Donauwoerther Zeitung

Die verstreute­n Uffizien

Weil in Florenz Touristen fehlen, wandern Kunstwerke aufs Land

- VON FLORIAN SANKTJOHAN­SER

Für ein Selbstport­rät mit Florenz gab es seit Generation­en keine bessere Gelegenhei­t. Unbedrängt steht man an der Brüstung der Piazzale Michelange­lo und schaut lange hinunter auf den Dom, die Kirchtürme und die prächtigen Bürgerhäus­er am Ufer des Arno. Vor der Pandemie drängten sich hier allabendli­ch die Massen. Genauso wie auf der Piazza della Signoria vor dem Palazzo Vecchio. Im vergangene­n Sommer konnte man „die Kunstschät­ze genießen, wie es nur zu Zeiten unserer Großeltern möglich war“, sagt Eike Schmidt, 53, der Direktor der weltberühm­ten Uffizien. „Es kommt regelmäßig vor, dass man selbst im Saal von Michelange­lo für fünf Minuten ganz allein ist – gänzlich undenkbar in den letzten Jahrzehnte­n.“

Keine langen Schlangen

In den Hochzeiten vor der Pandemie schoben sich an manchen Tagen 12000 Besucher durch die Säle. Vor den Toren wartete man Stunden in der Schlange. Alles vorbei. Der Museumskom­plex war im Winter 77 Tage geschlosse­n, so lange wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Am 21. Januar öffneten die Uffizien wieder ihre Tore, nur um zwei Wochen später erneut zu schließen. Dabei hat Eike Schmidt seine Hausaufgab­en zeitig erledigt. Am 9. März 2020, dem ersten Tag des Lockdowns, begannen der Direktor und seine Mitarbeite­r die Zeit danach vorzuberei­ten. Sie stellten Desinfekti­onsmittel an Eingängen, Treppen und Aufzügen auf und installier­ten Thermoscan­ner, um die Körpertemp­eratur der Gäste zu ermitteln. Natürlich herrscht rigorose Maskenpfli­cht.

„Und wir haben die Anzahl der gleichzeit­ig eingelasse­nen Gäste drastisch reduziert“, berichtet Schmidt. Maximal 450 Besucher gleichzeit­ig dürfen durch die vielen Gemäldesäl­e streifen, sobald die Uffizien wieder öffnen. Die meisten sind Italiener.

Die Krise als Chance

Die Pandemie hat Italiens stolze Kulturszen­e brutal getroffen. Vor allem kleinere Museen leiden, die meisten zählten im vergangene­n Jahr 85 bis 90 Prozent weniger Gäste. „Es gibt aber Ausnahmen“, sagt Schmidt. Zum Beispiel das Museum in Anghiari, das 2019 in Kooperatio­n mit den Uffizien eine Kopie von Leonardo da Vincis verscholle­nem Gemälde der Schlacht von An– ghiari ausstellte.

Es konnte 2020 einen Besucherre­kord aufstellen. „Das führt uns auch zu einer neuen Strategie, dass wir Kunstwerke aufs Land bringen werden und damit kleine Museen aktivieren“, sagt Schmidt. „Das ist eine Strategie, die weit über Corona hinausreic­ht.“„Uffizi diffusi“lautet das Motto: verstreute Uffizien. Kunstwerke aus dem Depot werden an 60 bis 100 Orten ausgestell­t, viele kehren an ihre ursprüngli­chen Standorte zurück, in Kirchen oder Villen. So sollen die Bewohner der Dörfer und Städte eine neue Verbindung zur Kunst ihrer Vorfahren aufbauen. Partnerstä­dte werden zum Beispiel Livorno, der Kurort Montecatin­i Terme oder das PinocchioS­tädtchen Pescia sein. Die Uffizien werden die Ausstellun­gen über ihre Marketingk­anäle bewerben.

Der Wander- und Gastrotour­ismus in der Toskana soll auf diese Weise um die kulturelle Dimension erweitert werden. Die Vorteile der Strategie liegen auf der Hand: mehr Touristen für weniger bekannte Orte, Entlastung fürs überlaufen­e Florenz.

Eike Schmidt sieht die Zwangspaus­e als Chance, über Fehlentwic­klungen im Massen-Kulturtour­ismus nachzudenk­en. Bisher kamen Menschen aus aller Welt einmal in ihrem Leben nach Florenz, um den Dom und die Uffizien zu sehen. Kreuzfahrt-Touristen wurden von den Häfen herangekar­rt. Manche Museen waren überfüllt. Andere wurden links liegen gelassen. Nun sollen sich die Gäste besser verteilen und häufiger kommen.

 ?? Foto: artburger, stock.adobe.com ?? Michelange­los Bildnis von David ist eine von vielen Sehenswürd­ig‰ keiten in Florenz.
Foto: artburger, stock.adobe.com Michelange­los Bildnis von David ist eine von vielen Sehenswürd­ig‰ keiten in Florenz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany