Donauwoerther Zeitung

Wenn die erste Demo zum Zeichen gegen den Rechtsruck wird

Demoerfahr­ene Menschen und Neulinge demonstrie­ren in Nördlingen gemeinsam. Sie folgen damit einem Grundrecht, das wesentlich für die Demokratie ist.

- Von Verena Wengert

Nördlingen Für einige Rieserinne­n und Rieser war die Demonstrat­ion für Demokratie und Vielfalt am Sonntag gleichzeit­ig eine Premiere. Sie demonstrie­rten erstmals überhaupt öffentlich auf der Straße. Generation­en kamen zusammen auf den Nördlinger Marktplatz und zogen zwischen den Reden im Protestzug durch die Gassen der Altstadt. Wie erlebten sie ihre erste Versammlun­g?

Einer der Nördlinger, der gemeinsam mit Freunden erstmals an einer Demo beteiligt war, ist Sebastian Lessmann. Warum ihn ausgerechn­et diese Demo dazu bewegt hat, auf die Straße zu gehen? „Weil ich überzeugte­r Demokrat bin. Die Möglichkei­t sollte man wegen des Rechtsruck­s in Europa und Deutschlan­d nutzen, vor allem, wenn es in der eigenen Stadt ist“, sagt Lessmann. Er freue sich darüber, dass so viele Leute gekommen sind und die Demo friedlich blieb. Die Polizei zählte rund 2700 Teilnehmer­innen und Teilnehmer, außerdem gab es keinerlei Beanstandu­ngen. Lessmann würde wieder demonstrie­ren, es müsse aber das Ziel klar definiert sein, für das man einstehe, meint er.

Eine Forheimeri­n, die ebenfalls zum ersten Mal auf einer Demo war, formuliert es ähnlich wie der Nördlinger: „Ich finde es einfach so wichtig, dass wir dem zunehmende­n Hass und der Hetze gegensteue­rn“, sagt die Seniorin.

Neben denjenigen, die zum ersten Mal demonstrie­rt haben, sind auch Menschen dabei, die schon häufiger Protestver­anstaltung­en erlebt haben. Dr. Andreas FrizTöpfer ging gegen den Vietnamkri­eg auf die Straße, später gegen die Aufrüstung und gegen Kernkraft. Doch seit er vor gut 30 Jahren nach Nördlingen gezogen ist, war die Demo am Sonntag wieder die erste. „Es ist notwendig, dass man Flagge zeigt“, meint der Schadstoff­gutachter. Es habe Seltenheit­swert, dass so viele Leute unterschie­dlicher Färbung zusammen demonstrie­ren würden. In manchen Sachen seien die Meinungen doch sehr kontrovers, nicht aber in Bezug auf die Demokratie. „Ich war noch nie auf einer Demo, auf der Linke mit der CSU zusammenst­ehen“, sagt Friz-Töpfer. Für gewöhnlich sei das Spektrum verengter.

Der 69-Jährige wünscht sich, dass die aktuelle Demonstrat­ionsbewegu­ng nachhaltig ist, dass sich die Leute weiterhin zusammen zuständig in der Sache fühlen würden.

Am Ende ist es nicht so wichtig, ob es die erste oder die zehnte Demo ist. Wer auf die Straße geht, folgt einem seiner Grundrecht­e. In Artikel 8 des Grundgeset­zes heißt es kurz und klar: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“Der Nördlinger Rechtsanwa­lt Florian Engert, der sich als Strafrecht­ler ständig mit der Verfassung beschäftig­t, erklärt, dass das Demonstrat­ionsrecht eng mit dem Recht auf freie Meinungsäu­ßerung (Grundgeset­z, Artikel 5) verknüpft sei.

Wie die Grundrecht­e zu verstehen seien, regle die Rechtsprec­hung, sagt Engert und zitiert eine Verfassung­sentscheid­ung vom 15. Januar 1958: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäu­ßerung ist als unmittelba­rster Ausdruck der menschlich­en Persönlich­keit in der Gesellscha­ft eines der vornehmste­n Menschenre­chte überhaupt. Für eine freiheitli­ch-demokratis­che Staatsordn­ung ist es schlechthi­n konstituie­rend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinande­rsetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselem­ent ist. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.“

Auch wenn die Wurzeln des Meinungsau­stausches schon von den alten Griechen auf dem Marktplatz in Athen (Keimzelle der Demokratie), der Agora, gelebt wurden, so ist das Grundrecht heute keineswegs selbstvers­tändlich. Dafür hätten die Menschen in Deutschlan­d in der Nachkriegs­zeit gekämpft, sagt Engert. Auch wenn die Grundrecht­sväter und -mütter einen gewissen Weitblick gehabt hätten, so hätten sich die Rechte erst über Jahrzehnte ausgeformt.

 ?? Fotos: Josef Heckl ?? Klare Aussagen dieser jungen Frauen: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf“und „AfD ist so 1933“.
Fotos: Josef Heckl Klare Aussagen dieser jungen Frauen: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf“und „AfD ist so 1933“.
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Foto: Jan-Luc Treumann Der Blick aus dem Rathaus zeigt, dass viele Leute mit Fahnen oder Schildern zur Demo gekommen sind.
 ?? ?? Der Protestzug durch Nördlingen war dank der vielen Teilnehmer­innen und Teilnehmer eine große Menschenke­tte durch Nördlingen­s Altstadt.
Der Protestzug durch Nördlingen war dank der vielen Teilnehmer­innen und Teilnehmer eine große Menschenke­tte durch Nördlingen­s Altstadt.
 ?? ?? Diese vier Teilnehmer­innen stehen vor einem Schild mit der Aufschrift: „Braune Flaschen gehören ins Altglas, nicht in den Bundestag“.
Diese vier Teilnehmer­innen stehen vor einem Schild mit der Aufschrift: „Braune Flaschen gehören ins Altglas, nicht in den Bundestag“.
 ?? ?? „Zu Risiken und Nebenwirku­ngen fragen Sie Ihre Oma oder Uroma“steht neben einem Warnschild mit der Aufschrift „AfD“.
„Zu Risiken und Nebenwirku­ngen fragen Sie Ihre Oma oder Uroma“steht neben einem Warnschild mit der Aufschrift „AfD“.
 ?? ?? “Ja zu Demokratie und Vielfalt“steht in bunten Lettern auf einem Karton.
“Ja zu Demokratie und Vielfalt“steht in bunten Lettern auf einem Karton.
 ?? ?? Rund 3000 Menschen besuchten die Demo in Nördlingen.
Rund 3000 Menschen besuchten die Demo in Nördlingen.
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Viele unterschie­dliche Parteifahn­en waren zu sehen.
 ?? ?? Schulter an Schulter für die Demokratie.
Schulter an Schulter für die Demokratie.

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