„Wir brauchen zwei Kalender“
Sieben Familienmitglieder, zwei Faschingsvereine. Bei den Reitschusters in Schäfstall dreht sich viel um die fünfte Jahreszeit. Sie erzählen, was sie daran so fasziniert.
Ein Glück, dass sie vier Autos auf dem Hof stehen haben. Der Zeitplan in Schäfstall ist eng, der Kalender streng durchgetaktet. Denn bei aller Gaudi, die Fasching gemeinhin bedeuten mag: Ohne Organisation und eine gewisse preußische Disziplin sind all die Events nicht zu meistern. Kaum jemand dürfte das besser wissen als die Reitschusters, die eine richtige Faschingsfamilie sind. „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, um das zu machen“, sagt Natalie Reitschuster.
Zwei Familienkalender führen die Reitschusters mittlerweile. Der Platz würde sonst nicht mehr reichen, angesichts der Fülle an Terminen. Gerade jetzt, zur Faschingszeit. Alle sieben sind eingebunden. Ulrich Reitschuster ist vorne mit dabei als Präsident der Initiative Fasching Donauwörth (IFD). Seine Frau Natalie ist beim Carneval Club Bäumenheim (CCB) im Elferrat engagiert, ihre Töchter Emily, 21, und Lara, 18, tanzen in Bäumenheim, die zwölfjährige Annika tanzt ebenfalls, bei den „Puppen“des CCB. Die zwei Kleinen machen freilich auch mit – Hanna, fünf Jahre alt, ist bei den Sternschnuppen der IFD, der Kleinste, Luis, ist zumindest schon mal standesgemäß verkleidet und auch mit dabei.
An diesem Mittwochnachmittag sind alle wieder auf dem Sprung. Trainieren, vorbereiten, Bierbänke schleppen, von A nach B fahren. Für den Endspurt, könnte man sagen, für das große Finale des Faschings am Wochenende und den närrischen Tagen Rosenmontag und Faschingsdienstag. Fasching ist immer auch Vorbereitung. Eigentlich, sagt Emily, gibt es im Jahr nur einen Monat lang so richtig Pause. Zweimal die Woche ist ansonsten Training für die Tanzgruppe, in den Weihnachtsferien sogar täglich. „Manchmal reicht’s einem dann schon“, gibt Lara zu – sie lässt aber durchblicken, dass aufhören keine Option wäre. Zu sehr ist man reingewachsen, zu eng sind all die Bande, die Freundschaften geworden, zu groß die Freude darüber, wenn die Figuren und Formationen auf der Bühne gelingen – „wenn man überzeugt“, wie Emily sagt.
Überzeugen konnten die Formationen
des CCB auch schon öfter im Fernsehen bei der Faschingssendung „Schwaben weißblau“; zuletzt wurde man mit beeindruckenden Hebefiguren Zweiter Europameister im Showtanz. Und: Erst diese Woche war die Formation in der Staatskanzlei in München zu Gast. Fasching ist eine bunte Mischung: Freude, Organisation, Sport, das Soziale, Freundschaft.
Fasching, Karneval, Fastnacht. In Süddeutschland werden sämtliche Begriffe für die fünfte Jahreszeit verwendet. Und irgendwo und irgendwie gibt es freilich einen gemeinsamen Nenner dabei, betrachtet man den Ursprung der sogenannten närrischen Zeit. In „Fasching“steckt der Begriff „Fastenschank“. Dabei geht es um den letzten Ausschank alkoholischer Getränke vor der einst vor allem in katholischen Regionen streng gehaltenen Fastenzeit ab Aschermittwoch – um ein letztes ausgelassenes Feiern vor der Zeit des Fastens und Besinnens bis zur großen Feier der Auferstehung Jesu Christi an Ostern. Bis zu diesem Zieldatum war ab Aschermittwoch, dem strengen Tag der Buße, vor allem in früheren Zeiten Ruhe und absolutes Maßhalten angesagt.
Der Begriff des Karnevals hat letztlich ebenso ursprünglich viel mit dem Fasten zu tun. Die Gelehrten streiten sich bisweilen, ob das Mittellateinische „carnem levare“dahintersteckt, sprich: „das Fleisch wegnehmen“, oder aber der Ausruf „carne vale“, frei übersetzt: „Lebe wohl, Fleisch“. Die rituelle Ernsthaftigkeit des Fastens (und auch die des Feierns davor) mag ein Grund dafür sein, dass der Fasching in der eher katholischen Region rund um Donauwörth bis heute verbreiteter ist als im evangelischen Ries. Auch im katholischen Rheinland hat der Karneval mehr Tradition als in protestantisch geprägten Gebieten. Martin Luther nahm es ja bekanntlich nicht so ernst mit dem Fasten – er setzte da, kurz gesagt, mehr auf Freiwilligkeit statt festen Ritus mit strengen Fastentagen.
Wie dem auch sei – für die Reitschusters bedeutet der Fasching heute vor allem: Freude und Freunde. Die Kinder sind von Anfang an reingewachsen in die Garden und Gruppen, Ulrich Reitschuster ist zudem ein Mann der ersten Stunde des organisierten Faschings in Donauwörth. Vor gut 25 Jahren war er Gründungsmitglied der IFD, seit etwa elf Jahren ist er deren Präsident. Man könnte meinen, dass er damit in Konkurrenz stünde zum größten Teil der
Familie in Schäfstall – drei der fünf Kinder sowie seine Frau Natalie sind ja beim CCB. Doch wieder mal ist alles ganz anders, es geht ja schließlich um Fasching. Beide Reitschuster-Eltern beteuern, dass es so etwas wie Konkurrenz nicht gebe bei den Faschingsvereinen in der Region. Im Gegenteil. „Es ist ein großes Netzwerk, ein Miteinander. Wir kooperieren, sprechen uns ab, besuchen gegenseitig unsere Veranstaltungen“, erklärt Reitschuster. Auch das mache einen Großteil der Faszination aus.
Faschingsmuffel werden es womöglich nie verstehen, dass sich Hunderte und Tausende treffen, um an ganz bestimmten Tagen kostümiert zu schunkeln. Es ist vielleicht eben dieses starke Miteinander, das die Reitschusters leben und feiern, in der Familie wie auch im Verein. Dafür spielt man dann gerne Termin-Tetris – wenn es sein muss, auch mit zwei Kalendern.
„Es ist ein großes Netzwerk, ein Miteinander.“