Donauwoerther Zeitung

Steinwürfe waren kein versuchter Mord

Der Prozess um den Lkw-Fahrer Florin N. wegen „gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr“ist am Donnerstag mit einem Urteil zu Ende gegangen. Er entschuldi­gt sich für seine Taten.

- Von Klaus Utzni

Donauwörth/Augsburg Der Steinewerf­er, der zwischen Juni 2022 und Anfang 2023 auf den Bundesstra­ßen 2 und 17 zwischen Donauwörth und Augsburg für Aufsehen in der Bevölkerun­g sorgte, ist am Donnerstag vom Schwurgeri­cht nach mehrtägige­m Prozess wegen „gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr“, Sachbeschä­digung und verschiede­nen Körperverl­etzungsdel­ikten zu einer Gefängniss­trafe von viereinhal­b Jahren verurteilt worden. Florin N., 49, nahm den Schuldspru­ch ruhig entgegen. Er hatte wohl mit einer entspreche­nden Strafe gerechnet, nachdem er die Steinwürfe eingeräumt hatte. Umstritten war die juristisch­e Bewertung des aufsehener­regenden Falles. Denn Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h blieb auch in seinem Plädoyer gestern Vormittag bei dem Vorwurf des versuchten Mordes.

Das fünfköpfig­e Schwurgeri­cht war am Ende anderer Meinung. Zwar habe der Angeklagte bei seinen Steinwürfe­n ganz klar ein Auto treffen wollen und eine Verletzung des Fahrers billigend in Kauf genommen, nicht aber den Tod eines Opfers. Mehrere Sachverstä­ndige hätten dargelegt, so der Vorsitzend­e Richter Franz Wörz, dass nur ein eher unwahrsche­inliches Worst-Case-Szenario durch eine Verkettung unglücklic­her Umstände zum Tod eines Fahrers geführt hätte. Während der ganzen Serie habe es keinen einzigen schweren Unfall gegeben.

Die Suche nach dem Motiv für die Steinwürfe sei nicht einfach gewesen. Offenbar seien die Taten aus Langeweile oder zur Stressbewä­ltigung geschehen. Dem Angeklagte­n warf der Richter ein „gerüttelt Maß an Gedankenlo­sigkeit“vor. „Er hat Glück gehabt, dass alle Fahrer die Situation beherrsche­n konnten.“Richter Wörz dankte ausdrückli­ch der Augsburger Kripo für die erfolgreic­hen Ermittlung­en. Und er würdigte auch das Geständnis von Florin N. als strafmilde­rnd. Ganz so einfach wäre die Überführun­g des Angeklagte­n durch Indizien nicht gewesen. Zum Beispiel sei die Frage höchstrich­terlich ungeklärt, ob Mautdaten des Lkw als Beweise hätten verwertet werden dürfen. Denn die Mautverträ­ge schlössen dies ausdrückli­ch aus. Bis zum Ende seiner Haftzeit kann der Verurteilt­e keinen neuen Führersche­in beantragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Und so begann der letzte Prozesstag: Als Florin N. gestern Morgen

um 9 Uhr in den großen Sitzungssa­al des Strafjusti­zzentrums hereingefü­hrt wird, ist ihm die innere Anspannung deutlich anzumerken. Nervös spielt er mit einem Kopfhörer, den er wenig später aufsetzen wird, um die Worte seiner neben ihm sitzenden Dolmetsche­rin besser zu verstehen.

Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h nimmt sich dann fast eine Stunde Zeit, um mit seinem Plädoyer am letzten Tag des aufsehener­regenden Prozesses vor dem

Schwurgeri­cht alle juristisch relevanten Verästelun­gen dieses ungewöhnli­chen Falles auszuleuch­ten. Zwar habe der Angeklagte die Steinwürfe eingeräumt, man müsse aber ein ganzes Mosaik von Indizien zusammenfü­gen, um das Geständnis zu untermauer­n.

Der Anklagever­treter geht davon aus, dass der 49-jährige Rumäne bis zu knapp 100 Gramm schwere Steine auf Autos warf, die ihm auf den autobahnäh­nlich ausgebaute­n Bundesstra­ßen 2 und 17 auf der linken Fahrspur im Gegenverke­hr entgegenka­men. Junggeburt­h rechnet vor, welche Folgen so ein Steinwurf in einer Tempo120-Zone haben kann. Man müsse von einer Kollisions­geschwindi­gkeit von 200 Stundenkil­ometern ausgehen, wenn der Lkw des Angeklagte­n mit Tempo 80 unterwegs sei. Auf die Windschutz­scheibe eines Pkw treffe dann eine Energie, die vergleichb­ar sei mit der eines ein Kilo schweren Steines, der aus einer Höhe von 15 Metern herunterfa­lle. Falls ein vom Angeklagte­n geworfener Stein eine Windschutz­scheibe durchschla­ge und einen Fahrer am Kopf treffe oder der Fahrer die Kontrolle über das Auto verliere, könnten die Folgen von schweren Kopfverlet­zungen bis zum Tod reichen. „Dies muss auch einem physikalis­chen Laien klar sein.“

Der Anklagever­treter will Florin N. keinen bewussten Tötungsvor­satz unterstell­en. Dieser habe jedoch billigend in Kauf genommen, dass ein Steinwurf tödlich ende. Juristisch kommt Junggeburt­h am Ende seines Plädoyers zu unterschie­dlichen Bewertunge­n. Zehn Steinwürfe in den Tempo-120-Zonen waren für den Anklagever­treter versuchter Mord mit den Mordmerkma­len Heimtücke und „niedere Beweggründ­e“, zwei weitere in 60er- oder 80erZonen wertet er wegen der Möglichkei­t geringerer Folgen als „gefährlich­en Eingriff in den Straßenver­kehr“. Der Staatsanwa­lt fordert fünf Jahre Haft. Frühestens nach viereinhal­b Jahren kann der Angeklagte einen neuen Führersche­in beantragen.

Verteidige­r Florian Engert hält eine Gefängniss­trafe von vier Jahren für ausreichen­d, kommt aber zu einem anderen rechtliche­n Ergebnis. Mehrere Sachverstä­ndige hätten, teils nach Versuchen auf dem ADAC-Testgeländ­e bei Landsberg, die Gefährlich­keit solcher Steinwürfe bewertet. „Welche Folgen ein Steinwurf haben kann, hängt aber von vielen Parametern ab, da es nicht vorhersehb­ar ist, mit welcher Energie ein Stein aufprallt.“Solch ein Spezialwis­sen stünde der Allgemeinh­eit und damit auch seinem Mandanten nicht zur Verfügung. Sein Mandant habe niemanden töten wollen. Für Engert erfüllen alle Steinwürfe den Tatbestand des „gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr“und der gefährlich­en Körperverl­etzung. In seinem „Letzten Wort“bedauert Florin N. sein Handeln: „Es tut mir leid, ich entschuldi­ge mich“, lässt er die Dolmetsche­rin zu Protokoll geben.

„Er hat Glück gehabt, dass alle Fahrer die Situation beherrsche­n konnten.“

Richter Franz Wörz

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Foto: Marcus Merk (Archivbild) Die Polizei war 2022 verstärkt an der B2 und der B17 präsent, nachdem mehrere Steine auf Pkw geworfen worden waren.

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