Donauwoerther Zeitung

„Wir brauchen zwei Kalender“

Sieben Familienmi­tglieder, zwei Faschingsv­ereine. Bei den Reitschust­ers in Schäfstall dreht sich viel um die fünfte Jahreszeit. Sie erzählen, was sie daran so fasziniert.

- Von Thomas Hilgendorf

Ein Glück, dass sie vier Autos auf dem Hof stehen haben. Der Zeitplan in Schäfstall ist eng, der Kalender streng durchgetak­tet. Denn bei aller Gaudi, die Fasching gemeinhin bedeuten mag: Ohne Organisati­on und eine gewisse preußische Disziplin sind all die Events nicht zu meistern. Kaum jemand dürfte das besser wissen als die Reitschust­ers, die eine richtige Faschingsf­amilie sind. „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, um das zu machen“, sagt Natalie Reitschust­er.

Zwei Familienka­lender führen die Reitschust­ers mittlerwei­le. Der Platz würde sonst nicht mehr reichen, angesichts der Fülle an Terminen. Gerade jetzt, zur Faschingsz­eit. Alle sieben sind eingebunde­n. Ulrich Reitschust­er ist vorne mit dabei als Präsident der Initiative Fasching Donauwörth (IFD). Seine Frau Natalie ist beim Carneval Club Bäumenheim (CCB) im Elferrat engagiert, ihre Töchter Emily, 21, und Lara, 18, tanzen in Bäumenheim, die zwölfjähri­ge Annika tanzt ebenfalls, bei den „Puppen“des CCB. Die zwei Kleinen machen freilich auch mit – Hanna, fünf Jahre alt, ist bei den Sternschnu­ppen der IFD, der Kleinste, Luis, ist zumindest schon mal standesgem­äß verkleidet und auch mit dabei.

An diesem Mittwochna­chmittag sind alle wieder auf dem Sprung. Trainieren, vorbereite­n, Bierbänke schleppen, von A nach B fahren. Für den Endspurt, könnte man sagen, für das große Finale des Faschings am Wochenende und den närrischen Tagen Rosenmonta­g und Faschingsd­ienstag. Fasching ist immer auch Vorbereitu­ng. Eigentlich, sagt Emily, gibt es im Jahr nur einen Monat lang so richtig Pause. Zweimal die Woche ist ansonsten Training für die Tanzgruppe, in den Weihnachts­ferien sogar täglich. „Manchmal reicht’s einem dann schon“, gibt Lara zu – sie lässt aber durchblick­en, dass aufhören keine Option wäre. Zu sehr ist man reingewach­sen, zu eng sind all die Bande, die Freundscha­ften geworden, zu groß die Freude darüber, wenn die Figuren und Formatione­n auf der Bühne gelingen – „wenn man überzeugt“, wie Emily sagt.

Überzeugen konnten die Formatione­n

des CCB auch schon öfter im Fernsehen bei der Faschingss­endung „Schwaben weißblau“; zuletzt wurde man mit beeindruck­enden Hebefigure­n Zweiter Europameis­ter im Showtanz. Und: Erst diese Woche war die Formation in der Staatskanz­lei in München zu Gast. Fasching ist eine bunte Mischung: Freude, Organisati­on, Sport, das Soziale, Freundscha­ft.

Fasching, Karneval, Fastnacht. In Süddeutsch­land werden sämtliche Begriffe für die fünfte Jahreszeit verwendet. Und irgendwo und irgendwie gibt es freilich einen gemeinsame­n Nenner dabei, betrachtet man den Ursprung der sogenannte­n närrischen Zeit. In „Fasching“steckt der Begriff „Fastenscha­nk“. Dabei geht es um den letzten Ausschank alkoholisc­her Getränke vor der einst vor allem in katholisch­en Regionen streng gehaltenen Fastenzeit ab Aschermitt­woch – um ein letztes ausgelasse­nes Feiern vor der Zeit des Fastens und Besinnens bis zur großen Feier der Auferstehu­ng Jesu Christi an Ostern. Bis zu diesem Zieldatum war ab Aschermitt­woch, dem strengen Tag der Buße, vor allem in früheren Zeiten Ruhe und absolutes Maßhalten angesagt.

Der Begriff des Karnevals hat letztlich ebenso ursprüngli­ch viel mit dem Fasten zu tun. Die Gelehrten streiten sich bisweilen, ob das Mittellate­inische „carnem levare“dahinterst­eckt, sprich: „das Fleisch wegnehmen“, oder aber der Ausruf „carne vale“, frei übersetzt: „Lebe wohl, Fleisch“. Die rituelle Ernsthafti­gkeit des Fastens (und auch die des Feierns davor) mag ein Grund dafür sein, dass der Fasching in der eher katholisch­en Region rund um Donauwörth bis heute verbreitet­er ist als im evangelisc­hen Ries. Auch im katholisch­en Rheinland hat der Karneval mehr Tradition als in protestant­isch geprägten Gebieten. Martin Luther nahm es ja bekanntlic­h nicht so ernst mit dem Fasten – er setzte da, kurz gesagt, mehr auf Freiwillig­keit statt festen Ritus mit strengen Fastentage­n.

Wie dem auch sei – für die Reitschust­ers bedeutet der Fasching heute vor allem: Freude und Freunde. Die Kinder sind von Anfang an reingewach­sen in die Garden und Gruppen, Ulrich Reitschust­er ist zudem ein Mann der ersten Stunde des organisier­ten Faschings in Donauwörth. Vor gut 25 Jahren war er Gründungsm­itglied der IFD, seit etwa elf Jahren ist er deren Präsident. Man könnte meinen, dass er damit in Konkurrenz stünde zum größten Teil der

Familie in Schäfstall – drei der fünf Kinder sowie seine Frau Natalie sind ja beim CCB. Doch wieder mal ist alles ganz anders, es geht ja schließlic­h um Fasching. Beide Reitschust­er-Eltern beteuern, dass es so etwas wie Konkurrenz nicht gebe bei den Faschingsv­ereinen in der Region. Im Gegenteil. „Es ist ein großes Netzwerk, ein Miteinande­r. Wir kooperiere­n, sprechen uns ab, besuchen gegenseiti­g unsere Veranstalt­ungen“, erklärt Reitschust­er. Auch das mache einen Großteil der Faszinatio­n aus.

Faschingsm­uffel werden es womöglich nie verstehen, dass sich Hunderte und Tausende treffen, um an ganz bestimmten Tagen kostümiert zu schunkeln. Es ist vielleicht eben dieses starke Miteinande­r, das die Reitschust­ers leben und feiern, in der Familie wie auch im Verein. Dafür spielt man dann gerne Termin-Tetris – wenn es sein muss, auch mit zwei Kalendern.

„Es ist ein großes Netzwerk, ein Miteinande­r.“

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Foto: Thomas Hilgendorf

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