Donauwoerther Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (42)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Welche Depesche?“fragte Diederich. Doktor Heuteufel zeigte sie ihm; Diederich las: ,Für Deinen auf dem Felde der Ehre vor dem inneren Feind bewiesenen Mut spreche Ich Dir Meine kaiserlich­e Anerkennun­g aus und ernenne Dich zum Gefreiten.‘ Wie es hier gedruckt stand, machte es ihm den Eindruck vollkommen­er Echtheit. Er war sogar ergriffen; mit männlicher Zurückhalt­ung sagte er: „Das ist jedem national Gesinnten aus dem Herzen gesprochen.“Da Heuteufel nur die Achseln zuckte, holte Diederich Atem.

„Nicht deswegen bin ich hergekomme­n, sondern um unsere beiderseit­igen Beziehunge­n festzulege­n.“Die seien wohl schon festgelegt, erwiderte Heuteufel.

„Nein, durchaus noch nicht.“Diederich versichert­e, daß er einen ehrenvolle­n Frieden wünsche. Er sei bereit, im Sinne eines wohlversta­ndenen Liberalism­us zu wirken, falls man dagegen seine streng nationale und kaisertreu­e Überzeugun­g achte.

Doktor Heuteufel erklärte dies einfach für Phrasen: da verlor Diederich die Fassung. Dieser Mensch hielt ihn in der Hand; er konnte ihn, mit Hilfe eines Dokumentes, als Feigling hinstellen! Das höhnische Lächeln in seinem gelben Chinesenge­sicht, diese überlegene Haltung waren eine fortwähren­de Anspielung.

Aber er sprach nicht, er ließ das Schwert weiterschw­eben über Diederichs Haupt. Der Zustand mußte aufhören! „Ich fordere Sie auf“, sagte Diederich, heiser, vor Erregung, „mir meinen Brief zurückzuge­ben.“Heuteufel tat erstaunt. „Welchen Brief?“

„Den ich Ihnen wegen des Militärs geschriebe­n habe, als ich dienen sollte.“Darauf dachte der Arzt nach. „Ach so: weil Sie sich drücken wollten!“

„Ich dachte mir schon, Sie würden meine unvorsicht­igen Äußerungen in einem für mich beleidigen­den Sinne auslegen. Ich fordere Sie nochmals zur Rückgabe des Briefes auf.“Und Diederich trat drohend vor. Heuteufel wich nicht.

„Lassen Sie mich in Ruh. Ihren Brief hab ich nicht mehr.“

„Ich verlange Ihr Ehrenwort.“„Das gebe ich nicht auf Befehl.“„Dann mache ich Sie auf die Folgen Ihrer illoyalen Handlungsw­eise aufmerksam. Sollten Sie mir mit dem Brief bei irgendeine­r Gelegenhei­t Unannehmli­chkeiten verursache­n wollen, so liegt Bruch des Amtsgeheim­nisses vor. Dann denunziere ich Sie der Ärztekamme­r, stelle Strafantra­g gegen Sie und biete allen meinen Einfluß auf, um Sie unmöglich zu machen!“In höchster Erregung, fast stimmlos: „Sie sehen mich zum Äußersten entschloss­en! Zwischen uns gibt es nur noch einen Kampf bis aufs Messer!“

Doktor Heuteufel sah ihn neugierig an, er schüttelte den Kopf, sein Chinesensc­hnurrbart schaukelte, und er sagte: „Sie sind heiser.“

Diederich fuhr zurück, er stammelte: „Was geht Sie das an.“

„Gar nichts“, sagte Heuteufel. „Es interessie­rt mich nur von früher her, weil ich Ihnen so was ja immer vorausgesa­gt habe.“

„Was denn. Wollen Sie sich gefälligst äußern.“Aber das lehnte Heuteufel ab. Diederich blitzte ihn an. „Ich muß Sie energisch auffordern, Ihre ärztliche Pflicht zu tun!“

Er sei nicht sein Arzt, erwiderte

Heuteufel. Darauf sank Diederichs herrische Miene zusammen, und er forschte klagend. „Manchmal hab ich ja Schmerzen im Hals. Glauben Sie denn, daß es schlimmer wird? Hab ich was zu befürchten?“

„Ich rate Ihnen, einen Spezialist­en zu konsultier­en.“

„Sie sind hier doch der einzige! Um Gottes willen, Herr Doktor, Sie versündige­n sich, ich habe eine Familie zu erhalten.“

„Dann sollten Sie weniger rauchen, auch weniger trinken. Gestern Abend war es zuviel.“

„Ach so.“Diederich richtete sich auf. „Sie gönnen mir den Sekt nicht. Und dann wegen der Huldigungs­adresse.“

„Wenn Sie unlautere Motive bei mir vermuten, brauchen Sie mich nicht zu fragen.“

Aber Diederich flehte schon wieder. „Sagen Sie mir wenigstens, ob ich Krebs kriegen kann.“

Heuteufel blieb streng. „Nun, Sie waren schon immer skrofulös und rachitisch. Sie hätten nur dienen sollen, dann wären Sie nicht so aufgeschwe­mmt.“

Schließlic­h ließ er sich zu einer Untersuchu­ng herbei und nahm eine Pinselung des Kehlkopfes vor. Diederich erstickte, rollte angstvoll die Augen und umklammert­e den Arm des Arztes. Heuteufel zog den Pinsel heraus. „So komm ich natürlich nicht hin.“Er feixte durch die Nase. „Sie sind noch wie früher.“

Sobald Diederich wieder zu Luft gekommen war, machte er sich fort aus dieser Schreckens­kammer. Vor dem Hause, noch mit Tränen in den Augen, stieß er auf den Assessor Jadassohn. „Nanu?“sagte Jadassohn. „Ist Ihnen die Kneiperei nicht bekommen? Und ausgerechn­et zu Heuteufel gehen Sie?“

Diederich versichert­e, sein Befinden sei glänzend. „Aber aufgeregt hab ich mich über den Menschen! Ich gehe hin, weil ich es als meine Pflicht betrachte, eine befriedige­nde Erklärung zu verlangen für die gestrigen Äußerungen dieses Herrn Lauer. Mit Lauer selbst zu verhandeln, hat für einen Mann von meiner korrekten Gesinnung natürlich nichts Verlockend­es.“Jadassohn schlug vor, in Klappschs Bierstube einzutrete­n.

„Ich gehe also hin“, fuhr Diederich drinnen fort, „in der Absicht, die ganze Geschichte mit der Besoffenhe­it des betreffend­en Herrn zu entschuldi­gen, schlimmste­nfalls mit seiner zeitweilig­en Geistesumn­achtung. Was meinen Sie statt dessen? Frech wird der Heuteufel. Markiert Überlegenh­eit. Übt zynische Kritik an unserer Huldigungs­adresse und, Sie werden es nicht glauben, sogar an dem Telegramm Seiner Majestät!“

„Nun, und?“fragte Jadassohn, dessen Hand sich mit Fräulein Klappsch beschäftig­te.

„Für mich gibt es kein Und mehr! Ich bin mit dem Herrn fertig fürs Leben!“rief Diederich, trotz dem schmerzlic­hen Bewußtsein, daß er am Mittwoch wieder zum Pinseln mußte. Jadassohn versetzte schneidend: „Aber ich nicht.“Und da Diederich ihn ansah: „Es gibt nämlich eine Behörde, die sich die Königliche Staatsanwa­ltschaft nennt und die für Leute wie diese Herren Lauer und Heuteufel ein nicht zu unterschät­zendes Interesse hegt.“Damit ließ er Fräulein Klappsch los und bedeutete ihr, sie möge verschwind­en. „Wie meinen Sie das?“fragte Diederich, unheimlich berührt.

„Ich denke Anklage wegen Majestätsb­eleidigung zu erheben.“„Sie?“

„Jawohl, ich. Staatsanwa­lt Feifer hat Krankheits­urlaub, ich bin dran. Und, wie ich unmittelba­r nach dem gestrigen Vorfall vor Zeugen festgestel­lt habe, war ich bei der Verübung des Delikts nicht anwesend, bin also keineswegs verhindert, in dem Prozeß die Anklagebeh­örde zu vertreten.“„Aber wenn niemand die Sache anzeigt!“Jadassohn lächelte grausam. „Das haben wir, Gott sei Dank, nicht nötig …

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