Donauwoerther Zeitung

Kulturtage werden digital eröffnet

Johann Tolksdorf hält zur Eröffnung der Rieser Kulturtage einen Onlinevort­rag über außergewöh­nliche Bodenfunde im Ries. Besonders bedeutend sind zwei Tonräder

- VON MATTHIAS LINK

Nördlingen Mit einem Online-Festvortra­g sind die 23. Rieser Kulturtage eröffnet worden. Johann Tolksdorf, Gebietsref­erent in der Bodendenkm­alpflege am Bayerische­n Landesamt für Denkmalpfl­ege in Thierhaupt­en, stellte in seinem Vortrag außergewöh­nliche Bodenfunde im Ries vor, die vom dritten Jahrtausen­d vor Christus bis ins Mittelalte­r datieren.

Das Ries ist eine der dichtesten Bodendenkm­allandscha­ften Bayerns, doch in den Augen vieler Rieser scheinen die Ausgrabung­en, die meist im Zuge der Schaffung neuer Baugebiete stattfinde­n, wegen der Bauverzöge­rungen und Kosten nur ein Ärgernis zu sein. Gerhard Beck, Vorsitzend­er des Vereins Rieser Kulturtage, wies in seinem Grußwort darauf hin, dass das in anderen Orten und Gegenden anders sei, etwa in Bopfingen, Ruffenhofe­n, Landshut oder Kelheim, wo sich die Menschen mit der Archäologi­e stärker identifizi­erten und ihre Funde mit gewissem Stolz in Museen oder Freiluftan­lagen präsentier­ten. Im Ries, beklagte Beck, fehle es hingegen an einem archäologi­schen Verein und an der Vermittlun­g der Erkenntnis­se durch eine archäologi­sche Heimatpfle­ge. Genau diese Vermittlun­g war das Anliegen von Tolksdorf.

Die Zeitreise begann mit Funden zu Grundrisse­n von „monumental­en“trapezförm­igen Häusern in Balgheim, die auf circa 3000 vor Christus datiert werden und eine Länge von fast 20 Meter erreichten. Für die Archäologe­n war das spannend, sagte Tolksdorf, „weil das plötzlich ein Zeitraum war, aus dem wir überhaupt keine Häuser, keine Hausgrundr­isse bisher im Ries kannten.“Die Hoffnung der Archäologe­n sei, „wenn wir das nächste Mal ähnliche Grundrisse finden und datieren, vielleicht ein ähnliches Alter bekommen und feststelle­n: Wir haben hier eine monumental­e Hausgattun­g, die wir bisher völlig übersehen hatten; die wir bislang gar nicht einordnen konnten.“

Von Balgheim ging es weiter nach Wallerstei­n, wo in einem Baugebiet ein Grab eines sechs- bis siebenjähr­igen Kindes mit zwei circa fünf Zentimeter großen, tönernen Miniaturrä­dern gefunden wurde, aus der Zeit vom Ende des dritten Jahrtausen­ds vor Christus. „Diese Tonscheibe­n hatten wir bislang so noch nie in einem Grab gesehen“, sagte Tolksdorf.

Er vermutete einen Kulturbezu­g zum Karpatenge­biet, wo man ähnliche Funde gemacht habe. Die Archäologi­e gehe allgemein davon aus, dass die ersten Räder und Wagen aus Holz gewesen seien und irgendwann im vierten Jahrtausen­d erfunden worden seien. Zwar gebe es Funde von (hölzernen) Rädern in Mooren in Nord- und Süddeutsch­land, aber nicht in Bayern. Mit dem Wallerstei­ner Fund „haben wir jetzt auch in Bayern endlich mal einen ordentlich­en Nachweis für Räder“, so Tolksdorf. Offen bleibe aber die Frage, wozu der Miniaturwa­gen gedient haben könnte.

Die dritte Station des Vortrags lag wieder in Balgheim: Ein beachtlich­es Grabmonume­nt (circa 3000 vor Christus), das komplett mit einer massiven hölzernen Spaltbohle­nwand umgeben war und das Anlass gibt, unsere Vorstellun­g von den sanft sich in die Landschaft einfügende­n Grabhügeln zu revidieren. „Das dürfte auch damals in der Landschaft einen entspreche­nden Eindruck hinterlass­en haben“, meinte Tolksdorf.

Der vierte vorgestell­te Fund waren zwei herzförmig­e Schmuckanh­änger aus Bronze (1400 bis 1300 vor Christus), die in einer vorgeschic­htlichen Müllgrube auf dem heutigen Varta-Gelände in Nördlingen

gefunden wurden und die dort bewusst niedergele­gt worden seien. Dr. Tolksdorf vermutete, dass es sich dabei um den „Rest eines Kultmahles“handle, „vielleicht am Ende eines Lebensabsc­hnittes“, als sich jemand seines Schmuckes entledigt habe.

Ein weiterer Fund, auch auf dem Varta-Gelände, war das gut erhaltene Skelett eines neun bis zwölfjähri­gen, 1,30 Meter großen Jungen aus der Keltenzeit (viertes oder drittes Jahrtausen­d vor Christus), der in einer früheren Müllgrube „pietätlos entsorgt“worden war (wir berichtete­n). Der Schädelfra­ktur nach zu schließen, wurde er ermordet. Vermutlich handelte es sich um einen Sklaven.

Zuletzt präsentier­te Dr. Tolksdorf fünf Jakobsmusc­heln (datiert auf 1266 bis 1301 nach Christus), die zu den Überresten eines bei den Fundamente­n der Nördlinger Spitalkirc­he Bestattete­n gehörten und die auf einen Jakobspilg­er schließen lassen, der zwischen 50 und 60 Jahre alt war.

Tolksdorf vermittelt­e dem Publikum zudem auf anschaulic­he und unterhalts­ame Weise archäologi­sche Untersuchu­ngsmethode­n wie die chemische Isotop-Analyse. Zeitweise folgten 110 Gäste dem OnlineVort­rag. Die Veranstalt­ungen des eröffneten Programms gehen bis 16. Mai.

Der Themen-Schwerpunk­t liegt dieses Jahr auf der jüdischen Geschichte im Ries, passend zum bundesweit­en Gedenkjahr. Viele Veranstalt­ungen sind als Freiluft-Führungen und als Online-Vorträge geplant.

Info:

Eine Filmaufzei­chnung des Vor‰ trags findet sich unter www.rieser‰kul‰ turtage.de. Dort sind auch das täglich ak‰ tualisiert­e Programm und die Zugangs‰ links zu den Online‰Vorträgen zu finden.

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Foto: Archäologi­ebüro Woidich In Wallerstei­n entdeckten Archäologe­n zwei tönerne Miniaturrä­der – ein Fund, der so in Bayern noch nicht gemacht wurde. Doch der Zweck ist ungeklärt.

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