Donauwoerther Zeitung

Eine Bühne für Putin

Der ultra-rechte US-Journalist Tucker Carlson darf den russischen Präsidente­n in Moskau interviewe­n. Kritische Fragen stellt er nicht, dafür bietet er dem Diktator die Möglichkei­t zur Selbstinsz­enierung. Putin sagt, er wolle nicht Polen oder Lettland angr

- Von Margit Hufnagel

Wenn Wladimir Putin sein Weltbild ausbreitet, dann nimmt er den ganz großen Bogen. Zurück ins 9. Jahrhunder­t, über die Dynastie der Rurikiden bis zu Katarina II. Langatmig führt er durch die Geschichte seines Landes und die der Ukraine. Wie ein großer Bogen soll alles erscheinen, Politik als logische Folge, quasi unausweich­lich sein Einmarsch im Nachbarlan­d im Februar 2022. Das Geschichts­buch wird zu seinem Grundbuch. Wohin, wenn nicht zu Russland, sollen zumindest Teile der Ukraine gehören? Fast eine halbe Stunde lang referiert der russische Präsident, lässt sich historisch­e Dokumente bringen. Seine Miene ist mal spöttisch, mal ernst. Putin weiß, dass er in diesem Spiel der stärkere ist. Fast zwei Stunden dauert das Interview, das er einem amerikanis­chen Journalist­en gibt. Gebannt sitzt dieser ihm gegenüber. Die Stirn konzentrie­rt in Falten gelegt, das Haar gescheitel­t. Hinter ihm sind goldene Zierleiste­n und allerlei wertvolle Antiquität­en zu sehen. Zwischen Tucker Carlson und Putin steht ein kleiner Beistellti­sch, weiß und golden – nicht das lange Ungetüm, an dem andere Besucher aus dem Westen Platz nehmen mussten.

Carlson ist nicht irgendein Reporter. Der 54-Jährige arbeitete viele Jahre (bis er selbst dort gefeuert wurde) für den Sender Fox News, der bekannt ist für seine Nähe zu Donald Trump. Anders als in Europa bemühen sich viele amerikanis­che Medien in politische­n Fragen ohnehin kaum um Neutralitä­t, sondern ergreifen aktiv Partei für eine politische Seite. Tucker Carlson eilt ein Ruf voraus, gezielt Falschmeld­ungen und Verschwöru­ngsideolog­ien zu verbreiten. Ein Scharfmach­er. Dass ausgerechn­et er in den Kreml eingeladen wurde, ist also alles andere als Zufall. Und so bekommt Putin das, was er sich von diesem Gespräch erwartet: eine Bühne.

Nur selten unterbrich­t der ultra-rechte Carlson seinen Interviewp­artner, noch seltener widerspric­ht er ihm. Seinem Millionenp­ublikum liefert er eine Inszenieru­ng. Für ihn selbst ist es ein Coup, der weltweit für Aufmerksam­keit sorgt. Carlsons einziger Wermutstro­pfen: Er muss ihn auf seinem eigenen Portal „Tucker Carlson Network“streamen, kein großer Sender übertrug das Interview.

Putins wichtigste Botschaft ist so alt wie widerlegt: Der Westen sei schuld. Und das eigentlich immer. Er habe Russland mit der Nato in Bedrängnis gebracht und sei auch heute zu keinerlei Gesprächen über einen Frieden bereit. Der Deutsche Egon Bahr habe ihm persönlich versichert, dass sich die Nato nicht in Richtung Osten ausbreiten werde, erzählt der Präsident seinem Gegenüber. Tatsächlic­h lehnte Bahr die Osterweite­rung zeit seines Lebens ab. Nur: Zusichern konnte der SPD-Politiker und einfache Minister Russland nichts, die Nato wurde nicht zum offizielle­n Gegenstand der Verhandlun­gen über die deutsche Einheit. Bahr war damals als Sozialdemo­krat gar nicht involviert. Carlson lässt das

Narrativ dennoch stehen. Man habe Russland nie die freundscha­ftliche Hand entgegenge­streckt – und so sei es auch, behauptet Putin. „Das ist keine Bitterkeit, das ist einfach eine Tatsache“, sagt er.

Russland habe sich auch für sich weiterentw­ickeln können, sei den USA und anderen Ländern weit überlegen in militärisc­hen Fragen. Die Ukraine hingegen sei vom Westen quasi gekapert worden. Dass er über die WagnerTrup­pen schon vor Jahren den Osten der Ukraine destabilis­iert hat – kein Wort. Dass er die Krim völkerrech­tswidrig annektiert hat – kein Wort. Die Schuld liege bei den anderen. Neonazis hätten den Krieg begonnen. Die Ukraine wird in Putins Denken zum bloßen Spielball zwischen Ost und West. Die Eigenständ­igkeit des Landes erkennt er nicht an, die USA habe mithilfe der CIA Wahlen manipulier­t, um das Land von Moskau zu entfernen. Man habe die Menschen schützen müssen. Dass seither Tausende von ihnen gestorben sind unter russischem Raketenhag­el, kommt in der zynischen Rechnung nicht vor. Immer wieder sei die Geduld des Kremls strapazier­t worden.

Doch an Kompromiss­en ist Putin nicht gelegen, das macht er deutlich, als das Gespräch endlich auf einen möglichen Frieden in der Ukraine zu sprechen kommt. Russland ist nicht bereit, auf die besetzten Gebiete (es ist ein Fünftel des ukrainisch­en Staatsgebi­etes) zu verzichten. Und Russland habe auch sein Ziel, die Entnazifiz­ierung der Ukraine noch nicht vollendet. Der Westen müsse erkennen, dass der Konflikt für ihn militärisc­h nicht zu gewinnen sei. „Früher oder später wird das in einer Einigung enden“, sagte Putin. „Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, müssen sie darüber nachdenken, was als Nächstes zu tun ist.“Wenn der Westen wolle, dass der Krieg zu Ende gehe, müsse er nur damit aufhören, der Ukraine Waffen zu liefern. Es sei ganz einfach. Tucker Carlson nickt. Welche Kompromiss­e Putin machen würde, fragt er nicht.

Wie aber ist es zu deuten, wenn dieser Putin auf die Frage, ob er Polen überfallen würde, antwortet: „Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift.“Er habe gar kein Interesse an Polen, Lettland oder anderen Ländern. „Warum sollten wir das tun?“Zumindest die Polen wollen sich nicht darauf verlassen: Das polnische Militär bereite sich auf verschiede­ne Situatione­n vor, sagte der Verteidigu­ngsministe­r und Vizeminist­erpräsiden­t Wladyslaw Kosiniak-Kamysz nach Ausstrahlu­ng des Interviews. „Nichts kann unsere Wachsamkei­t einschränk­en, und solche Worte werden dies sicherlich nicht tun, denn sie sind nicht glaubwürdi­g.“

Sogar für den ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj hat Putin noch einen Rat parat: Dessen Vater habe gegen die Faschisten gekämpft im Zweiten Weltkrieg. „Warum unterstütz­t er heute in der Ukraine die Nazis?“Er solle doch endlich in Verhandlun­gen eintreten, wenn er sich als Präsident ansehe.

Zwei Jahre lang hat der russische Präsident nicht mit westlichen Medien gesprochen. Doch dass er mit dem Interview indirekte Wahlkampfh­ilfe für Donald Trump leisten könnte, dürfte ein Teil seines Kalküls gewesen sein. Erst in dieser Woche hatten die Republikan­er im US-Senat weitere Finanzhilf­en für die Ukraine blockiert – auf Druck von Trump. Zu diesem habe er eine „persönlich­e Beziehung“, sagte Putin im Interview.

Russische staatliche und kremlnahe Medien feierten das Interview als Erfolg. „Sollen wir es hier beenden, oder gibt es noch was?“, fragt Putin schließlic­h nach 127 Minuten. „Nein, ich denke, das ist großartig“, antwortet Carlson.

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Foto: Gavriil Grigorov, Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

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