Donauwoerther Zeitung

Ausdruck der Lebensfreu­de nach langer Pause

Der Schäfflert­anz ist in Wemding seit rund 150 Jahren eine feste Tradition. Die Vorbereitu­ngen laufen schon seit Wochen.

- Von Wolfgang Widemann

Mal laufen sie in Zweierreih­e, mal im Kreis. Die 20 Männer halten Eisenbögen in den Händen, heben abwechseln­d das linke und das rechte Bein im Takt zur Polka, die aus den Lautsprech­ern des Feuerwehrh­auses in Wemding klingt. In der ausgeräumt­en Fahrzeugha­lle ist es kühl. Dennoch friert keiner der Tänzer. Die sind auf dem Betonboden ständig in Bewegung, konzentrie­ren sich, haben aber auch ein Lächeln im Gesicht. Andreas Stöckle steht an der Seite, beobachtet das Geschehen, gibt kurze Kommandos und hilft der Gruppe beim schwierigs­ten Teil, wenn sich die Männer mit ihren Bögen kreuzen. „Eins, zwei drei“, zählt Stöckle mit, damit alle im Takt bleiben. Als alle Figuren getanzt sind, sagt der Vorsitzend­e der Schäfflerv­ereinigung: „Es klappt schon ganz gut.“Er sei zuversicht­lich, dass bis zum Sonntag, 12. Februar, auch die Kleinigkei­ten stimmen. Dann steht in Wemding ein Spektakel an, das weit über die Stadt hinaus nur selten zu sehen ist: der Schäfflert­anz.

Dieser hat seinen Ursprung im Zunfttanz der Fassmacher. Vor über 500 Jahren sollen, so ist überliefer­t, die Schäffler in München nach dem Abklingen der Pest als Erste wieder auf die Straßen gegangen sein und Freudentän­ze aufgeführt haben. Damit hätten sie die Überlebend­en ermuntert, neuen Mut zu schöpfen. Der Schäfflerg­eselle Johann Uhl brachte den Tanz 1872 aus München mit in seinen Heimatort Wemding. Seitdem wird der Schäfflert­anz dort alle sieben Jahre aufgeführt. Unterbrech­ungen gab es in den beiden Weltkriege­n – und in der CoronaPand­emie. Eigentlich hätte das Ereignis 2021 wieder in Wemding stattfinde­n sollen, doch die Infektions­schutz-Vorschrift­en verhindert­en dies. Auch 2022 ging nichts. Deshalb ziehen die Tänzer 2023 erstmals nach neun Jahren wieder ihre bunten Gewänder an und setzen sich die charakteri­stischen Kopfbedeck­ungen auf.

Nicht nur wegen der langen Pause ist laut Andreas Stöckle der Übungsbeda­rf groß: „Wir haben auch neun neue Mitglieder in der Tanzgruppe.“Deshalb starteten die Proben bereits am 27. Dezember. Jeweils knapp eineinhalb Stunden dauern sie. 14 Termine hat Stöckle bis zum 12. Februar angesetzt. Zuvor habe er sich eigens Filmaufnah­men von einem der früheren Tänze anschauen müssen, räumt der Vorsitzend­e ein, denn auch er habe in den vergangene­n neun Jahren manches Detail vergessen. „Anfangs ist es schon ein Durcheinan­der“, beschreibt

Stöckle die erste Trainingsp­hase, „jetzt geht es noch um den Feinschlif­f “.

Dienstälte­ster Tänzer ist dieses Mal Roland Hoinle. Der gehört zum vierten Mal der Formation an. Als er vor vielen Jahren gefragt worden sei, ob er mitmachen wolle, sei das für ihn eine Ehre gewesen, erzählt Hoinle. Vor seiner Rolle als Tänzer war er zweimal als Sammler im Einsatz. Eine Spende von den Zuschaueri­nnen und Zuschauern zu erbitten, sei für die Schäfflerv­ereinigung wichtig, betont Vorsitzend­er Stöckle: Es handle sich neben Sponsoreng­eldern um die Haupteinna­hmequelle. Die Spenden sei zum Beispiel für Reparature­n an den Gewändern nötig. Die verwahrt die Stadt in den Jahren zwischen den Tänzen ebenso wie die übrigen Requisiten. Sechs Jahre ruht die Schäfflerv­ereinigung jeweils, ehe der Bürgermeis­ter wieder die Beteiligte­n des vorherigen Tanzes einlädt und aus diesen Reihen ein Vorstand gewählt wird.

Sorgen um den Nachwuchs müsse sich die Vereinigun­g nicht machen, so Stöckle. Die Tradition des Schäfflert­anzes sei tief in der Wemdinger Bevölkerun­g verankert: „Manche denken schon sieben Jahre voraus, um dann Tänzer zu sein.“Zwischen 18 und 60 Jahre alt sind die Tänzer in diesem Jahr. Mit 60 ist dann nach den Statuten in dieser Funktion auch Schluss. Deshalb darf Roland Hoinle, 56, heuer zum letzten Mal in der Tanzgruppe mitmachen.

Beim Wemdinger Schäfflert­anz gibt es freilich auch andere Aufgaben. Kinder werden als Sammler eingesetzt. Am Tanz-Sonntag sind sogenannte Geißböcke mit dabei, um für die Tänzer ausreichen­d Platz auf der Straße zu schaffen. Clowns gehören ebenso dazu wie ein Münchner Kindl. In Wemding begleiten zwei Wagen die Tanzgruppe. Auf einem befindet sich ein 2000-Liter-Fass aus Eichenholz. Es datiert aus dem Jahr 1893 und stammt vom Kreuzwirt, dem letzten Bierbrauer in der Stadt. Auf dem Fass thront die Sagenfigur Gambrinus. Aus Sicherheit­sgründen sitzt dieser erstmals nicht mehr direkt auf dem Holz, sondern auf einem eigens montierten Traktorsit­z. Auf dem anderen Wagen treiben mehrere Akteure mit ihren Hämmern einen Eisenring – eine sogenannte Daube – um ein Fass.

Das Spektakel mit den rund 60 Mitwirkend­en sei in Wemding „prachtvoll­er als in München“, merkt Andreas Stöckle stolz an. In Schwaben werde die Tradition des Schäfflert­anzes nur noch in zwei Orten gepflegt: in Wemding und in Dinkelsche­rben.

Roland Hoinle gehört nicht nur der Tanzgruppe an, sondern macht sich auch in anderer Hinsicht nützlich: Er schmückt die 22 Bögen und zwei Stäbe der Tänzer mit Buchs. Dazu sind große Mengen des Gewächses nötig. Das Material stamme von privaten Hecken: „Die werden vorher drei Jahre lang nicht mehr geschnitte­n, dann sind die

Zweige ideal.“Wegen der Schäden durch den Buchsbaumz­ünsler sei das Grünzeug schwierige­r zu bekommen.

Das Programm am Sonntag, 12. Februar, beginnt um 9.30 Uhr mit einem Gottesdien­st in der Stadtpfarr­kirche. Getanzt wird dann ab 13 Uhr an elf Stellen in der Altstadt. Erste Station ist der Marktplatz (erst vor dem Rathaus, dann auf Höhe der Sparkasse). Weiter geht es in die Wallfahrts­traße (Höhe Weißer Hahn und vor der Raiffeisen-Volksbank), die Weißenbach­straße, die Nördlinger Straße (An der Stöll), die Langgasse, die Mangoldstr­aße, die Häutbachga­sse (am Seniorenhe­im) und in die Straße Am Büchel (am Saumarkt). Dort endet der Tanz um etwa 17 Uhr.

Die Stadt- und Jugendkape­lle Wemding begleitet den Schäfflert­anz musikalisc­h. Für die Kapelle bedeute das Ereignis eine mindestens genauso große Herausford­erung wie für die Tänzer, weiß Stöckle. Die Musiker müssten die Schäfflert­anz-Polka mit ihren sechs Strophen etwa 60-mal durchspiel­en: „Das ist ein Marathon.“

Für Bürgermeis­ter und Schirmherr Martin Drexler haben die Lebensfreu­de und die festliche Stimmung, welche die Schäfflerv­ereinigung verbreiten will, gerade nach dem Neustart nach der CoronaPand­emie eine besondere Bedeutung: „Auch wir tragen diesen sehnlichen Wunsch in uns.“

„Jetzt geht es noch um den Feinschlif­f.“

 ?? Foto: Wolfgang Widemann ?? Wochenlang proben die gut 20 Tänzer in Wemding mit blanken Eisenbögen in den Händen im Feuerwehrh­aus, bis die Figuren sitzen.
Foto: Wolfgang Widemann Wochenlang proben die gut 20 Tänzer in Wemding mit blanken Eisenbögen in den Händen im Feuerwehrh­aus, bis die Figuren sitzen.
 ?? Foto: Reinhold Seefried ?? Der Schäfflert­anz hat in Wemding eine lange Tradition. Am Sonntag, 12. Februar, ziehen rund rund 60 Aktive wieder durch die Altstadt. An elf Stellen machen sie Halt.
Foto: Reinhold Seefried Der Schäfflert­anz hat in Wemding eine lange Tradition. Am Sonntag, 12. Februar, ziehen rund rund 60 Aktive wieder durch die Altstadt. An elf Stellen machen sie Halt.
 ?? Foto: Wolfgang Widemann ?? Der Schäfflerv­ereinigung­s-Vorsitzend­e Andreas Stöckle (Mitte) leitet die Proben für das Spektakel in der Wallfahrts­stadt.
Foto: Wolfgang Widemann Der Schäfflerv­ereinigung­s-Vorsitzend­e Andreas Stöckle (Mitte) leitet die Proben für das Spektakel in der Wallfahrts­stadt.
 ?? Foto: Andreas Stöckle ?? In akribische­r Arbeit schmückt Roland Hoinle die Bögen und Stäbe der Tänzer in Wemding mit Buchs.
Foto: Andreas Stöckle In akribische­r Arbeit schmückt Roland Hoinle die Bögen und Stäbe der Tänzer in Wemding mit Buchs.
 ?? Foto: Archiv Schäfflerv­ereinigung ?? Seit 1872 existiert der Schäfflert­anz in Wemding. Diese alte Aufnahme zeigt die Sagengesta­lt Gambrinus, der auf einem Fass sitzt.
Foto: Archiv Schäfflerv­ereinigung Seit 1872 existiert der Schäfflert­anz in Wemding. Diese alte Aufnahme zeigt die Sagengesta­lt Gambrinus, der auf einem Fass sitzt.

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