Zwischen Freiheit und Gefangenschaft
An der JVA Niederschönenfeld entsteht jetzt weithin sichtbar Kunst am Bau für 125.000 Euro. Was die Künstler mit „Locomotion“aussagen wollen.
Wer die Staatsstraße 2047 in Höhe Niederschönenfeld passiert, wird ab Mai einen augenfälligen Blickfang haben, der am Gebäude der Justizvollzugsanstalt die Aufmerksamkeit auf sich lenken wird: Dort wird am ErnstZürn-Weg – für alle sichtbar – außerhalb der Gefängnismauern mit Blickrichtung Staatsstraße – das Kunstwerk „Locomotion“installiert. Kostenpunkt 125.000 Euro. Das Objekt wird an einer Außenwand des Außenlagers angebracht. Im März beginnen die Arbeiten dazu vor Ort.
Die Vorbereitungen im Hintergrund indes sind bereits auf der Zielgeraden angekommen, „der Prototyp ist fertig und kann somit in Produktion gehen“, wie das Staatliche Bauamt Augsburg mitteilt. Der Bildende AkademieKünstler Felix Weinold und die Augsburger Künstlergruppe „Lab Binaer“(Benjamin Stechele und Martin Spengler kommen aus der digitalen Kunst) haben „Locomotion“entworfen und sich damit unter 120 Bewerbern durchgesetzt. Die drei verbinden auf spannende Weise herkömmliches, analoges Denken mit digitaler Sichtweise.
Die graue Betonfarbe des Außenlagers des Gebäudes wird auf einer Teilfläche schwarz grundiert, sobald die Witterung sich dafür eignet. Es darf nicht zu kalt sein und nicht regnen. Wenn die Farbe dann trocken ist, wird eine Folie aufgeklebt, auf der stilisierte Schwalben zu sehen sind. Im Anschluss werden davor horizontale Lamellen in engen Abständen montiert. Das Kunstwerk ist von beachtlicher Dimension und ungewöhnlichem Format: Es hat 21 Meter Breite und 2,50 Meter Höhe und wirkt damit beinahe wie ein Filmstreifen – und das nicht ohne Grund.
Denn „Locomotion“ist kein statisches Objekt. Es lebt davon, dass der Betrachter in einigem Abstand daran vorbeifährt. Nur dann erschließt sich die Dynamik, die ihm innewohnt. Dann nimmt man die flügelschlagenden Silhouetten der Schwalben wahr in unterschiedlichen Flugphasen. Die Künstler haben eine Botschaft dahinter: „Erst dadurch, dass wir uns in Bewegung setzen, kommt etwas in Gang.“Das ist die rein optische Ästhetik, die die Künstler generieren wollten. Dahinter steckt freilich ungleich mehr.
Es ist einmal der Gegensatz zwischen Gefangensein und der ersehnten Freiheit, wie Felix Weinold im Gespräch mit unserer Zeitung schildert. Es sind die Lamellen, die wie Gitterstäbe wirken und beide Sichtweisen zulassen: Ist es nun der Betrachter, der hinter Gittern ist, oder sind es die Vögel? Weinold und seine Kollegen haben sich unter anderem mit Ernst Toller, dem vielleicht bekanntesten Insassen der JVA auseinandergesetzt. Der Schriftsteller (1893-1939) schrieb dort in seiner Zelle sein „Schwalbenbuch“, in dem es auch um das Prinzip Freiheit geht. Die Vögel haben in seiner Behausung genistet, konnten diese aber jederzeit wieder verlassen. „Es ist dieses Prinzip und auch das Sozialverhalten, das diesen Tieren zu eigen ist, die beide für gelungene Resozialisierung stehen“, sagt Felix Weinold.
Neben diesem literarischen Überbau haben die Künstler auch einen visuellen, der sie inspiriert hat. Wie Felix Weinold schildert, gibt es die Phasenfotografie des berühmten Fotografen Eadweard Muybridge (1830-1904), der mit raffinierter Technik nachgewiesen hat, dass Pferde im Galopp Bruchteile von Sekunden mit allen vier Füßen in der Luft „schweben“. Er hat seine Experimente auch auf andere Lebewesen ausgedehnt. „Seine Vogelflugstudien haben uns angeregt“, sagt Weinold.
„Es freut uns sehr, dass der Prototyp termingerecht gefertigt wurde und das eigentliche Kunstwerk nun produziert wird,“sagt Christian Weiß, Bereichsleiter Hochbau im Staatlichen Bauamt Augsburg. „Die Idee, die bereits im Wettbewerb begeistert hat, wird weiterhin überzeugend vermittelt.“
Das Objekt Kunst am Bau entsteht im Zusammenhang mit der umfassenden Erweiterung der JVA Niederschönenfeld, die auch eine Neustrukturierung mit sich bringt. Der Sicherheitsstandard wurde erhöht und die Anzahl der Haftplätze wurde verdoppelt. Fertig ist nun der erste Bauabschnitt, in dessen Zug die Umwehrungsmauer, eine Fahrzeugschleuse sowie mehrere Nebengebäude neu gebaut wurden. Die alten Gebäude und Anstaltsmauer wurden abgebrochen.