Die Tötungsfantasien des Sebastian S.
Ein Mann stach in Augsburg seiner Ex-Freundin ein Messer in den Hals, er wollte einen Menschen sterben sehen. Im Gefängnis begeht er eine ähnliche Tat. Vor Gericht gibt es besondere Sicherheitsvorkehrungen.
Als Sebastian S. am Dienstag um 9.15 Uhr von vier Beamten der Polizei und der Justiz in den großen Sitzungssaal des Landgerichts Augsburg geführt wird, trägt er Handschellen und Fußfesseln. Seine Arme sind mit einem Bauchgurt am Körper fixiert, links und rechts von ihm haben zwei Beamte Platz genommen. Im Zuschauerraum sitzen zudem noch einmal vier Polizisten – und zwei speziell ausgebildete Einsatztrainer aus Straubing.
Die strikten Sicherheitsvorkehrungen haben einen besonderen Grund: Die Justiz stuft den 31-Jährigen als extrem gefährlich ein. Denn Sebastian S. könnte immer noch von Tötungsfantasien getrieben sein. So wie in der Nacht zum 15. Januar 2017, als er seiner ehemaligen Freundin in einer Wohnung in der Friedberger Straße mit einem Messer in den Hals stach.
Jetzt ist der große, schlaksige Mann mit tätowiertem Gesicht erneut des Mordversuchs angeklagt – im Kaisheimer Gefängnis, wo er seine zehnjährige Haftstrafe absaß, hat er im März 2023 einem
Mithäftling wiederum in den Hals gestochen.
Der Kripo hatte er 2017 nach der Attacke auf seine schlafende ExFreundin erzählt, er habe sich vorgestellt, einen Menschen mit einem einzigen Messerstich so in die Halsschlagader zu treffen, dass „das Blut herausspritzt“und das Opfer vor seinen Augen in kurzer Zeit stirbt. Zum Glück verfehlte der Stich damals knapp die Hauptschlagader, die zur Tatzeit 22-jährige Frau überlebte verletzt. Das Schwurgericht verurteilte Sebastian S. im Januar 2018 wegen gefährlicher Körperverletzung und zwei Fällen der Brandstiftung zu zehn Jahren Haft. Einen Schuldspruch wegen eines Mordversuchs verneinte das Gericht, weil Sebastian S. freiwillig die Tat beendet hatte.
Bei der Attacke im Kaisheimer Gefängnis hatte der 31-Jährige ein Anstaltsmesser benutzt, das er offenbar mithilfe von Schleifpapier mit einer scharfen Spitze versehen hatte. Wie die Bilder der Videoüberwachung zeigen, griff Sebastian S. den Mitgefangenen auf dem Flur vor dem Zellenflügel C im zweiten Stock urplötzlich an, umklammerte ihn und stach mit der Waffe mindestens dreimal in dessen Halsbereich. Das Opfer konnte sich selbst aus der Umklammerung befreien und wegrennen. Er erlitt einen Einstich in den Kopfwendemuskel auf der linken Halsseite, eine Wunde im Halsbereich sowie Schnittverletzungen an der linken Hand. Der Tunesier wird nicht als Zeuge aussagen können, da er inzwischen in sein Heimatland abgeschoben wurde. Die Attacke ist von der Videoüberwachungsanlage der Haftanstalt dokumentiert.
Im ersten Prozess 2018 um den Stich in den Hals seiner Ex-Freundin hatte ein Kripobeamter geschildert, wie es ihm bei der Vernehmung von Sebastian S. eiskalt den Rücken heruntergelaufen war. Dieser habe erzählt, dass er schon viele Male auf der Straße mit einem Messer in der Hand herumspaziert war, um einen x-beliebigen Passanten zu töten. Ihm habe aber immer der Mut gefehlt. Seine Tötungsfantasien wollte er dann aber bei seiner Ex-Freundin in die Tat umsetzen. Er hatte sie in ihrem Appartement besucht, beide hatten Sex und sich danach auf einer Matratze am Boden zum Schlafen gelegt. Die Freundin schlief ein, er rammte ihr die Klinge in den Hals, verfehlte aber die Schlagader um einen Zentimeter. Weil kein Blut herausspritzte, wie er es sich vorgestellt hatte, sei er enttäuscht gewesen und habe aufgehört. Das Opfer war aufgewacht, hatte sich die Verletzung am Hals nicht erklären können. Sebastian S. sagte zu ihr, sie habe sich im Schlaf selbst mit dem Messer verletzt, das ihm aus der Hosentasche gerutscht sei. Im Prozess beteuerte S. damals, er habe seine Freundin nicht töten wollen, sei bei der Tat unter Drogen gestanden.
Nach der Attacke auf den Mithäftling vor knapp einem Jahr im Knast wurde Sebastian S. aus Sicherheitsgründen in ein anderes Gefängnis verlegt. Dort lebt er seit zehn Monaten isoliert in einer Einzelzelle, hat keinerlei persönlichen Kontakt mehr zu Mitgefangenen oder dem Personal. Das Essen wird ihm durch eine Klappe in der Tür in die Zelle gereicht.
Der Auftakt des neuerlichen auf sechs Verhandlungstage terminierten Prozesses gestern endete schnell; das Gericht nahm nach Verlesung der Anklage lediglich die Personalien des Angeklagten auf, dem Staatsanwalt Thomas Junggeburth neben dem Mordmerkmal der Heimtücke auch „Mordlust“vorwirft. Ein psychiatrischer und ein forensischer Sachverständiger werden den Prozess verfolgen. Denn die auch für den Angeklagten entscheidende Frage wird lauten: Wird neben einer Strafe auch die Sicherungsverwahrung angeordnet? Dann würde Sebastian S. möglicherweise für den Rest seines Lebens eingesperrt bleiben.
Der psychiatrische Gutachter wird auch versuchen, die Frage zu klären, warum Sebastian S. Tötungsfantasien hegt und Menschen sterben sehen will. Der Angeklagte hat, wie im ersten Prozess zur Sprache kam, eine schwere Kindheit mit Gewalterfahrungen erlebt. Verteidiger Jörg Seubert hat angekündigt, dass er am Fortsetzungstermin lediglich eine kurze Erklärung im Namen seines Mandanten abgeben werde, dieser aber keine Nachfragen beantworten wolle.
Seit zehn Monaten isoliert in einer Einzelzelle