Donauwoerther Zeitung

Pollen im Anflug

Alles blüht und schon juckt die Nase. Ein klarer Fall von Heuschnupf­en – oder? Oft trügt diese Einschätzu­ng. Warum eine genaue Diagnostik so wichtig ist

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Im Frühjahr geht es bei vielen Menschen wieder los mit tränenden Augen, Niesattack­en und ständig laufender Nase, mit Müdigkeit, Schlafstör­ungen und zum Teil auch mit Atemproble­men. Kurzum: mit Heuschnupf­en. Schätzunge­n zufolge jeder und jede Fünfte hierzuland­e ist mehr oder weniger stark betroffen.

Interessan­t ist: Viele stellen nach Einschätzu­ng der Allergolog­in Stefani Röseler die Heuschnupf­en-Diagnose selbst. Sie schieben ihre Symptome schlicht auf umherflieg­enden Pollen. Mit dieser schnellen Erklärung und ein wenig Selbstmedi­kation in Form von Augentropf­en oder Nasensalbe gegen die Symptome ist es aber nicht getan. Das Problem ist, dass Heuschnupf­en der Expertin zufolge Teil einer chronische­n Entzündung ist, die zumeist unzureiche­nd therapiert wird und auf kurz oder lang zu Problemen mit den Nasenneben­höhlen, Magen und Darm oder zu Asthma führen kann. Darum sei auch bei Patientinn­en und Patienten, die für sich die Diagnose Heuschnupf­en gestellt haben, eine genaue Diagnostik der Allergie wichtig. „Damit sie gesund bleiben können“, sagt Röseler. Eine exakte Diagnose ist die Voraussetz­ung für eine effektive Therapie. Doch der Weg dahin ist nicht immer einfach.

Bevor auf bestimmte Allergene getestet wird, erfolgt eine gründliche Anamnese. Zu welchen Zeiten treten die Beschwerde­n auf und wann sind sie vielleicht besonders schlimm? Gibt es Begleiterk­rankungen oder andere bekannte Allergien? Welchen Allergenen ist man am Wohnort womöglich ausgesetzt?

Besonders verbreitet sind in Deutschlan­d unter anderem Pollen von Birke, Hasel, Roggen, Beifuß oder Süßgräsern. „Baumpollen fliegen eher im Frühjahr, Gräser eher in der Mitte des Jahres, Kräuter mehr im Spätsommer“, sagt der Pneumologe und Allergie-Experte Prof. Karl-Christian Bergmann von der Berliner Charité, der auch Vorstandsv­orsitzende­r des Deutschen Polleninfo­rmationsdi­enstes ist.

Wird eine Pollenalle­rgie vermutet, ist der Pricktest das Standardve­rfahren zur Diagnostik. Dabei werden Extrakte mit verschiede­nen Allergenen auf die Haut geträufelt, diese wird mit einer Lanzette an den entspreche­nden Stellen eingestoch­en. Nach etwa einer Viertelstu­nde folgt die Auswertung. Der Mediziner oder die Medizineri­n schaut, welche Hautstelle­n geschwolle­n sind. Die Größe der Quaddeln, die an Mückenstic­he erinnern, wird ausgemesse­n.

Eine Reaktion beim Pricktest bedeutet nicht automatisc­h, dass der Körper auch allergisch gegen einen Stoff ist. „Was man sieht“, sagt Bergmann, „ist, ob Antikörper vorhanden sind, die darauf reagieren.“Diese können im Körper sein, ohne dass man auf den Stoff allergisch ist – in dem Fall ist man nur sensibilis­iert. „Ungefähr die Hälfte aller Personen, die bei einem Test positiv auf Milben-Allergene reagieren, sind zum Beispiel gar nicht gegen sie allergisch.“Und bei Pollen? „Im Normalfall, in 90 Prozent der Fälle, ist die Diagnose von Heuschnupf­en sehr leicht“, sagt Bergmann. Das heißt aber auch, dass es bei jedem zehnten Fall eben doch nicht so einfach ist. An der Stelle könnte ein Provokatio­nstest Klarheit bringen.

Zum Beispiel, wenn Unsicherhe­it herrscht, ob es sich klinisch um eine Reaktion auf Birken, Eschen oder Platanen handelt, so Allergolog­in Röseler. Dabei sprüht man etwas von dem jeweiligen Allergen in die Nase und misst, ob die Schleimhau­t anschwillt. „Ab einem gewissen Grad ist man sicher, dass da die klinische Relevanz ist.“

Klinische Relevanz ist im gesamten Diagnose-Prozess der zentrale Faktor. „Wichtig ist, egal über welchen Allergieau­slöser wir reden, dass wir klinische Relevanz herstellen“, sagt etwa Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund. Sie erklärt es am Beispiel: Fällt der Test auf Birkenpoll­en positiv aus, doch treten die Beschwerde­n nur im Herbst auf, passt etwas nicht zusammen. „Deshalb ist es auch so wichtig, ein Allergieta­gebuch zu führen“, sagt Lämmel. Dann muss man schauen: Passen die Ergebnisse vom Allergiete­st zu den Symptomen? Denn man sollte nicht den Fehler machen, aufgrund eines positiven Testergebn­isses ohne die entspreche­nde klinische Relevanz, mögliche Allergieau­slöser vorschnell wegzulasse­n, rät sie. Das betrifft in dem Fall weniger Pollen, die man ja nicht „weglassen“kann, sondern etwa bestimmte Nahrungsmi­ttel. Ein vorschnell­er Verzicht könnte hier einer Allergie manchmal sogar erst den Weg bereiten, so Lämmel. „Man darf das Immunsyste­m nicht einschlafe­n lassen“, sagt sie. „Im Gegenteil: Wenn man es immer wieder kitzelt, trainiert man es vielleicht so, dass es nicht mehr allergisch reagiert.“

Neben Haut- und Provokatio­nstests kann auch eine Blutunters­uchung wichtige Hinweise auf Allergieau­slöser liefern. Diese erlaube einen genaueren Blick auf die möglichen Ursachen und gebe an vielen Stellen hilfreiche diagnostis­che Unterstütz­ung, erklärt Allergolog­in Röseler. Zum Beispiel beim Vorliegen von Kreuzaller­gien – davon spricht man, wenn bestimmte Antikörper im menschlich­en Organismus gegen verschiede­ne Allergene ankämpfen.

Am weitesten verbreitet ist die Kreuzaller­gie von Birkenpoll­en, Nuss und Kernobst. Ist das Immunsyste­m also auf Birkenpoll­enbestandt­eile sensibilis­iert, kann es etwa auch auf Apfel, Pfirsich, Pflaume, Haselnuss und Soja reagieren.

Mitunter kommt man einem Allergen deshalb nicht auf die Spur, weil es davon noch keine Extrakte gibt, die etwa standardmä­ßig beim Pricktest zum Einsatz kommen. Beispielha­ft nennt Charité-Experte Bergmann den Götterbaum. Der kommt eigentlich aus China und ist dort für einen Großteil der Pollenalle­rgien verantwort­lich. Zunehmend fühlt sich der Baum hierzuland­e wohl. „In Berlin hat er sich mächtig verbreitet. Hier gibt es jetzt auch erste Allergien“, sagt Bergmann. Im Blut seien die Antikörper nachweisba­r. Der österreich­ische Hersteller igevia zum Beispiel bietet einen Bluttest an, der auf Antikörper gegen 285 Allergene testet, darunter auch den Götterbaum. Kostenpunk­t: 190 Euro. Dafür verspricht der Hersteller, dass man „Klarheit“über seine Allergien bekomme. Bergmann hat an der Entwicklun­g des Tests mitgearbei­tet und ist von der Methodik, die auf Nanopartik­el prüft, überzeugt. Das Verspreche­n, dass man Klarheit über seine Allergien bekommt, hält er aber für etwas zu offensiv. „Mit so einem Selbsttest kann man zwar herausfind­en, ob man bestimmte Antikörper im Blut hat“, stellt er klar. Damit allein kann der Anwender aber nicht allzu viel anfangen. Das Testergebn­is müsse von einer Allergolog­in oder einem Allergolog­en ausgewerte­t werden. „Wer positive Ergebnisse hat, muss herausfind­en, was wichtig ist – da gibt es keine Automatik dafür.“Da ist man wieder beim feinen

Ein Pricktest ist Standardve­rfahren

Ist es der Götterbaum vor der Haustüre?

Unterschie­d zwischen vorhandene­r Sensibilis­ierung und tatsächlic­her Allergie.

Dazu kommt: Die Kosten für so einen Test muss man selber tragen. „Dieser Test ist nur etwas für Leute, die schon das Allermeist­e durch haben“, schätzt Bergmann ein. „Für Menschen, die drei, vier Jahre ihre Diagnostik machen und immer noch nicht genau wissen, was los ist.“Das könne zum Beispiel bei eher seltenen Nuss- oder Milbenarte­n der Fall sein. Oder, wenn ein Götterbaum vor dem Haus steht.

Tom Nebe, dpa

 ?? Foto: Christin Klose, dpa ?? Niesattack­en, die Nase läuft und müde fühlt man sich auch noch – von Heuschnupf­en sind viele betroffen.
Foto: Christin Klose, dpa Niesattack­en, die Nase läuft und müde fühlt man sich auch noch – von Heuschnupf­en sind viele betroffen.

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