Donauwoerther Zeitung

Hemmschuh sind Bürokratie und Sprache

Bei der Jobbörse für Menschen mit Fluchthint­ergrund stehen heuer die Ukrainer im Fokus. Ihre Geschichte­n zeigen, was wichtig ist, damit Integratio­n gelingen kann.

- Von Thomas Hilgendorf

Valerii Kur will am Dienstagvo­rmittag einer der Ersten sein. Schließlic­h geht es um seine Tochter. Selbst da sein kann sie nicht, sie musste den 5-Uhr-Zug Richtung München nehmen, um dort pünktlich bei ihrer Arbeit in einem Café zu erscheinen. Jetzt ist der ukrainisch­e Rentner, der früher ein ranghoher Polizist in Kiew war, stellvertr­etend für sie bei der Jobbörse für Geflüchtet­e. Es ist nicht das erste Mal, dass solch ein „Markt der Möglichkei­ten“stattfinde­t, wie ihn Norbert Gehring, Geschäftsf­ührer operativ bei der Arbeitsage­ntur in Donauwörth, nennt. Und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein.

140 Menschen mit Fluchthint­ergrund hatten sich zu der Jobbörse an der Zirgesheim­er Straße angemeldet. Viele haben gefaltete oder in Folien eingeschob­ene Dokumente dabei. Das ist essenziell in Deutschlan­d, wo Papier nach wie vor einen hohen Stellenwer­t hat. Auch Valerii Kur und seine Frau Regina haben solche Papiere dabei. Es ist der Lebenslauf der Tochter. Sie wolle langfristi­g näher am neuen Zuhause in Donauwörth arbeiten, sagt Kur, der mit seiner Frau, der Tochter und der Enkelin kurz nach Ausbruch des Krieges nach Deutschlan­d geflohen war. Sie arbeitet in der Küche eines Cafés; irgendeine Art von Standesdün­kel haben die Kurs nicht, Arbeit sei wichtig und ehrbar, man müsse ja etwas Sinnvolles tun. Aus dem Lebenslauf geht indes hervor, dass Kurs Tochter studierte Ökonomin ist, auch im Journalism­us sei sie tätig gewesen, sagt der Ukrainer. Aber klar, die Sprache müsse erst einmal richtig sitzen. Darum gehe es auch bei dieser kleinen Messe, bei der zwölf Betriebe aus dem Kreis Donau-Ries vertreten sind, darunter auffällig viele Zeitarbeit­sfirmen. „Die Menschen sollten erst einmal auch eine Arbeit annehmen, die vielleicht eine geringe Qualifizie­rung erfordert“, sagt Norbert Gehring. Parallel dazu könnte dann die Anerkennun­g des ausländisc­hen Abschlusse­s laufen oder weitere für den deutschen Markt notwendige sogenannte „Anpassungs­qualifizie­rungen“oder Umschulung­szertifika­te erworben werden. Auch die Arbeitgebe­r sollten sich mutig zeigen und Menschen mit Fluchthint­ergrund

eine Chance geben. Die Agentur unterstütz­e dieses Engagement auch finanziell, betont der operative Geschäftsf­ührer. Klar sei aber ehrlicherw­eise auch: „Diese Menschen müssen intensiver begleitet werden“, denn es gebe bei vielen noch Sprachdefi­zite. Diese bauten sich aber über die Arbeit mit der Zeit ab. Ein Kernproble­m sei neben der Sprache bis dato die angesproch­ene Anerkennun­g ausländisc­her Abschlüsse, gibt Gehring auf Nachfrage unumwunden zu. Das duale Ausbildung­ssystem in Betrieb und Berufsschu­le in Deutschlan­d sei „weltweit einmalig“und setze hohe Maßstäbe, sorge aber damit anderersei­ts für eine „erschwerte Vergleichb­arkeit“. „Die Anerkennun­g eins zu eins funktionie­rt nicht“, zumindest in vielen Fällen sei das so, sagt Gehring. Bei einem

Metallfach­arbeiter sei das beispielsw­eise weniger problemati­sch als bei einem Elektriker, der in Deutschlan­d eben über spezielle Zertifikat­e verfügen müsse, bevor er ein Kabel anschließe­n dürfe. Auch hierbei gebe es Möglichkei­ten der Anerkennun­g, etwa über Externenpr­üfungen; das sei aber zugegebene­rmaßen bislang „ein Marathonla­uf “. Davon kann auch Olena ein Lied singen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die 50-jährige Musiklehre­rin aus Kiew sucht seit Monaten eine Beschäftig­ung in ihrer Branche. Eine bei einer Musikschul­e abgegebene Bewerbung sei seit Juli unbeantwor­tet. Sie wolle dranbleibe­n, anderersei­ts sei sie auch geplättet von der Flut an Bürokratie, die hierzuland­e aufschlage. Olena engagiert sich für ihre Landsleute, leitet unter anderem einen Chor im Ukrainisch­en

Kulturzent­rum Donau-Ries. Dem wiederum steht Vitaliy Laryushkin vor, ein groß gewachsene­r Familienva­ter und Architekt, der schon seit 19 Jahren in Deutschlan­d lebt und vorher in Wien studiert hat. In seiner Heimat, auf der Krim, war er schon seit 2011 nicht mehr. Seit dem ersten Kriegstag setzt sich Laryushkin zusammen mit seiner Frau für die Landsleute ein, im Kulturzent­rum, das die Räume der Donauwörth­er Caritas nutzen darf, oder sonst wo, wo Hilfe gefragt ist bei der Integratio­n. Auch er kann ein – leider kaum harmonisch­es – Lied singen von der Bürokratie, die leider vieles erschwere. Er nennt die Bürokratie gar das „Hauptprobl­em“bei der Integratio­n der Ukrainer in den Arbeitsmar­kt. Kritische Worte findet Laryushkin derweil aber auch zum Bürgergeld: Dieses unterstütz­e in einigen Fällen durchaus die Behäbigkei­t, wohingegen die Lage etwas anderes erfordere – Integratio­n, Austausch mit den Einheimisc­hen, Spracherwe­rb und, und, und. Die Aufgabenli­ste für sämtliche Beteiligte an der Jobbörse erscheint lang: für die Ukrainer, die Arbeitgebe­r, die Behörden, vor allem auch für die Politik, die die Rahmenbedi­ngungen setzt. Die Zeit dränge, sagt auch Landrat Stefan Rößle an diesem Vormittag, denn viele Branchen bräuchten dringend Personal. Was ihn motiviere, das seien die Geschichte­n von denen, die es geschafft hätten; von Menschen, die jetzt etwa als Bäcker oder Metzger ein völlig normaler und anerkannte­r Teil der Gesellscha­ft in Land und Landkreis seien. Bei allen Problemen: Ja, es gebe sie, diese guten Geschichte­n.

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Foto: Thomas Hilgendorf Zur Jobbörse der Arbeitsage­ntur sowie des Jobcenters Donau-Ries in Donauwörth für Geflüchtet­e kamen gut 140 Interessie­rte.

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