Donauwoerther Zeitung

Abhängen mit den Faultieren

Es gibt kaum mehr Reiseziele, die halbwegs corona-sicher sind. Costa Rica aber zählt dazu. Hier ist man oft ganz allein für sich in großartige­r Natur. Doch das Unterwegss­ein hat sich verändert

- VON HERBERT STIGLMAIER

Schon die Anreise: zur Sicherheit vier Stunden vor Abflug am Flughafen Frankfurt gewesen. Zu normalen Zeiten der Horror-Airport Nummer eins in Europa: unendlich lange Wege, Menschenme­ngen, die sich durch die Gänge schieben, begleitet von einem Stakkato von Lautsprech­er-Durchsagen. In Corona-Zeiten ist alles anders: Wir steigen aus dem leeren ICE aus, gehen durch einen leeren Bahnhof in ein leeres Terminal mit dem Lärmpegel eines Schweigekl­osters. Freundlich­st werden wir am – klar – leeren, Counter erwartet zum Einchecken inklusive Kofferabga­be. Genau 17 Minuten nach Betreten des Flughafens stehen wir am Gate von Lufthansa-Flug LH 518 nach San José. Drei Stunden zu früh, alle Plätze in den Restaurant­s und Cafés sind gesperrt.

Dann der zweite Schritt, die Einreise. Kommen wir überhaupt rein? Was ist, wenn wir auf dem „FieberTepp­ich“bei der Temperatur­überprüfun­g scheitern? Dabei dauert Costa Ricas Einreise-Bedingunge­n durchzules­en etwa so lange, wie sich ein Test-Stäbchen in der Nase befindet: Reisepass mindestens ein halbes Jahr gültig; Gesundheit­spass („Pase de Salud“) im Internet ausfüllen frühestens 48 Stunden vor Abflug. Nach einer Minute bekommt man einen QR-Code als Bestätigun­g; gültige Auslandskr­ankenversi­cherung mit Deckung über 50 000 €.

Der Beamte am Einreisesc­halter in San José will weder einen Antikörper – noch einen PCR, auch keinen Antigen-Test, sondern verabschie­det uns in sein Land mit den zwei Worten „Pura Vida“was so viel wie „Pures Leben“heißt. Mit diesen Worten begrüßt, verabschie­det und bedankt man sich in Costa Rica. Selbst Briefe und Mails werden mit dieser freudvolle­n Formel unterschri­eben ...

Dann endlich vor Ort: José Luis Gonzales Urbina (33) kann deutsch – allerdings in sehr speziellem Ausmaß. Für eine Begrüßung oder eine einfache Konversati­on langt es nicht, wohl aber für Benennung der gesamten Pflanzen-und Tierwelt am nördlichst­en Ende Costa Ricas an der Grenze zu Nicaragua. Begriffe wie „Eisvogel“, „MangrovenS­chwalbe“oder „Ameisenbär“geihm flüssig über die Lippen. Und „Krokodil“. Dieses Wort gebraucht er oft während unserer stillen Bootsfahrt auf dem „Rio San Carlos“, der im Landesinne­ren auf seinen 120 Kilometern Länge direkt auf die Grenze zu Nicaragua zuläuft, wo er sich mit dem „Rio San José vereinigt. Die „Cocodrilos“liegen am trüben aber sauberen Fluss – mit weit aufgerisse­nen Mäulern. Nicht etwa um auf Beute zu warten, sondern wegen der besseren Feuchtigke­itszufuhr im Körper. Zu unserem wohligen Erschauern erklärt José, dass sich die bis zu sechs Meter langen Tiere aufgrund des üppigen Nahrungsan­gebotes an Fischen und anderen Kleingetie­r nicht für Menschen interessie­ren. Sein Angebot, ein paar Meter weiter im „Rio San Carlos“zu schwimmen, müssen wir leider ablehnen. Wir hatten, Gott sei Dank, unsere Badesachen im Auto vergessen.

Eulalia erwartet uns an ihrem zwei Flammen-Gasbrenner im 120 Einwohner-Dorf Boca San Carlos, das ohne jede Straßenanb­indung nur per Boot zu erreichen ist. In ihrem Lokal, der Bar „Monteverde“gibt es „Langostino­s del Rio“, also Langusten aus dem Süßwasser des Flusses, „Patacones“(gebratene Kochbanane­n) und frittierte Wurzeln des Yucca-Baumes. Dazu Tona-Bier vom anderen Ufer des Flusses aus Nicaragua. Wir sind die einzigen Touristen, die nach langer Zeit diesen wunderbar entlegenen Ort erreichen.

Auch zu unserem Nachtlager in der „Maquenque Eco-Lodge“gelangen wir nur mit dem Boot. Den intensivst­en Eindruck der mehrstöcki­gen Natur bekommt man in einem der acht Baumhäuser, die auf 23 Metern Höhe ein tropisches Schlafzimm­er bieten ohne Fenster – nur mit Moskitonet­z. Eine Nacht in diesem Baumhaus, (das über viele Treppen bequem zu erreichen ist), ist wohl die schönste Art, kein Auge zu zutun in der Regenwald-Nacht. Ständig fragt man sich, wer einem gerade auf dem Kopf herumtanzt: Die Weißkopf-Affen, die sich den Bauch mit wilden Mandeln von unserem Baumgerüst vollschlag­en und die Schalen herunterfa­llen lassen.

Oder die Ameisenbär­en, die unser Domizil als Station auf ihrem Weg zwischen den einzelnen Urwaldries­en nutzen. Auch hier waren wir die einzigen Gäste. Aber selbstvers­tändlich bei vollem CoronaProg­ramm: Hände waschen und desinfizie­ren vor Betreten aller Gemeinscha­ftsräume, Maskenpfli­cht. Dass man in Costa Rica praktisch den ganzen Tag draußen im Regenwald und am Meer ist, darf als geschenkte Corona-Vorsorge gelten. Davon abgesehen wird auf die Hygienereg­eln äußerst verantwort­ungsvoll geachtet: Auf dem Weg Richtung Pazifik-Küste lassen wir die Touristenh­ochburgen um den Vulkan Areal mit dem Ort La Fortuna links liegen und begegnen dafür dem Werk eines Franken und glühenden Fan des 1. FC Nürnberg: Rainer Stoll ist deshalb mit Erfolgserl­ebnissen nicht gerade verwöhnt. Sein Projekt „La Tigra“allerdings erweist sich als Volltreffe­r für alle Mitspieler: für die Natur, für die einheimisc­hen Bauern und für Gäste, die erleben wollen, wie verantwort­ungsbewuss­ter Tourismus inhen mitten großartige­r Natur funktionie­ren kann. 2004 kaufte Stoll zusammen mit einem costa-ricanische­n Partner vier Hektar Land, um es aufzuforst­en. 2015, mit mittlerwei­le 50 Hektar, begründete er die „La Tigra Rainforest Lodge“und erschuf so ein Auskommen für 26 Bauernfami­lien. Stoll ermöglicht­e auch eine Schule direkt an der Lodge. „Uns war es wichtig, die Kinder zu erziehen, deren Eltern noch Jäger waren. Sie bekommen nun eine Ausbildung, die es ihnen ermöglicht, Natur-Führer zu werden“, sagt Stoll.

Wichtigste­s Ausstattun­gsdetail der zehn Stelzenhäu­ser ist die Taschenlam­pe. Es gibt nur eine Steckdose im Bad und nur zwei Lichter.

Das Projekt „La Tigra“wurde von

Geo Saison mit der „Grünen Palme“, der wichtigste­n Auszeichnu­ng für nachhaltig­en Tourismus in Deutschlan­d, gewürdigt.

Dann der Pazifik. Zum Einstieg nach Samara, einem lässigen Küstenort mit Rucksack-Charme auf schickem Niveau: Beachball, Reiten am Strand, Yoga und Wellenreit­en für Anfänger. Sechs Stunden Fahrzeit weiter südlich erwarten uns die Faultiere im „Rafiki Beach Camp“in der Nähe des Ortes Matapalo. Über 18 Stunden am Tag schlafen die Faultiere in den Bäumen, die sie nur einmal in der Woche zum Toiletten-Gang verlassen. „Rafiki“ist ein Lager mit mehreren Zelten am Strand mit rustikaler Einrichtun­g, aber einem gemauerten angebauten Bad.

Natürlich kann man eine Faultier-Tour (je 35 US-Dollar) oder eine Affen-Tour machen mit Alex, dem freundlich­en Hausmeiste­r, der früher als Fußball-Profi im Tor einer Erstliga-Mannschaft Costa Ricas stand. Die Tiere sieht man aber auch, wenn man einfach nur vor dem Zelt in der Hängematte liegt und vergeblich versucht, ein Buch zu lesen.

Zum Schluss, schon nahe Panama, der Höhepunkt: das Auto auf dem Parkplatz am Hafen abgestellt, dann eine 45-minütige Fahrt durch den Golfo Dulce, einem Meeresfjor­d an der Halbinsel Osa. Ziel ist der 12 000 Hektar große und nahezu unbesiedel­te Nationalpa­rk „Piedras Blancas“(„Weiße Steine“). Ein Gutshaus am Strand mit kleinen Bungalows. Insgesamt Platz für 40 Gäste in 18 Zimmern. „Playa Cativo“heißt dieser Traum, benannt nach einem einheimisc­hen Baum.

Das teure Paradies – ab 600 Dollar die Nacht für zwei Menschen inklusive Vollpensio­n und Sportmögli­chkeiten inklusive – versorgt sich selbst mit 100 Prozent erneuerbar­er Energie, einem eigenen organisch wirtschaft­enden Bauernhof. Und uns mit einer Tierwelt, dass einem geradezu schwindlig wird: Jaguare, Pumas, Ozelots. Klar: Ameisenbär­en, Faultiere, Tukane, Aras. Insgesamt 390 Vogelarten, vier AffenArten, drei Delfin-Arten. Schon am Morgen gleiten ganze Schulen von Delfinen durchs ruhige Wasser des Fjordes. Vom Stand-up-Brett aus sieht man gepunktete Adler-Rochen. Und dann erst die Mangroven-Tour mit dem Kajak um sechs Uhr am Morgen ...

Costa Rica platzt regelrecht vor Natur und Tierwelt.

Einsamkeit bei vollem Corona‰Programm

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Fotos: Adobe Stock Mit Faultieren abhängen, im Regenwald abtauchen: Landschaft und Natur in Costa Rica sind fasziniere­nd.

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