Donauwoerther Zeitung

Union und SPD müssen raus aus ihren Komfortzon­en

Das Modell Dreierkoal­ition hat versagt. Die einstigen Volksparte­ien sollten sich auf ihre Wurzeln besinnen und hart daran arbeiten, wenn sie die AfD wirklich eindämmen wollen.

- Von Michael Pohl

Zumindest fürs Erste scheint der Aufstieg der AfD gestoppt. Der Wirbel um entlarvend­e Treffen mit Neonazis, krude Theorien ethnischer Säuberunge­n im weltoffene­n Deutschlan­d und die Massendemo­nstratione­n gegen die Enttabuisi­erung des Rechtsextr­emismus bescherten der Partei nach langem Wachstum erstmals einen steilen Knick nach unten in der Zustimmung. Gleichwohl behauptet sich die AfD in den Umfragen knapp als zweitstärk­ste Kraft.

Für die anderen Parteien gibt der Sinkflug der AfD keinerlei Anlass zur Selbstzufr­iedenheit. Im Gegenteil. An der Nachdenkli­chkeit jener bisherigen Anhänger, die sich aus guten Gründen von der radikalisi­erten AfD abwenden, sollte man sich auch innerhalb von SPD und Union ein Beispiel nehmen und jetzt innehalten. Denn die kurze Atempause könnte für sie ungenutzt verfliegen. Sie könnte aber auch die Chance auf eine Trendwende für politisch stabilere Verhältnis­se bieten. Denn das Modell Dreierbünd­nis hat im Dauerstrei­t der Ampel versagt. Der inhaltlich­e Spagat zwischen Grünen und FDP ist zu weit, sodass auch eine Jamaikakoa­lition unter Führung der Union niemanden mehr lockt.

So wäre es für Union und SPD an der Zeit, sich auf ihre einstige Bedeutung als alte Volksparte­ien zurückzube­sinnen. Inzwischen wandelte sich der Begriff Volksparte­i zum hohlen Marketing-Etikett. Die CDU entfernte sich als Kanzlerwah­lverein unter Angela Merkel und pragmatisc­he Machtmasch­ine in den Ländern von ihrem gesellscha­ftlichen Wurzelgefl­echt. Die CSU bezahlte schwindend­e Volksnähe mit Verlusten weiter Teile ihrer einstigen „Leberkäset­age“an die Freien Wähler.

Doch am weitesten entrückte die SPD vom Anspruch einer Volksparte­i. Die einstige Arbeiterpa­rtei entfremdet­e sich von ihrer Kernwähler­schaft und überließ sie kampflos anderen: Der Name der stärksten Arbeiterpa­rtei lautet seit Jahren bei vielen Landtagswa­hlen: AfD. In Bayern stimmten laut Analysen die als „Arbeiter“eingeordne­ten Wähler zu 31 Prozent für die AfD und nur zu fünf Prozent für die SPD. In Hessen sammelte die AfD gar 40 Prozent der Arbeiterst­immen ein, während die SPD ein Viertel ihrer Wählerscha­ft verlor.

Dass es auch anders geht, zeigten sogar Olaf Scholz und sein Wahlkampft­eam: An die Adresse der unteren Mittelschi­cht plakatiert­en sie 2021 mit Erfolg Themen wie Respekt, billigere Mieten und sicherere Arbeitsplä­tze. Doch unter dem Druck der Krisen konnte Scholz als Kanzler weder beim Thema Mieten noch in puncto Wirtschaft liefern. Die einseitige soziale Ausrichtun­g der vom schlechten Hartz-IV-Gewissen geplagten SPD auf Bürgergeld- und Mindestloh­nempfänger kam in den mit der Inflation besonderes kämpfenden Lohngruppe­n nicht als Respekt für ihre Leistung an, sondern entfachte im Gegenteil eine Debatte, ob sich Arbeiten noch lohnt.

Auch die Union muss sich fragen, ob sie große, weniger gut begüterte Teile der Bevölkerun­g einfach links oder rechts liegen lassen will. Migrations­kritische Parolen oder Wirtschaft­sversprech­en können ernsthafte soziale Angebote an die schwankend­e Wählergrup­pe nicht ersetzen. Vielmehr bräuchte die Union auch in der ersten Reihe glaubwürdi­ge Köpfe, die für ein soziales Profil stehen. Dies mag konfliktre­icher sein, als in der Komfortzon­e auf eine Große Koalition zu schielen und die Sozialroll­e der SPD zu überlassen. Doch andere stabile Zweierbünd­nisse werden für Union und SPD zur Illusion, wenn sie die Verantwort­ung wirklicher Volksparte­ien scheuen.

Die SPD gibt ihre Kernwähler­schaft kampflos auf.

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