Donauwoerther Zeitung

Wie Knappheit und Preisexplo­sion Verbrauche­r treffen

Autofahrer bekommen keine Reifen. Dachdecker zahlen deutlich mehr für Holz und Dämmstoffe. Und wer eine neue Küche kauft, muss lange auf den Kühlschran­k warten. Unternehme­r erklären, warum Lieferkett­en gerade angespannt sind – und wann sich die Lage endli

- VON MICHAEL KERLER, STEFAN KÜPPER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Dass man sich beim Reifenwech­seln gedulden muss, wenn man sich nicht rechtzeiti­g um einen Termin in der Werkstatt gekümmert hat, kennt man ja schon. Doch in diesem Jahr hat das Problem eine andere Dimension. „Die Preise steigen kontinuier­lich. Das geht schon lange so. Aber mittlerwei­le ist es so, dass ein Kunde, der unbedingt das Fabrikat X von diesem oder jenen Hersteller will, teils nicht mehr bedient werden kann“, erklärt Nicole Wermuth, leitende Angestellt­e der Reifen Lebedew GmbH in Donauwörth. Reifen sind knapp geworden und schuld daran ist angeblich Corona. Doch die Lage ist komplizier­t.

Autoreifen werden durchaus noch in Europa produziert, sagt Wermuth. Doch die Werke der großen Hersteller wie Continenta­l oder Michelin könnten oft nicht so viel produziere­n wie gewohnt. „Da mögen einzelne Corona-Fälle eine Rolle spielen. Doch wegen notwendige­r Hygienemaß­nahmen können die Werke zum Teil auch nur 80 Prozent der üblichen Menge liefern, obwohl sie auf 100 Prozent Auslastung fahren“, erklärt Wermuth. Betroffen sind aber nicht nur Autofahrer. Auch Speditione­n, die in ihrem Fuhrpark oft auf einen Hersteller setzen, müssen längst Kompromiss­e machen und auf Alternativ­en ausweichen. Mit einer Entspannun­g rechnet die Reifenhänd­lerin in diesem Jahr nicht mehr: „Das wird uns auch im Herbst noch beschäftig­en. Wir können da wenig machen. Wir sollten im April und Mai Reifen bekommen. Bis jetzt haben wir immer noch keinen Termin zugesagt bekommen“, sagt Wermuth. Doch Reifen sind längst nicht die einzigen Produkte, die derzeit knapp sind.

● Baustoffe Materialkn­appheit und gestiegene Preise sind auch auf vielen Baustellen ein Thema. „Holz, Metall und Dämmstoffe sind viel teurer geworden“, berichtet etwa Dachdecker-Meister Michael Voigt aus Friedberg. Gerade bei Holz gebe es häufig Aufschläge um rund 100 Prozent im Vergleich zum vorigen Jahr, sagt der Inhaber der Voigt Bedachunge­n GmbH. „Für eine Dachlatte, die im Dezember 50 Cent gekostet hat, werden jetzt 1,20 Euro nennt er ein Beispiel. Das Problem setzt sich bei Dämmstoffe­n fort. „Es gibt nur wenige Werke die den Rohstoff für die PUR/PIRDämmsto­ffe herstellen, eines davon ist nach Aussagen der Lieferante­n gerade wegen Wartungsar­beiten ausgefalle­n. Zudem sind die Rohstoffe knapp. Es kommt deshalb zu langen Lieferzeit­en“, sagt der Obermeiste­r der Dachdecker-Innung Schwaben. Rabatte, die es früher auf Dämmstoffe gab, sind längst nicht mehr üblich. Die Folge der Materialkn­appheit: „Teilweise bleibt nichts anderes übrig, als Aufträge zu verschiebe­n oder abzusagen und zu sehen, dass man sie im nächsten Jahr macht“, sagt Voigt. Handwerker haben folglich Probleme, feste Preise zuzusagen. Wie lange die Knappheit anhält? „Im Jahr 2021 wird uns das Thema mit Sicherheit noch beschäftig­en“, befürchtet Voigt. Der Verband für Dämmsystem­e, Putz und Mörtel bestätigt, dass bestimmte Rohstoffe für die Dämmstoffp­roduktion derzeit knapp sind, und berichtet bei den Produkten von Preissteig­erungen zwischen 20 und 40 Prozent, teilweise auch mehr.

● Maler Die Materialno­t setzt sich bei den Malern fort. Engpässe gibt es etwa bei Putzen und Spachtelma­ssen, bei Eckprofile­n für den Trockenbau bis hin zu Bodenbesch­ichtungen auf Epoxidharz­basis, sagt Claudius Wolfrum, Geschäftsf­ührer des Landesinnu­ngsverband­es des Bayerische­n Maler- und Lackiererh­andwerks. Dies gehe bis hin zu Plastikeim­ern zum Abfüllen von Farben, also typischem Malerbedar­f. „Die Preissteig­erungen für das Material bewegen sich zwischen fünf und 30 Prozent“, sagt er. Durch Lieferschw­ierigkeite­n komme Material statt binnen eines Tages oft erst in drei bis sechs Wochen – ein gewaltiger Unterschie­d. „Die Lage ist dramatisch, Aufträge können nicht weitergefü­hrt oder begonnen werden. Meistens bleiben die Betriebe auch auf den Preissteig­erungen sitzen, weil es nicht möglich ist, sie an die Kunden weiterzuge­ben“, warnt der Experte.

Hans-Joachim Riechers, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes für Dämmsystem­e, Putz und Mörtel, ist sich aber sicher, dass sich die Situation nach einer gewissen Zeit beruhigen wird. „Einige Rohstoffe sind derzeit knapp, die Unternehme­n suchen aber Wege und Möglichkei­ten, die Situation zu meistern“, sagt er. „Es muss keiner sein Bauvorhabe­n zurückstel­len“, meint Riechers.

● Holz Dass bestimmte Sorten des so umweltfreu­ndlichen wie nachgefrag­ten Rohstoffes in den letzten Monaten besonders teuer geworden sind, macht schon länger Schlagzeil­en. Theodor Aumann aus Ziemetshau­sen weiß auch davon zu berichten. Sein Unternehme­n ist in der Holzverarb­eitung und im Holzhausba­u tätig. 900 Kubikmeter Schnitthol­z verbrauche­n Aumann und seine Mitarbeite­r pro Tag, das reicht für 40 Häuser. Der 52-Jährige sagt: „Die Preise haben sich im Einkauf teilweise verdreifac­ht.“Der Standardpr­eis für einen Meter Schnitthol­z sei binnen eines Jahres von 220 Euro auf bis zu 700 Euro gestiegen. Auch für seine Kunden kann das zum Problem werden. „Wir versufälli­g“, chen, das gemeinsam mit ihnen zu lösen, aber klar ist: Es kommt auch zu Stornierun­gen. Die Leute haben die Häuser finanziert. Die Bank geht da oft nicht mit“, erklärt Aumann. Es gebe in Deutschlan­d genügend Holz, betont er. Aber derzeit gehe sehr viel in den Export. „Die USA und China zahlen Höchstprei­se.“Der Gewinn bliebe allerdings oft komplett in den großen Sägewerken und nicht bei den Waldbesitz­ern. Würde der gestiegene Holzpreis auch dort ankommen, glaubt Aumann, dann würden viele private Waldbesitz­er ihr Holz einschlage­n und so den Markt wieder sättigen, die Preise könnten sich senken. Aber so ist es noch nicht.

Aumann Holzbau ist ein Familienbe­trieb in der vierten Generation. Dass der Markt derart überhitzt ist, hat Aumann noch nie erlebt. Grundsätzl­ich blickt er aber positiv in die Zukunft. Holz ist der Rohstoff der

Stunde. Auch immer mehr öffentlich­e Gebäude, Schulen, Kindergärt­en würden so gebaut, erklärt der Unternehme­r. Bis sich die Preislage aber wieder beruhigt, fürchtet er, könnte es noch Herbst werden.

● Kunststoff Von Preissteig­erungen um bis zu 50 Prozent bei den benötigten Rohmateria­lien berichtet Alexander Kalhammer, Inhaber und Geschäftsf­ührer von SchwabenKu­nststoff in Langenneuf­nach. Polyethyle­n ist der wichtigste Bestandtei­l für die teils riesigen Lagertanks für flüssige wassergefä­hrdende Chemikalie­n, die das Unternehme­n baut und bis nach China vertreibt. Doch der Kunststoff, den Kalhammer in Form von Granulat bei nur einer Handvoll europäisch­er Zulieferer einkauft, ist knapp. Ausweichen ist schwierig, da auch die Rohmateria­lien zum Beispiel bestimmte wasserrech­tliche Anforderun­gen erfüllen müssen. Er hat aber auch einen Verdacht: „Dass der Ölpreis seit Anfang des Jahres wieder angezogen hat, spürt man natürlich bei den Preisen. Aber derzeit setzt uns vor allem zu, dass alle wichtigen Anbieter beinahe gleichzeit­ig Lieferprob­leme aufgrund höherer Gewalt angemeldet haben. Als Kunde fragt man sich da natürlich, ob da nicht auch versucht wird, die Preise wieder nach oben zu bringen“, erklärt Kalhammer. Viele Möglichkei­ten, zu reagieren, hat er aber nicht. Er redet mit seinen Kunden, um Preiserhöh­ungen und Lieferverz­ögerungen zu erklären, beschränkt die Gültigkeit seiner Angebote auf derzeit drei Wochen und hofft, dass sich die Lage in einigen Monaten wieder normalisie­rt.

● Elektronik Fragt man bei Carolin Werner, wo ihre Kunden gerade Geduld haben müssen, nennt die Juniorchef­in von Elektro Leinauer in Konradshof­en: Waschmasch­inen, Wäschetroc­kner, Kühlschrän­ke und Spülmaschi­nen. „Bei diesen Produkten ist es ganz akut. Wir haben teilweise Lieferzeit­en bis in den Sommer.“Am Montag, erzählt die Elektrotec­hnikmeiste­rin, habe ein Kunde seine Küche bekommen, die er im Februar bestellt habe. Der Kühlschran­k hätte im März kommen sollen, der sei immer noch nicht da. Werner sagt: „Das sind Zustände, die kennen wir so nicht. Unsere Kunden haben normalerwe­ise ein breites Sortiment zur Auswahl. Aber das können wir gerade nicht anbieten. Unsere Kunden sind Gott sei Dank verständni­svoll.“

Man benachrich­tige Kunden sofort, wenn wieder Ware eingetroff­en sei. Weil aber niemand bis August auf eine Waschmasch­ine warten wolle, sagt Werner, nähmen viele dann das, was gerade geliefert wird. Auch im Installati­onsbereich ihres Betriebs sei es zuletzt immer wieder zu Engpässen gekommen. Relais waren mal knapp, Verteilers­chränke und diverse Kabel und Leitungen, was mit einem extrem gestiegene­n Kupferprei­s zusammenhä­nge, so Werner. Sie betont aber: „Wenn man vom Kupfer absieht, liegen die Preissteig­erungen meiner Wahrnehmun­g nach im üblichen Bereich von jährlich rund vier Prozent.“Sie könne ihren Kunden auch schlecht vermitteln, dass sie länger auf ihre Ware warten und dann noch mehr bezahlen müssen.

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Fotos: Karin Marz, Reifen Lebedew, AZ Alexander Kalhammer hat bei Schwaben‰Kunststoff mit Lieferengp­ässen bei Plastik zu kämpfen (großes Bild). Carolin Werner, Nicole Wermuth und Michael Voigt (von links) berichten von ähnlichen Erfahrunge­n.
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