Ausdruck der Lebensfreude nach langer Pause
Der Schäfflertanz ist in Wemding seit rund 150 Jahren eine feste Tradition. Die Vorbereitungen laufen schon seit Wochen.
Mal laufen sie in Zweierreihe, mal im Kreis. Die 20 Männer halten Eisenbögen in den Händen, heben abwechselnd das linke und das rechte Bein im Takt zur Polka, die aus den Lautsprechern des Feuerwehrhauses in Wemding klingt. In der ausgeräumten Fahrzeughalle ist es kühl. Dennoch friert keiner der Tänzer. Die sind auf dem Betonboden ständig in Bewegung, konzentrieren sich, haben aber auch ein Lächeln im Gesicht. Andreas Stöckle steht an der Seite, beobachtet das Geschehen, gibt kurze Kommandos und hilft der Gruppe beim schwierigsten Teil, wenn sich die Männer mit ihren Bögen kreuzen. „Eins, zwei drei“, zählt Stöckle mit, damit alle im Takt bleiben. Als alle Figuren getanzt sind, sagt der Vorsitzende der Schäfflervereinigung: „Es klappt schon ganz gut.“Er sei zuversichtlich, dass bis zum Sonntag, 12. Februar, auch die Kleinigkeiten stimmen. Dann steht in Wemding ein Spektakel an, das weit über die Stadt hinaus nur selten zu sehen ist: der Schäfflertanz.
Dieser hat seinen Ursprung im Zunfttanz der Fassmacher. Vor über 500 Jahren sollen, so ist überliefert, die Schäffler in München nach dem Abklingen der Pest als Erste wieder auf die Straßen gegangen sein und Freudentänze aufgeführt haben. Damit hätten sie die Überlebenden ermuntert, neuen Mut zu schöpfen. Der Schäfflergeselle Johann Uhl brachte den Tanz 1872 aus München mit in seinen Heimatort Wemding. Seitdem wird der Schäfflertanz dort alle sieben Jahre aufgeführt. Unterbrechungen gab es in den beiden Weltkriegen – und in der CoronaPandemie. Eigentlich hätte das Ereignis 2021 wieder in Wemding stattfinden sollen, doch die Infektionsschutz-Vorschriften verhinderten dies. Auch 2022 ging nichts. Deshalb ziehen die Tänzer 2023 erstmals nach neun Jahren wieder ihre bunten Gewänder an und setzen sich die charakteristischen Kopfbedeckungen auf.
Nicht nur wegen der langen Pause ist laut Andreas Stöckle der Übungsbedarf groß: „Wir haben auch neun neue Mitglieder in der Tanzgruppe.“Deshalb starteten die Proben bereits am 27. Dezember. Jeweils knapp eineinhalb Stunden dauern sie. 14 Termine hat Stöckle bis zum 12. Februar angesetzt. Zuvor habe er sich eigens Filmaufnahmen von einem der früheren Tänze anschauen müssen, räumt der Vorsitzende ein, denn auch er habe in den vergangenen neun Jahren manches Detail vergessen. „Anfangs ist es schon ein Durcheinander“, beschreibt
Stöckle die erste Trainingsphase, „jetzt geht es noch um den Feinschliff “.
Dienstältester Tänzer ist dieses Mal Roland Hoinle. Der gehört zum vierten Mal der Formation an. Als er vor vielen Jahren gefragt worden sei, ob er mitmachen wolle, sei das für ihn eine Ehre gewesen, erzählt Hoinle. Vor seiner Rolle als Tänzer war er zweimal als Sammler im Einsatz. Eine Spende von den Zuschauerinnen und Zuschauern zu erbitten, sei für die Schäfflervereinigung wichtig, betont Vorsitzender Stöckle: Es handle sich neben Sponsorengeldern um die Haupteinnahmequelle. Die Spenden sei zum Beispiel für Reparaturen an den Gewändern nötig. Die verwahrt die Stadt in den Jahren zwischen den Tänzen ebenso wie die übrigen Requisiten. Sechs Jahre ruht die Schäfflervereinigung jeweils, ehe der Bürgermeister wieder die Beteiligten des vorherigen Tanzes einlädt und aus diesen Reihen ein Vorstand gewählt wird.
Sorgen um den Nachwuchs müsse sich die Vereinigung nicht machen, so Stöckle. Die Tradition des Schäfflertanzes sei tief in der Wemdinger Bevölkerung verankert: „Manche denken schon sieben Jahre voraus, um dann Tänzer zu sein.“Zwischen 18 und 60 Jahre alt sind die Tänzer in diesem Jahr. Mit 60 ist dann nach den Statuten in dieser Funktion auch Schluss. Deshalb darf Roland Hoinle, 56, heuer zum letzten Mal in der Tanzgruppe mitmachen.
Beim Wemdinger Schäfflertanz gibt es freilich auch andere Aufgaben. Kinder werden als Sammler eingesetzt. Am Tanz-Sonntag sind sogenannte Geißböcke mit dabei, um für die Tänzer ausreichend Platz auf der Straße zu schaffen. Clowns gehören ebenso dazu wie ein Münchner Kindl. In Wemding begleiten zwei Wagen die Tanzgruppe. Auf einem befindet sich ein 2000-Liter-Fass aus Eichenholz. Es datiert aus dem Jahr 1893 und stammt vom Kreuzwirt, dem letzten Bierbrauer in der Stadt. Auf dem Fass thront die Sagenfigur Gambrinus. Aus Sicherheitsgründen sitzt dieser erstmals nicht mehr direkt auf dem Holz, sondern auf einem eigens montierten Traktorsitz. Auf dem anderen Wagen treiben mehrere Akteure mit ihren Hämmern einen Eisenring – eine sogenannte Daube – um ein Fass.
Das Spektakel mit den rund 60 Mitwirkenden sei in Wemding „prachtvoller als in München“, merkt Andreas Stöckle stolz an. In Schwaben werde die Tradition des Schäfflertanzes nur noch in zwei Orten gepflegt: in Wemding und in Dinkelscherben.
Roland Hoinle gehört nicht nur der Tanzgruppe an, sondern macht sich auch in anderer Hinsicht nützlich: Er schmückt die 22 Bögen und zwei Stäbe der Tänzer mit Buchs. Dazu sind große Mengen des Gewächses nötig. Das Material stamme von privaten Hecken: „Die werden vorher drei Jahre lang nicht mehr geschnitten, dann sind die
Zweige ideal.“Wegen der Schäden durch den Buchsbaumzünsler sei das Grünzeug schwieriger zu bekommen.
Das Programm am Sonntag, 12. Februar, beginnt um 9.30 Uhr mit einem Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche. Getanzt wird dann ab 13 Uhr an elf Stellen in der Altstadt. Erste Station ist der Marktplatz (erst vor dem Rathaus, dann auf Höhe der Sparkasse). Weiter geht es in die Wallfahrtstraße (Höhe Weißer Hahn und vor der Raiffeisen-Volksbank), die Weißenbachstraße, die Nördlinger Straße (An der Stöll), die Langgasse, die Mangoldstraße, die Häutbachgasse (am Seniorenheim) und in die Straße Am Büchel (am Saumarkt). Dort endet der Tanz um etwa 17 Uhr.
Die Stadt- und Jugendkapelle Wemding begleitet den Schäfflertanz musikalisch. Für die Kapelle bedeute das Ereignis eine mindestens genauso große Herausforderung wie für die Tänzer, weiß Stöckle. Die Musiker müssten die Schäfflertanz-Polka mit ihren sechs Strophen etwa 60-mal durchspielen: „Das ist ein Marathon.“
Für Bürgermeister und Schirmherr Martin Drexler haben die Lebensfreude und die festliche Stimmung, welche die Schäfflervereinigung verbreiten will, gerade nach dem Neustart nach der CoronaPandemie eine besondere Bedeutung: „Auch wir tragen diesen sehnlichen Wunsch in uns.“
„Jetzt geht es noch um den Feinschliff.“