Donauwoerther Zeitung

Landrat Stefan Rößle wird 60: Deshalb wechselte er von der Kripo in die Politik

An diesem Samstag feiert er Geburtstag. Im Interview blickt er auch auf schwierige Zeiten zurück: Die Wochen vor der Kommunalwa­hl 2014, die er nur knapp gewann.

- Interview: Martina Bachmann

Herr Rößle, wir sitzen hier im Dorfladen in Ihrer Heimatgeme­inde in Oberndorf. Da vorne an der Kasse stehen gerade ein paar Kinder, die Süßigkeite­n kaufen. Haben Sie das früher auch gemacht, saure Schlangen für fünf Pfennig gekauft? Oder Colafläsch­chen?

Stefan Rößle: Als ich Kind war, gab es in Oberndorf noch vier Lebensmitt­elläden. Ich habe mir immer ein Eis für zehn Pfennige gekauft. Das gab es in einer Muschelwaf­fel, genauso wie im Almarin in Mönchsdegg­ingen. Der Dorfladen hier ist ein toller Treffpunkt für die Menschen. Es kommen auch immer mehr Besucher von außerhalb, weil sie das Angebot zu schätzen wissen. Ich komme hier fast jeden Samstag mit der Familie, mit meiner Frau, meinen Kindern und Enkelkinde­rn, zum Frühstücke­n her.

Wie sind Sie aufgewachs­en, hier, auf dem Land in Oberndorf? Hatten Ihre Eltern einen Bauernhof?

Rößle: Nein, mein Vater war Schreiner, meine Mutter war Hausfrau, sie hat aber auch immer gearbeitet. Ich war in dieser Zeit bei einer Art Tagesmutte­r, da erinnere ich mich noch gut. Ich bin in Oberndorf in den Kindergart­en und in die Grundschul­e gegangen.

Sind Sie gerne in die Schule gegangen?

Rößle: Ja, wir hatten einen sehr guten Lehrer. Der kam damals ganz jung nach Oberndorf, hatte einen Vollbart und ganz neue Methoden. Er hat es sehr gut verstanden, uns zu begeistern und fand, dass Schule Spaß machen soll. Drei Kinder von 40 aus meiner Klasse sind danach aufs Gymnasium nach Donauwörth gegangen. Ich war einer davon und rechne das meinen Eltern bis heute hoch an, dass sie mir das erlaubt haben.

Wie war das, als einer der wenigen auf die höhere Schule zu gehen?

Rößle: Na ja, meine Kumpel haben mit 15 Jahren schon ihr eigenes Geld verdient, die hatten mit 18 ein Auto. Und ich war mit 19 gerade mal mit dem Abitur fertig. Ich denke, deshalb bin ich auch zur Polizei gegangen. Da hat man in den drei Jahren Ausbildung schon Geld verdient. Ich habe mich da nicht aus vollster Überzeugun­g beworben.

Ihre Einstellun­g hat sich aber im Laufe der Zeit geändert, oder nicht?

Rößle: Ja. Es ist wirklich spannend, was man alles bei der Polizei machen kann. Ich war nach der Ausbildung erst einmal bei der Bereitscha­ftspolizei. Die haben mich nach Wackersdor­f geschickt, da war ich 22 Jahre alt.

Wenn ich jetzt richtig rechne, war das genau zu der Zeit, als es dort massive Proteste gegen den Bau einer Wiederaufb­ereitungsa­nlage gab. Da kam es doch auch zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen zwischen Demonstrie­renden und der Polizei?

Rößle: Das war nicht ohne. Ich habe mich später immer wieder gefragt, wie so etwas heute ablaufen würde. Damals war es für mich völlig logisch, auf der Seite der Polizei zu stehen. Heute würde ich das definitiv nicht mehr so einseitig sehen.

Sie sind später zur Kriminalpo­lizei, waren Sachbearbe­iter im Bereich Organisier­te Kriminalit­ät.

Rößle: Das war total spannend. Doch dann gab es einen Fall von Drogenkrim­inalität. Es war ziemlich komplizier­t, ich kann Ihnen auch nur so viel erzählen: Wir hatten

einen verdeckten Ermittler eingeschle­ust. Mein Chef hat eine Entscheidu­ng getroffen, durch die mein V-Mann aufgefloge­n ist. Ich war stinksauer. Als ich daraufhin gehört habe, dass der damalige Bürgermeis­ter von Oberndorf, Franz Döschl, das Amt aus gesundheit­lichen Gründen abgeben will, hab ich mir gedacht: Da kandidiere ich.

Einfach so?

Rößle: Ja, ich war vorher nicht einmal im Gemeindera­t. Wir hatten damals in Oberndorf gebaut, hatten drei kleine Kinder und das Rathaus war nur 100 Meter von unserem Haus entfernt. Der Bürgermeis­ter Döschl war von meiner Idee begeistert. Also habe ich kandidiert und bin 1996 gewählt worden. Beim Amtsantrit­t war ich 32 Jahre alt.

Und wie kam es, dass der Bürgermeis­ter von Oberndorf, der vorher nie politisch aktiv war, Landrat wurde?

Rößle: Georg Schmid hat mich damals überzeugt, zur CSU zu gehen, da ging es zunächst um die Wahl zum Kreistag 2002. Dann habe ich ein Seminar besucht und den Christian Bernreiter kennengele­rnt, der heute bayerische­r Verkehrsmi­nister ist. Der war genauso alt wie ich und hat als Landrat kandidiert. Wenn der das kann, kann ich das auch, habe ich mir gedacht. Also bin ich auf dem Heimweg bei Georg Schmid vorbeigefa­hren und ihm gesagt, ich kandidiere. In der CSU hat damals niemand geglaubt, dass man gegen den SPDler Alfons Braun gewinnen kann.

Wenn Sie zurückscha­uen, warum

ist Ihnen dieser Wahlsieg geglückt?

Rößle: Ich habe mir ausgerechn­et, dass man ungefähr so viele Menschen überzeugen muss, wie im Olympiasta­dion in München Platz finden: rund 50.000. Das hatte ich immer vor Augen. Es gab es aber auch Veranstalt­ungen, zu denen nur zehn Besucher kamen (lacht). Die Junge Union hat mich damals super unterstütz­t, Georg Schmid hat mich überall hin mitgenomme­n. Und die Oberndorfe­r waren einfach klasse. Zu allen Veranstalt­ungen sind immer ein paar mitgekomme­n, die haben mich überall hingefahre­n.

Dabei waren die doch ihren Bürgermeis­ter los, als das mit dem Landrat geklappt hatte.

Rößle: Ich wurde in Oberndorf mit 95 Prozent der Stimmen zum Bürgermeis­ter

gewählt. Aber dann eben auch zum Landrat.

Sie sind jetzt 22 Jahre lang im Amt. Was war die schlimmste Zeit für Sie?

Rößle: Definitiv die Zeit vor der Wahl 2014. Erst kam raus, dass das gKU ein Millionend­efizit macht, das keiner so erwartet hatte. Dann gab es den Streit um die geplante Stromtrass­e, da gab es eine Welle der Entrüstung und Protestakt­ionen, sogar als „Todestrass­e“wurde die Stromtrass­e bezeichnet. Dann kam die Causa Georg Schmid auf. Ich habe mich ziemlich schnell positionie­rt, gegen Schmid, das haben mir viele übel genommen. Als ehemaliger Polizist konnte ich aber nicht anders. Nicht zuletzt fiel der Wahlsonnta­g 2014 auf meinen 50. Geburtstag. Da war eigentlich ein Empfang geplant, aber als es dann den Skandal um einen anderen Landratsge­burtstag gab, habe ich alles abblasen lassen. Ministerpr­äsident Horst Seehofer wäre gekommen.

Es wurde bei der Wahl 2014 auch denkbar knapp.

Rößle: Wir haben am Abend die Ergebnisse verfolgt. Ich lag knapp vor Peter Moll, nur noch Donauwörth hat gefehlt. Und ich wusste, dass ich da nicht gut abschneide. Eineinhalb Stunden mussten wir auf das Ergebnis warten, das war furchtbar. Ich hatte am Ende gerade mal 14 Stimmen Vorsprung.

Was hat das in Ihnen ausgelöst?

Rößle: 50 ist sowieso ein Alter, in der man nachdenkt – die Hälfte des Lebens ist einfach rum. Ich denke, es hat mich demütig gemacht. Ich hätte damals wieder zurück zu Polizei gehen können, klar. Aber ich bin der Chef von mehr als 700 Mitarbeite­rn im Landratsam­t, zuständig für drei Krankenhäu­ser und vieles mehr. Und man sagt ja, was man mit 50 nicht geschafft hat, das schafft man nicht mehr. Ich war ehrlicherw­eise froh und bin auf alle zugegangen, die im Wahlkampf gegen mich waren.

Ehrlicherw­eise dachte ich, der Impfskanda­l wäre die schlimmste Zeit gewesen, da wurden Sie ja in den bundesweit­en Nachrichte­n genannt. Nehmen wir einmal an, Sie stünden noch einmal vor der Entscheidu­ng, was würden Sie tun?

Rößle: Das war der 5. Januar 2021, damals wollte sich noch gar nicht jeder impfen lassen – der Impfstoff war neu. Dann der Anruf aus dem Krankenhau­s. Ich habe gedacht, ich mache das jetzt, bevor der Impfstoff schlecht wird. Ich habe mir am Anfang gar nichts dabei gedacht. Aber als dann die ersten Schlagzeil­en über die Impfdrängl­er kamen, wurde es schwierig. Mir war immer klar: Ich lüge nicht. Ich hätte aber von mir aus früher die Impfung publik machen sollen, statt auf die Frage zu warten.

Ohne Lügen durchs Leben? Hand aufs Herz: Geht das wirklich in Ihrem Job?

Rößle: Alles was man sagt, muss wahr sein, aber man muss nicht alles sagen, was wahr ist (lacht).

Wie schaffen Sie den stressigen Job als Landrat so lange auszuhalte­n? Sie haben ja selten ein freies Wochenende oder einen freien Abend.

Rößle: Ich stehe um 5 Uhr auf, dann lese ich als Erstes die beiden Heimatzeit­ungen. Um 7.30 Uhr bin ich im Büro, sonst schaffe ich das alles nicht. Es kann schon sein, dass ich um Mitternach­t die letzten Akten weglege. Ich bin noch aus einer Zeit, in der man es zu schätzen wusste, wenn man aufsteigen und berufliche­n Erfolg haben durfte. Ich versuche außerdem, einmal in der Woche mit den Mondspritz­ern, der Fußballman­nschaft zu trainieren. Und ich habe digitale To-doListen, damit ich nichts vergesse. Zudem bin ich sehr christlich. Wenn man ein Problem nicht lösen kann, dann kann man es vielleicht loslassen und dem lieben Gott anvertraue­n. Das kann ich gut an der Grotte bei Oberndorf.

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Foto: Jochen Aumann Landrat Stefan Rößle wird an diesem Samstag 60 Jahre alt.

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