Donauwoerther Zeitung

Stalking am Arbeitspla­tz – was war los?

Am Arbeitsger­icht Donauwörth ploppt ein Fall auf, der eine Hintergrun­dgeschicht­e hat, die bis 2016/17 zurückreic­ht. Eine junge Frau fühlt sich fortwähren­d von ihrem älteren Kollegen belästigt.

- Von Barbara Würmseher

Es ist nur die Spitze des Eisbergs, die an diesem Tag am Arbeitsger­icht Donauwörth zur Sprache kommt. Am Tag der Güteverhan­dlung, in der Vorsitzend­er Wolfgang Balze vergeblich versucht, zwischen den Parteien zu schlichten. Der Richter beschränkt sich auf diese Spitze, da er seine Instanz ohnehin nicht für zuständig hält.

Auf den weitaus größeren Teil des Eisbergs verweist er lediglich ganz am Rande. Dieser Teil besteht aus einer jahrelange­n Vorgeschic­hte, deren Vorfälle auch in Gerichtsak­ten dokumentie­rt sind. Begonnen haben soll alles etwa Anfang 2017.

Die beiden Parteien, das sind eine heute 34-jährige Frau und ihr jetzt 63 Jahre alter Kollege, wohnhaft in verschiede­nen LandkreisK­ommunen, beide beschäftig­t im selben Donauwörth­er Unternehme­n. Nach anfangs kollegiale­n Kontakten kippte die Stimmung Ende 2016. Es soll eine Vielzahl von Avancen vonseiten des deutlich älteren Mannes gegeben haben, die der jungen Frau unangenehm waren: Anrufe, unzählige SMS, Erkundigun­gen im sozialen Umfeld über die Kollegin, grundlose Besuche am Arbeitspla­tz und bei ihr zu Hause, Abpassen auf dem Firmen-Parkplatz ...

Rechtsanwa­lt Florian Engert, der die 34-Jährige vertritt, schildert auf Nachfrage, wie massiv sich seine Mandantin unter Druck gefühlt habe. Der Jurist spricht von einem „unerträgli­chen Maß“. Sie habe schließlic­h Personalab­teilung, Betriebsra­t und Rechtsabte­ilung des Arbeitgebe­rs eingeschal­tet, die vorübergeh­end Rechtsfrie­den herstellen konnten, ohne eine Bewertung der Vorfälle zu treffen. Gezielte Schichtplä­ne und räumliche Trennung sollten Begegnunge­n unterbinde­n. Der 63-Jährige unterschri­eb zudem eine Unterlassu­ngs- und Verpflicht­ungserklär­ung und es herrschte Ruhe.

Eine trügerisch­e Ruhe. Denn wie Engert schildert und wie es auch in früheren Gerichtsve­rhandlunge­n zur Sprache kam, sollen sich die Annäherung­en 2019 fortgesetz­t haben. Die Frau zeigte den Kollegen daraufhin an. Ein strafrecht­liches Ermittlung­sverfahren gegen ihn wegen Nachstellu­ng wurde wegen geringer Schuld eingestell­t. Ein Gewaltschu­tzverfahre­n

2020 führte zum Erlass einer Anordnung, die der Mann akzeptiert­e. Grundlage für diese Anordnung war auch ein Vorfall vom 6. Mai 2020. Ein TeilAspekt dieses Vorfalls ist nun jene Spitze des Eisbergs, um die es beim Arbeitsger­icht geht.

An jenem 6. Mai 2020 lagen bei der jungen Frau die Nerven blank. Sie wollte nach ihrer Schicht gegen 23.30 Uhr heimfahren und entdeckte auf dem Firmenpark­platz, direkt bei ihrem Wagen, das Fahrzeug des Kollegen, der doch mehrfach Erklärunge­n abgegeben hatte, sich ihr nicht zu nähern. Er saß am Steuer. Panik stieg in ihr auf und sie versuchte fluchtarti­g, das Gelände zu verlassen. Sie habe den Motor ihres Autos gestartet – er habe den Motor seines Autos gestartet. Sie sei angefahren – er ebenfalls, neben ihr und parallel zu ihrer Fahrtricht­ung.

Wohl, um zu testen, ob Absicht oder Zufall im Spiel war, habe sie gebremst und er zeitgleich auch. Das zumindest gab die 34-Jährige an Eides statt im Gewaltschu­tzverfahre­n 2020 zu Protokoll. Wie sich später allerdings mithilfe eines Überwachun­gsvideos herausstel­lte, war kein Abbremsen zu sehen. Alles andere hatte gestimmt, nur eben nicht das Stoppen des Wagens.

Ihr Kollege erstattete daraufhin Anzeige gegen sie wegen falscher Versicheru­ng an Eides statt. Hierauf kam es im November 2022 zur Verhandlun­g am Amtsgerich­t Nördlingen. Das Verfahren wurde gegen eine Geldauflag­e eingestell­t. Rechtsanwa­lt Engert erklärte diese fehlerhaft­e Angabe seiner Mandantin mit deren „emotionale­r Ausnahmesi­tuation“seiner Mandantin, die zu einer „kurzzeitig­en kognitiven Fehlleistu­ng“geführt

habe. Wie auch immer – juristisch ist unter diese Fehlleistu­ng längst ein Schlusspun­kt gesetzt.

Was nicht zu Ende ist, sind die Aktivitäte­n des 63-Jährigen. Er reichte im Dezember 2023 Klage beim Arbeitsger­icht ein. Er will die gerichtlic­he Feststellu­ng erreichen, seine Kollegin habe den Schaden zu ersetzen, der ihm aus dieser fehlerhaft­en Angabe des Abbremsens entstanden ist oder noch entstehen werde. Entgegen seiner früheren Unterlassu­ngserkläru­ngen ist im Antrag seines Rechtsanwa­lts Ulrich Roßkopf nun auch die Rede davon, die 34-Jährige würde bewusst wahrheitsw­idrig behaupten, ihr Kollege würde ihr am Arbeitspla­tz nachstelle­n.

„Die Wahrnehmun­gen gehen auseinande­r“, sagt Roßkopf in der arbeitsrec­htlichen Verhandlun­g.

Sein Mandant habe Nachteile erlitten durch die Darstellun­gen der Kollegin. Er habe – mittlerwei­le in Altersteil­zeit – ein Betretungs­verbot des Firmengelä­ndes, fühle sich massiv eingeschrä­nkt, habe ihretwegen Anwalts- und Verfahrens­kosten und sei gesundheit­lich angegriffe­n.

Vorsitzend­er Balze sah keinen Ansatz für Roßkopfs Mandanten, Ansprüche abzuleiten, schließlic­h seien geschätzt 70 Prozent des Vorfalls vom 6. Mai 2020 zutreffend. Zudem sah er den Fall nicht beim Arbeitsger­icht angesiedel­t: „Angesichts dessen, was hier in den letzten Jahren abgelaufen ist, habe ich erhebliche Bedenken, dass wir überhaupt zuständig sind, sondern das Landgerich­t Augsburg.“

Die Klageparte­i ist nun aufgeforde­rt, den Rechtsweg zum Arbeitsger­icht zu begründen.

 ?? Foto: Angelika Warmuth, dpa (Archivbild) ?? Ein Mann soll seiner Kollegin wiederholt nachgestel­lt haben – auf vielfältig­e Weise. Diese Vorfälle wurden schon vor dem Amtsgerich­t verhandelt, jetzt muss sich das Arbeitsger­icht damit befassen.
Foto: Angelika Warmuth, dpa (Archivbild) Ein Mann soll seiner Kollegin wiederholt nachgestel­lt haben – auf vielfältig­e Weise. Diese Vorfälle wurden schon vor dem Amtsgerich­t verhandelt, jetzt muss sich das Arbeitsger­icht damit befassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany