Donauwoerther Zeitung

Weit mehr als nur der Hallelujah-Cohen

Auf Gut Sulz machen Lesung und Musik mit den vielen Facetten des Leonard Cohen bekannt. Das Publikum trifft einen zerrissene­n, exzentrisc­hen, talentiert­en und beeindruck­enden Menschen.

- Von Barbara Würmseher

Gut Sulz/Münster Das also ist er: ein älterer Herr mit sympathisc­hem Blick, dessen leise lächelnder Mund die Melancholi­e in den dunklen, mandelförm­igen Augen nicht zu verbergen vermag. Das weiße Haar – früher eine dichte Mähne – liegt schütter am markanten Schädel.

Das also ist Leonard Cohen. Jener Hallelujah-Cohen, dessen wohl berühmtest­es Lied gefühlt auf allen Hochzeiten gesungen wird, auf allen Gedenkfeie­rn und Friedensfe­sten erklingt, in Gottesdien­sten und bei sämtlichen stillen Anlässen, die nachdenkli­ch machen.

Ein großes Konterfei hängt in der einstigen Kartoffelh­alle auf Gut Sulz, die – längst zum Festsaal mutiert – zum zweiten Mal Schauplatz für das Literaturf­estival Nordschwab­en ist. Cohen, 2016 verstorben, ist in Form von Bildern optisch und gefühlt omnipräsen­t. Auch in biografisc­hen Episoden und in seinen Liedern.

Als Lyriker und Romanautor allerdings kommt er nicht zu Wort. Ein bedauerlic­her Verzicht – zumal bei einem Literaturf­estival. Und eine vertane Chance, dem Hallelujah-Cohen in der Wahrnehmun­g des Publikums eine weitere, vielen sicherlich unbekannte Facette hinzuzufüg­en. Sei’s wie es ist. Leonard Cohen ist auch in Melodien und Lebensbesc­hreibung eine Persönlich­keit, die zu fesseln versteht und den Saal in Atem anhaltende Ruhe versinken lässt. Ein Charakter, dem es gelingt, zum Hinhören und Hinschauen aufzuforde­rn.

Ob seiner – begreiflic­hen – physischen Abwesenhei­t übernehmen die Akteure Lara Wächter (Gesang), Steven Lichtenwim­mer (Gitarre) und Thomas Kraft (Texte) den Part, ihn vorzustell­en. Ihn weit über jenen Hallelujah-Cohen hinaus zu einem neuen Bekannten zu machen, dem man an diesem Abend glaubt, zwischen einem Glas Rotwein und Gesprächen zu begegnen.

Die drei Protagonis­ten zeichnen das Bild eines „schwarzen Poeten“, eines exzessiven Menschen, eines Troubadour­s und Herzensbre­chers. Sie geleiten das Publikum auf den

Lebensweg dieses Zweiflers und Sinnsucher­s, der es verstanden hat, die Menschen mit Worten und Tönen zu berühren – und es immer noch versteht. Der in all seinen Brüchen und Schmerzen, mit all seinen Talenten ein Sympathiet­räger ist – eben weil er menschlich­e Schwächen und Stärken in sich birgt.

Das Publikum hat es sich auf den roten Stühlen bequem gemacht oder kuschelt sich in die gemütliche­n Lounge-Möbel und kostet die

elegant-rustikale Atmosphäre aus. Es entsteht ein besonderes Gefühl des Genießens, zu dem Hausherr Jochen Andreae einlädt und das in der Mixtur aller Komponente­n entsteht. Der Mensch an sich lässt sich gerne Geschichte­n erzählen, das verströmt so etwas Wohliges. Das endet auch nicht an dem Punkt, an dem die Mutter aufhört, abends Märchen am Bett vorzulesen. Und so richten sich die Blicke gebannt auf die Bühne, wo Thomas Kraft

von einem Mann erzählt, der seit seiner Kindheit von jüdischer Tradition geprägt war, der seinen Beruf scherzhaft mit „Sünder“angab, 17-jährig seine erste Band gründete und früh begann, Lyrik zu schreiben. „Er war ein literarisc­her Praktikant auf der Suche nach didaktisch­er Identität.“

Kraft beschreibt Cohen als Seher und Propheten, seine Dichtung als Liturgie, seine surrealist­ische Bildsprach­e sowie Eros, Sexualität und

Verzweiflu­ng als immer wieder kehrende Themen. In seiner Heimat Montreal rezitierte Cohen in frühen Jahren seine Gedichte und nahm irgendwann die Gitarre mit, um sich dazu zu begleiten. So fand er sich selbst in der Identität des Songwriter­s.

Die Fotos – an die Wand gebeamt – machen ihn lebendig: als kleinen Buben auf dem Dreirad, als Erwachsene­n mal keck, mal elegant mit allerlei Kopfbedeck­ungen von der Schirmmütz­e bis zum Panama-Hut, als Bohemien, als zärtlichen Vater, dann wieder grüblerisc­h, verklärt, überlegend, markant in seinen Gesichtszü­gen – im Alter vielleicht noch interessan­ter, als in jungen Jahren. „I’m your Man“ertönt dazu vom Band. Meistens freilich sind es Lara Wächter und Steven Lichtenwim­mer, die dem Sänger, Musiker und Komponiste­n Leonard Cohen eine Stimme geben. Die Finger des Gitarriste­n gleiten behutsam über die Saiten, greifen dann wieder beherzt hinein, schlagen Akkorde oder nutzen den Körper des Instrument­s, um den Rhythmus zu klopfen. Sie geben der schmeichel­nden Stimme Lara Wächters ein zartes Fundament, auf dem sich der Gesang dieser bezaubernd­en, sehr besonderen Stimme in seiner eigenen Dynamik trittsiche­r bewegt. Es sind wunderbar interpreti­erte Lieder von leisem Charme, als ob eine Feder hauchzart durch den Raum schwebt: „Like a drunk in a midnight choir I have tried in my way to be free…“

Die Zuhörer begleiten Cohen durch seine schwermüti­gen, von Angstzustä­nden geplagten Lebensphas­en, jenen vergeblich nach einem konstanten Lebenskonz­ept Suchenden, sie erleben ihn einsam, entwurzelt, mit dem Tod kokettiere­nd, dann wieder im Liebesraus­ch und Liebesschm­erz mit den vielen Frauen, die er nahe oder auch nicht so nahe an sich heranließ. Und am Ende kommt als Zugabe, das, was wohl einfach nicht fehlen darf. Der Song, für den Hallelujah-Cohen heute weltweit berühmt ist. Und der – wie oft er auch interpreti­ert werden mag – einfach nie abgedrosch­en wirkt, sondern immer wieder einfach nur so unglaublic­h herzberühr­end ...

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Foto: Barbara Würmseher Steven Lichtenwim­mer und Lara Wächter übernahmen den musikalisc­hen Teil des Leonard-Cohen-Abends auf Gut Sulz.

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