den physischen Bühnenraum ins Digitale erweitern und neue Formen der Zusammenar­beit testen“, heißt es auf der Internetse­ite des Netzwerks.

Für das Staatsthea­ter Augsburg werden die neuen digitalen Formate, die in der Corona-Pandemie entstanden sind, kein Zwischensp­iel sein. „Wir haben uns eine zusätzlich­e künstleris­che Spielart und ein neues Experiment­ierfeld geschaffen“, sagt Bücker, auf das sich sein Haus weiter einlassen wolle. Allerdings müsse niemand Angst haben, dass das Haus deshalb seine Bühnen vernachläs­sigen werde. „Wir werden deshalb nicht weniger klassische­s Theater spielen.“

Das Staatsthea­ter Augsburg hat sich selbst überholt

 ?? Foto: Jan‰PIeter Fuhr, Staatsthea­ter Augsburg ?? Virtual‰Reality‰Brillen kommen beim Staatsthea­ter Augsburg nicht nur als Requisit auf die Bühne (hier in „Orfeo ed Euridice“), sondern auch zum Publikum nach Hause – mit kompletten Inszenieru­ngen.
Foto: Jan‰PIeter Fuhr, Staatsthea­ter Augsburg Virtual‰Reality‰Brillen kommen beim Staatsthea­ter Augsburg nicht nur als Requisit auf die Bühne (hier in „Orfeo ed Euridice“), sondern auch zum Publikum nach Hause – mit kompletten Inszenieru­ngen.

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