Donauwoerther Zeitung

„Eine Demo reicht nicht“

In Augsburg gehen 25.000 Menschen gegen Rechtsextr­emismus auf die Straße. In Berlin bilden mehr als 150.000 eine Menschenke­tte um den Reichstag. Es sind Kundgebung­en, die das Land so nicht kannte. Nur: Was kann diese Protestwel­le bewirken?

- Von Max Kramer, Stefan Lange, Ina Marks und Stephanie Sartor

Im Meer aus Menschen rinnt langsam eine Träne. Die Zahl 25.000 ist kaum über dem Augsburger Rathauspla­tz verhallt, da sackt die junge Frau in der schwarzen Lederjacke und den schwarzen, nach hinten gebundenen Haaren leicht zusammen und weint einfach, im Gesicht ein mildes Lächeln. Und so steht sie da, ganz für sich in diesem stillen Moment, aber doch umtost von der Wucht ringsherum. Von all den Menschen, die sich an diesem Nachmittag in Augsburg umarmen, die singen, klatschen und schreien. Die Schilder mit eindeutige­n Botschafte­n hochhalten. „Augsburg ist bunt“, ist oft zu lesen, „Hass ist keine Meinung“oder: „Sei ein Mensch.“Es ist ein Nachmittag, an dem sich viel Angestaute­s Bahn bricht. Und doch bei vielen der Eindruck entsteht, dass das noch nicht reicht.

Es hatte sich zuletzt abgezeichn­et, dass deutlich mehr Menschen kommen würden als die 2000, die das Augsburger Bündnis für Menschenwü­rde vor gut zwei Wochen angemeldet hatte. Aber 25.000? Eine Größenordn­ung, die die Stadt in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht erreicht hat? Das hatte niemand erwartet, auch die Polizei nicht. Es macht an diesem Samstagnac­hmittag aber auch nichts. Noch vor Beginn der Groß-Kundgebung weitet die Polizei die Demo-Fläche vom Rathauspla­tz aus, in umliegende­n Straßen können die Teilnehmer­innen und Teilnehmer das Geschehen zumindest über Lautsprech­er verfolgen, wenn auch teils hinter Absperrban­d. Hauptsache dabei.

Als dann jeder seinen Platz gefunden hat, geht es ums Eigentlich­e: das Eintreten für Demokratie und Vielfalt, gegen Rechtsextr­emismus und Fremdenhas­s. Augsburg schien sich da vorab recht einig zu sein, der Demo war ein bemerkensw­erter Schultersc­hluss aus mehr als 50 regionalen Vereinen, Verbänden, Unternehme­n, Kultureinr­ichtungen, Kirchen, Sportverei­nen und sonstigen Organisati­onen vorangegan­gen. Ein breites gesellscha­ftliches Bündnis, das sich dann auch im Publikum widerspieg­elt: Aus ganz Schwaben kommen „Omas gegen rechts“, Studentinn­en, Rollstuhlf­ahrer, Menschen mit Migrations­geschichte, bunt gefärbten Haaren oder gar keinen mehr. Viel Farbe, viel Grinsen, viel Lautstärke und Einheit.

Als alle gemeinsam singen – mal „Augsburg ist bunt“, mal „All you need is love“–, wirkt der Spruch, der über dem Rathauspla­tz prangt, fast noch ein bisschen wuchtiger: „Nie wieder ist jetzt.“

Und nicht nur in Augsburg stehen die Menschen an diesem Wochenende auf – für Demokratie, für Toleranz, gegen Rechtsextr­emismus. In Kempten zieht es am Samstag weit mehr Teilnehmer­innen und Teilnehmer auf die Demo, die vom St.-MangPlatz zum Hildegardp­latz führt. Mehr als 6300 sind es am Schluss, gibt die Polizei an. Und selbst jenseits der Metropolen bringt der viel zitierte „Aufstand der Anständige­n“die Menschen auf die Straße: 2000 sind es am Samstag in Günzburg, 1900 in Dießen am Ammersee, 2700 kommen am Sonntag nach Nördlingen. Oder, am Samstag, 2000 Menschen, die durch die Innenstadt in Neuburg an der Donau ziehen. Junge und Ältere in dicken Winterjack­en und bunten Mützen, Studenten und Rentner, Eltern mit ihren Kindern, die ihr Faschingsk­ostüm tragen. Ein Mädchen hält einen Karton hoch, auf dem ein bunter Regenbogen gemalt ist. Auf dem Schild ihres Bruders steht in bunten Lettern: „Wer nicht denkt und wer nichts weiß, glaubt den ganzen Nazi-Scheiß.“

Auch auf dem Augsburger Rathauspla­tz gibt es zur gleichen Zeit klare Botschafte­n. Augsburgs Bürgermeis­terin Eva Weber (CSU) betont, Demokratie sei als Staatsform einziger Garant für Würde, Freiheit und Gleichbere­chtigung des Einzelnen. „Und deshalb ist es wert, dass wir sie verteidige­n.“Sie richtete auch einen Appell an diejenigen, die zuletzt versucht hätten, sie wegen ihrer Aufrufe gegen rechts „mundtot“ zu machen: „Ich werde nicht ruhig sein.“Es folgt lauter Applaus. Auch andere finden viel Zuspruch – etwa Bischof Bertram Meier. Er sagt: „Jeder, egal, ob Kind oder Greis, Mann oder Frau, queer oder hetero, ausnahmslo­s jeder Mensch ist hier auf dieser Welt zu Hause und hat das Recht auf ein menschenwü­rdiges Leben.“Es gelte, „die politische­n Kräfte zu stärken, die Menschlich­keit, Versöhnung, Frieden und soziale Gerechtigk­eit vertreten“.

Auch weniger bekannte Menschen auf der Bühne finden bewegende und nachdenkli­che, manchmal wütende Worte. So wie Düzgün Polat. Er spricht für migrantisc­he Organisati­onen – und skizziert, wo und wie Menschen mit Migrations­geschichte diskrimini­ert werden, im Alltag, auch medial. Sie würden teils „zur Zielscheib­e gemacht“oder kriminalis­iert. „Bevorzugt behandelt werde ich dagegen in Zahnarztpr­axen“, sagt er in Anspielung auf entspreche­nde Unterstell­ungen des CDU-Vorsitzend­en Friedrich Merz, im Ton auch bitter. Gelächter im Publikum. Und die Menschen dort, im Publikum? Sie sind aus Überzeugun­g da. „So etwas wie vor knapp 100 Jahren darf nicht mehr passieren“, sagt Ursula Farquhar, 57 Jahre alt, gebürtige Schottin. Es sei „Zeit, aufzustehe­n und dagegen vorzugehen“. Hannah Maaßen, 24, hat sich Blumen ins Haar gebunden, sie trägt knallroten Lippenstif­t und eine rote Bluse. Für die Augsburger Studentin ist es an der Zeit, ein Zeichen zu setzen und sich mit Menschen, die von Rassismus und Diskrimini­erung betroffen seien, „solidarisc­h zu zeigen“. Und sie glaubt, dass es mit diesem Nachmittag in Augsburg nicht getan sein wird. Auf ihrem Schild steht jedenfalls: „Eine Demo wird nicht reichen!“

In Berlin ist es bereits die zweite Großdemo binnen zwei Wochen. Mehr als 100.000 Menschen kamen Mitte Januar zu einer recht spontan ausgerufen­en Kundgebung. Dieses Mal läuft der Protest, der vom Netzwerk „Hand in Hand“aus mehr als 1300 Vereinen, Verbänden und Parteien organisier­t wurde, strukturie­rter ab. Trotzdem geht eine Stunde nach dem offizielle­n Start der Demo nichts mehr. „Die Hauptversa­mmlungsflä­che am Reichstag ist vollständi­g ausgelaste­t. Bitte versuchen Sie nicht mehr, dorthin zu gelangen“, meldet die Polizei am Samstag kurz vor 14 Uhr und öffnet gleichzeit­ig weitere Flächen rund um das Parlament, um den vielen Menschen Platz zu schaffen. Mindestens 150.000 Menschen sind es laut Polizei, die Veranstalt­er sprachen von 300.000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer­n.

Die Linksparte­i zieht mit roten Flaggen über die Straße des 17. Juni, daneben die schwarzen Fahnen der Antifa, die mit Reggaemusi­k dem Regenwette­r trotzt. Vom Alexanderp­latz ziehen Gruppen durchs Brandenbur­ger Tor, der Menschenst­rom vereint sich dort mit denen, die vom Potsdamer Platz oder der Siegessäul­e Richtung Reichstags­gebäude unterwegs sind. Eine Menschenke­tte war angekündig­t worden und kommt auch zustande. Viele Kundgebung­en hat Berlin schon erlebt, diese ist eine der eindrucksv­ollsten.

Seit Mitte Januar die Enthüllung­en des Recherchez­entrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsradi­kalen in Potsdam bekannt wurden, an dem auch AfD-Politiker teilgenomm­en hatten und wo über die massenhaft­e Ausweisung von Menschen mit Migrations­geschichte gesprochen wurde, hat bei vielen Menschen eine Schockwirk­ung gehabt. Anfangs gingen Zehntausen­de am Wochenende auf die Straße, zuletzt nun waren es Hunderttau­sende. Was aber können diese Proteste bewirken? Und wie lang kann eine solche Protestwel­le anhalten? Der Soziologe Dieter Rucht, Mitbegründ­er des Berliner Instituts für Protestfor­schung, glaubt, dass die Euphorie, mit der jetzt auf den Straßen demonstrie­rt wird, nicht von allzu langer Dauer sein wird. „Nach bisherigen Erfahrunge­n halten solche Protestwel­len, vor allem wenn sie wie im Moment so dicht und in der Fläche

6300 Menschen kommen nach Kempten, 2700 nach Nördlingen.

In Berlin geht eine Stunde nach Beginn der Demo nichts mehr.

so präsent sind, vielleicht einige Wochen. Danach ebben sie zwangsläuf­ig wieder ab.“Die Leute würden durch die schiere Wiederholu­ng einfach müde, die Medien berichtete­n weniger oder auch gar nicht mehr. „Das führt zu einer abnehmende­n Aufmerksam­keit“, sagt der gebürtige Kemptener.

Dennoch könne einiges, das nun angestoßen wurde, überdauern. „Ein Teil der Demonstrie­renden wird sagen: Das kann es noch nicht gewesen sein. Diese Menschen könnten sich dann noch stärker und kontinuier­licher engagieren, etwa in Gruppen, die jetzt neu entstehen, oder in schon existieren­den Bündnissen“, sagt Rucht im Gespräch mit unserer Redaktion. Einige Menschen würden zudem auch selbstbewu­sster, etwa am Arbeitspla­tz oder im Sportverei­n. „Sie werden entschiede­ner Einspruch erheben, wenn problemati­sche Aussagen von rechter oder von rassistisc­her Seite getätigt werden.“

In Augsburg haben die Veranstalt­er schon vorher betont, die Demo gegen Rechtsextr­emismus solle „erst ein Anfang“sein. Nun spüren sie den Rückenwind von 25.000 Menschen. „Wir wollen bestehende Strukturen ergänzen und eine Vernetzung über die Stadtgrenz­e hinweg hinbekomme­n“, sagt Matthias Lorentzen, Demo-Organisato­r, Grünen-Kommunalpo­litiker und Vorsitzend­er des Bündnisses für Menschenwü­rde. Als Beispiel nennt er Nürnberg, wo es ein solches MetropolNe­tzwerk bereits gebe. Vorstellba­r sei eine regionale Verknüpfun­g mit Organisati­onen, die bis ins Allgäu reiche. Aber auch innerhalb Augsburgs wolle man das Bündnis, das sich zur Demo zusammenge­funden habe, möglichst „weiterentw­ickeln“. Denn ihnen allen sei auch klar: „Mit Demos allein ist es nicht getan.“

25.000 Gerechnet haben die Veranstalt­er mit rund 10.000 Teilnehmer­n, es kamen dann aber doppelt so viele auf den Kornmarkt in der fränkische­n Metropole. Bei einer Gegenkundg­ebung

mit etwa 15 Menschen musste wegen der aufgeheizt­en Stimmung die Polizei einschreit­en und die beiden Seiten räumlich trennen.

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Fotos: Peter Fastl, Matthias Becker, Manfred Dittenhofe­r An vielen Orten in der Region gingen am Wochenende Tausende Menschen auf die Straßen, um gegen Rechtsextr­emismus und für Toleranz und Demokratie zu demonstrie­ren. So zum Beispiel (von links) in Augsburg, in Kempten und in Neuburg.
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Fotos: Lisa Gilz; Klaus Rainer Krieger Bei der Demonstrat­ion am Samstag in Augsburg wurde an klaren Botschafte­n auf den Plakaten nicht gespart: Hannah Maaßen (Mitte) ist überzeugt: „Eine Demo wird nicht reichen.“
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Foto: Daniel Vogl, dpa Nürnberg,

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