„Es fehlt an Hebammen im Kreißsaal“
Seit Jahren engagieren sich Hebammen für mehr Wertschätzung, mehr Lohn und für weniger Belastung. Wie die Donauwörther Hebamme Regina Mütze die Lage einschätzt
Wie würden Sie die aktuelle Lage von Hebammen beschreiben?
Regina Mütze: Seit Jahren bemühen sich Hebammen, mehr Nachwuchs für den Beruf zu begeistern. Unser Arbeitspensum ist sportlich. Eine Eins-zu-eins-Betreuung unter der Geburt ist sehr erstrebenswert, das ist aber momentan in den seltensten Fällen durchführbar. Eine Hebamme muss oft mehr als eine Frau gleichzeitig betreuen. Jede Hebamme, die Geburtshilfe leistet, egal ob Zuhause, in einem Krankenhaus oder in einem Geburtshaus, arbeitet außerdem immer wieder nachts, sonntags und an Feiertagen. Mit mehr Kolleginnen könnte diese Belastung reduziert werden.
Gibt es aktuell mit 31 Hebammen im Landkreis Donau-Ries ausreichend Angebot für Geburtshilfe, Kurse und Nachsorge?
Mütze: Unser Landkreis ist momentan gut versorgt mit Hebammen, was die außerklinische Arbeit – also Kurse, Nachsorge, Beratung uns mehr beinhaltet. Es fehlt an Kolleginnen im Kreißsaal. Da in den Nachbarlandkreisen oftmals Hebammen unterbesetzt sind, helfen wir aus, wenn wir die Kapazität dazu haben.
Wie ist die Lage in den Geburtsstationen in den Krankenhäusern?
Mütze: Alle im Kreißsaal arbeitenden Hebammen wünschen sich mehr Auszeiten. Fast alle Kolleginnen sind nicht nur in der Klinik, sondern auch außerhalb ebenfalls tätig. Sie geben Kurse, machen Schwangerenvorsorgen, übernehmen Nachsorgen bei den Eltern. Die Entlohnung von Hebammen war noch nie besonders lukrativ. Wer sich dafür entscheidet, weiß das. Bis vor wenigen Jahren waren wir beispielsweise noch in der Reichsversicherungsordnung (RVO) verankert. Die sah vor, dass eine Hebamme wenigstens genug Geld für ihr eigenes Begräbnis hatte. Das hat sich zum Glück geändert, aber die entgeltliche Entlohnung ist absolut verbesserungswürdig.
Glauben Sie, dass die Akademisierung des Berufs die Wende bringt und mehr diesen Beruf wählen?
Mütze: Die Akademisierung ist ein Meilenstein – auch in Hinblick auf die Bezahlung von Hebammen. In der Medizingeschichte gibt es seit Jahrhunderten zwischen akademischem und nicht akademischen Personal Kompetenzgerangel. Es ist gesetzlich festgehalten, dass bei jeder Geburt eine Hebamme anwesend sein muss, auch beim Kaiserschnitt. Bei allen physiologischen Geburten trägt sie also auch die Verantwortung. Das spiegelt sich in keiner
Weise wider in der Bezahlung. Es ist ein Ziel unseres Berufsverbandes, die natürliche Geburt deutlich mehr in den Mittelpunkt zu stellen, um die Gesundheit von Mutter und Kind zu unterstützen. Jeder Kaiserschnitt ist eine Bauchoperation und sollte für die nötige Situation vorbehalten bleiben. Gäbe es für die natürliche Geburt die gleiche Entlohnung, würde sich deutschlandweit sicher manches von selber regeln.
Geht es auch um Wertschätzung Ihres Berufsstandes?
Mütze: Die Geburtshilfe gilt in der Medizin als das Sahnehäubchen. Im besten Fall arbeiten Hebammen und Ärzte zusammen, damit sich eine werdende Familie gut betreut und begleitet fühlt. Zum Glück trifft das auch meistens zu, die Akademisierung verschafft uns darüber hinaus jedoch die Grundlage, noch mehr auf Augenhöhe mit anderem akademischen Personal zu arbeiten. Leider gibt es erst seit Kurzem die Möglichkeit, grundanständig diesen Beruf zu studieren. Wie hoch das Fortbildungsinteresse bei Hebammen schon war, sieht man daran, dass zahlreiche Kolleginnen nach ihrer staatlichen Ausbildung bereits ein universitäres Studium absolviert haben, im Bereich des Pflegemanagements, der Pädagogik, Public Health und Hebammenwissenschaften.
Bleibt Hebamme in ihren Augen ein absolut weiblicher Beruf?
Mütze: Auch hier erwarten wir Veränderungen. Zum Glück ist der Begriff des „Entbindungspflegers“mittlerweile Vergangenheit, und Männer, die diesen Beruf ergreifen heißen „männliche Hebamme“. Das ist gut so! Der Begriff Hebamme ist und bleibt allerdings die weibliche Bezeichnung eines der ältesten Berufe der Welt.
Wenn ein Kind bei einer Geburt einen Schaden erleidet, muss unter Umständen die Haftpflichtversicherung der Hebamme greifen – das kostet sehr viel Geld. Der Staat schießt seit einigen Jahren einen Anteil zu. Ist das Problem damit erledigt?
Mütze: Seit mehreren Jahren steigt die Haftpflichtprämie für selbstständige Hebammen, die Geburtshilfe leisten, auf etwa 10.000 Euro im Jahr. Mit erheblichem bürokratischen Aufwand gibt es Unterstützung. Das ist ein Pflaster aber keine Lösung! Als ich als Hebamme nach meinem staatlichen Examen 1994 anfing zu arbeiten, betrug die Höhe der Versicherung 280 DM. Die Beiträge steigen so enorm, weil die medizinische Versorgung der frühgeborenen oder einzelner geschädigter Kinder deutlich verbessert wurde und leben können, sind damit auch die Folgekosten enorm – vom Lohnausfall der Eltern, die ihr Kind betreuen, bis zum Umbau am Haus. Das zahlt dann diese Haftpflicht. Es liegt also nicht daran, dass Hebammen mehr Fehler machen würden.
Welche Hindernisse gibt es in ihrer täglichen Arbeit mit den Müttern und Vätern?
Mütze: Es sind eher Herausforderungen. Durch die zunehmende Individualisierung der Menschen entstehen individuelle Ansprüche und Anforderungen. Aber so, wie jeder Mensch und jedes Neugeborene einzigartig ist, so möchten wir genau diese Personen auch begleiten. Hebammen lernen schnell, mit Herausforderungen umzugehen.
Was hat sich verbessert?
Mütze: Jede Hebamme versucht, eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Das ist gar nicht einfach, da wir als Fachfrauen gerne auch nach 20 Uhr oder auch am Wochenende kontaktiert werden. In der Corona-Zeit stellen wir fest, dass fast alle Menschen unter Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen leiden, da sind wir bei den von uns betreuten Frauen manches Mal auch mehr als „nur“die Hebamme.
Regina Mütze, 48, ist selbstständige Heb amme in Donauwörth und stellvertretende Kreissprecherin ihres Berufsstandes. Sie ist seit 27 Jahren tätig und hat bisher gut 1000 Geburten begleitet. Sie ist selbst Mutter von drei Kindern.