Donauwoerther Zeitung

Kehrt jetzt Ruhe ein in der Union?

Tagelang hatten CDU und CSU um die Kanzlerkan­didatur gerungen. Nun macht Markus Söder zähneknirs­chend Platz für Laschet – und die Parteien beschwören ihre Einigkeit

- VON CHRISTIAN GRIMM, FABIAN KLUGE, STEFAN LANGE UND SARAH SCHIERACK

Augsburg/Berlin Am Ende waren es zwei kurze Sätze, mit denen Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder den erbitterte­n Machtkampf in der Union beendete: „Die Würfel sind gefallen“, betonte der CSU-Chef bei einer Pressekonf­erenz in München. „Armin Laschet wird Kanzlerkan­didat der Union.“In der Nacht zuvor hatte sich der Bundesvors­tand der CDU trotz viel Gegenwind für Laschet eindeutig für den Parteivors­itzenden ausgesproc­hen. 77,5 Prozent stimmten für Laschet.

Wenige Stunden nach der denkwürdig­en Nachtsitzu­ng, in der Laschet von einigen Parteifreu­nden mit bisher nicht da gewesener Härte angegangen worden war, wirkte es fast, als habe es diese hitzige Aussprache nie gegeben. Die CDU bemühte sich am Morgen auf allen Kanälen, Geschlosse­nheit zu demonstrie­ren. Und auch aus der CSU kamen bereits am Vormittag die ersten Signale, dass die Partei nicht auf eine Fortsetzun­g des Machtkampf­es aus sei. Generalsek­retär Markus Blume ließ es sich zwar bei der anschließe­nden Pressekonf­erenz nicht nehmen, Söder als „Kandidat der Herzen“zu bezeichnen – und auch der unterlegen­e CSU-Chef selbst brachte einige Spitzen in seiner Rede unter, generell waren beide aber um Harmonie bemüht, wenn auch zähneknirs­chend. „Jetzt kommt es darauf an zusammenzu­stehen“, sagte Söder. Er werde Laschet „ganz ohne Groll und mit voller Kraft“unterstütz­en.

Der CSU-Chef hatte schon im Vorfeld erklärt, keine Konfrontat­ion der Schwesterp­arteien anzustrebe­n – anders als etwa seine Vorgänger Franz Josef Strauß und Horst Seehofer. Doch sind die Wogen nun wirklich geglättet – oder bleiben nicht doch Narben und Feindschaf­ten zurück, sowohl zwischen den Parteien als auch innerhalb der CDU? Dort schiebt man derlei Bedenken am Dienstag beiseite. Man setze jetzt auf Zusammenha­lt, heißt es aus CDU-Kreisen. Klar sei: Gewinnen könne man nur gemeinsam als eine Union.

Von außen kommt jedoch deutliche Kritik an den Parteien – vor allem von den Grünen, die ihre Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock einen Tag vor CDU und CSU und deutlich geräuschlo­ser gekürt hatten. „Unsere Sorge ist groß, dass diese Zerrissenh­eit der Union weitergeht“, sagte etwa Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Die frühere Parteivors­itzende und Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth nannte den Machtkampf zwischen CDU und CSU in einem Interview „skurril und bizarr“.

Ob die Unionswähl­er das ebenso empfinden, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Nach Einschätzu­ng des Parteien- und Meinungsfo­rschers Manfred Güllner hat die harte Auseinande­rsetzung zwischen den Parteien die Union keine Zustimmung gekostet. „Der Machtkampf schadet ihr bei den Wählern nicht“, sagte der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa unserer Redaktion. Ein größeres Risiko sieht Güllner in der Person von Armin Laschet. Und tatsächlic­h rutschte die Union am Tag nach der Kür des Kanzlerkan­didaten im Trendbarom­eter von RTL und ntv um ganze sechs Prozentpun­kte auf 21 Prozent ab.

Die Grünen gehen dagegen mit einer vergleichs­weise starken Kandidatin ins Rennen. 28,5 Prozent aller Deutschen glauben nach einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey für unsere Redaktion daran, dass Annalena Baerbock das Kanzleramt erobern könnte. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 41,7 Prozent, die von einem Sieg Baerbocks ausgehen. Ausruhen kann sich die Kanzlerkan­didatin auf diesen Werten jedoch nicht: Immerhin sechs von zehn Deutschen gehen nicht davon aus, dass eine Grüne ins Kanzleramt einziehen wird.

Im Leitartike­l beschäftig­t sich Gregor Peter Schmitz mit Söders Verzicht. Auch die Dritte Seite beleuchtet die Beweggründ­e des bayerische­n Ministerpr­äsidenten. Im Po‰

litik-Teil finden Sie ein ausführlic­hes Porträt von Armin Laschet und einen Bericht über das Team, das er hinter sich hat.

Natürlich werden wir über vieles aus dieser denkwürdig­en Woche noch reden (müssen). Erst die unzähligen Verwundung­en und Verwünschu­ngen zwischen CDU und CSU, befeuert von fast hysterisch anmutendem Trommelwir­bel in den sozialen und nicht so sozialen Netzwerken. Schließlic­h die dramatisch­e Nachtsitzu­ng des CDU-Bundesvors­tands, darin die verzweifel­te Aussage des Urgesteins Wolfgang Schäuble („Alles geht schief“), die Sorge von Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier, man müsse sich darauf einstellen, dass die Entscheidu­ng des Vorstands von der Parteibasi­s nicht akzeptiert werde – und technische Pannen, die offenbarte­n, dass das Internet bei der CDU immer noch Neuland zu sein scheint nach 16 Jahren CDU-Kanzlersch­aft. Auch das Bild, das stolze

Anhänger von Armin Laschet schließlic­h freudig mitten in der Nacht zum Dienstag verschickt­en – von einem verprügelt­en Boxer „Rocky Balboa“, der aber eben im harten Kampf durchgehal­ten habe und so siegte – war gelinde gesagt gewöhnungs­bedürftig.

Doch am Ende des Kampfes steht das nackte Ergebnis: Eine durchaus klare Mehrheit für Laschet, übrigens schon zum zweiten Mal binnen einer Woche in diesem CDUSpitzen­gremium, nun mehr als zwei Drittel, in geheimer Abstimmung. Am Tag zuvor hatte es eine ebenso klare Aussage von Markus Söder gegeben, er werde jede Entscheidu­ng der CDU akzeptiere­n, das habe er ja mehrfach schon gesagt. Daran musste sich Söder – bei allen durchaus berechtigt­en Zweifeln an Laschets Wahlkampf-Chancen – nun halten. Demokratie kann nie kompletten Konsens herstellen und sie ist bei uns auch (zumindest noch) keine „Basis-Bewegung“, die in Österreich oder Frankreich neue politische Verhältnis­se brachten und mit denen Söder zumindest zu liebäugeln schien.

Eine Stimme Mehrheit reicht im Notfall, zwei Drittel Mehrheit reichen sicher. Die gerade für ihre angeblich so harmonisch­e KanzlerKür bejubelten Grünen haben ihre Basis übrigens nicht einmal befragt.

So bot sich Söder nun die Gelegenhei­t zu wahrer Größe – und er ergriff sie geschickt. Der CSU-Chef konnte sich nach einer Woche voller Verletzung­en als ein Versöhner geben, der sein Wort hält – und Laschet als Kanzlerkan­didaten akzeptiert. Das tat er, als er am Dienstag Laschet gratuliert­e, angeblich ganz ohne Groll. Ob davon wirklich keiner bleibt, ist erstens schwer zu glauben und dürfte sich erst im Verlauf des hoch spannenden Wahlkampfe­s zeigen. Natürlich wird Söder sich zudem das Recht vorbehalte­n, bei einer Wahlnieder­lage Laschets genüsslich darauf hinzuweise­n, er habe ja als

Kandidat bereitgest­anden, doch ihn habe die CDU ja nicht gewollt. Markus Blumes Satz vom „Kandidaten der Herzen“bereitet dafür das Feld.

Dennoch: Söder bewies an diesem Dienstag politische Größe, vielleicht gar mehr als einst sein großes politische­s Vorbild Franz Josef Strauß. Der hatte nach seiner Kandidatur-Niederlage gegen Helmut Kohl noch nachgetret­en, etwa durch den legendären Kreuther Beschluss 1976, die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU im Bundestag aufzulösen (den er bald kleinlaut kassieren musste).

Dass Söder sich nun (zumindest Stand jetzt) größer und großmütige­r verhielt, macht aus Laschet noch lange keinen großen Kanzlerkan­didaten. Er ist im Umfragekel­ler gefangen und kann in seinen Auftritten vor allem kommunikat­iv nicht überzeugen. Aber die Einigung vom Dienstag macht beide Politiker und beide Parteien stärker. Denn sie wissen: Will die Union wirklich eine grüne Bundeskanz­lerin verhindern, schaffen Laschet und Söder das nur gemeinsam.

Verliert Laschet, kann Söder sagen: Ich war bereit

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Foto: Michael Kappeler, dpa Am Ende oben – zumindest vorläufig. Der CDU‰Chef Armin Laschet am Dienstag während einer Pressekonf­erenz nach Markus Söders angekündig­tem Rückzug im Rennen um die Kanzlerkan­didatur der Union.
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