Der Internet-Star von der Intensivstation
Krankenpfleger Ricardo Lange ist seit seinem emotionalen Auftritt mit Jens Spahn bundesweit bekannt. Wie er den Minister in Erklärungsnot brachte und was ihn antreibt
Er hat einen kahlen Kopf und Dreitagebart, im Gesicht zeigen rote Druckstellen, wo die eng anliegende Schutzmaske saß: Ein wenig erinnert Ricardo Lange auf den Bildern, die er von sich ins Internet stellt, an den Schauspieler Bruce Willis. Mit dem Unterschied, dass Lange nicht den Drehtag des nächsten Hollywood-Streifens hinter sich hat, sondern eine Schicht auf einer Berliner Intensivstation.
Ricardo Lange, 39 Jahre alt, ist Intensivkrankenpfleger und plötzlich berühmt. Der Grund: Vor kurzem wurde er in die Bundespressekonferenz eingeladen, saß neben Gesundheitsminister Jens Spahn und Lothar Wieler, dem Chef des Robert-Koch-Instituts, und kritisierte den Pflegenotstand. Seitdem ist Lange ein gefragter Mann, bekommt am laufenden Band Anfragen von Fernsehsendern und Zeitungen,
sitzt nun sogar in der ZDFTalkrunde bei Markus Lanz. Die neue Popularität verdankt Lange seiner Art, offen und ungeschönt über die Lage der Krankenpfleger zu sprechen. In der Bundespressekonferenz ergriff der durchtrainierte Intensivkrankenpfleger nach dem üblichen, von Zahlen dominierten Bericht zur Corona-Lage in Deutschland das Wort. Emotional aufgebracht schilderte er, auf welche unmenschliche Weise Covid-Patienten auf den Intensivstationen sterben würden – einsam und ohne direkten Kontakt zu Sterbebegleitern.
„Das macht was mit einem“, sagte der Pfleger und kritisierte die Strategie der
Bundesregierung im Kampf gegen die Pandemie. Das Pflegepersonal sei weder mental noch fachlich vorbereitet, sagte Lange – und er machte deutlich, dass die Mitarbeiter auf den Intensivstationen schon vor der Pandemie überlastet gewesen seien. Damit brachte er den Gesundheitsminister in Erklärungsnot. Langes Auftritt wurde in vielen Nachrichtensendungen wiederholt, seitdem folgen ihm noch mehr Nutzer in den sozialen Netzwerken. Der Berliner Pfleger meldet sich immer wieder von der Corona-Front zu Wort, will zeigen, dass die Pandemie noch nicht zu Ende ist und warnt vor Lockerungen und einem möglichen Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Dafür bekommt er im Internet zwar auch eine Menge Gegenwind zu spüren – von seinen Unterstützern jedoch noch mehr Zuspruch, vor allem aus Kollegenkreisen. Letzteres treibt ihn an, immer wieder eindringlich auf den Pflegenotstand hinzuweisen. Dabei wählt Lange direkte Worte und zugespitzte Formulierungen. In einem Instagram-Post bezeichnete er die Arbeit der Pflegekräfte in den Kliniken und Heimen als tägliche emotionale Vergewaltigung.
Aus Langes Privatleben ist bisher nichts zu erfahren. Das könnte daran liegen, dass er – im Gegensatz zum ein oder anderen CoronaExperten – kein Selbstdarsteller sein will. Dazu passt das Sprichwort, das in seinem Twitter-Profil steht: „Schäme dich nie für das, was du bist, sondern für das, was du vorgibst zu sein.“