Donauwoerther Zeitung

Sie musste einst ihre Staatsbürg­erschaft abgeben

Erika Belardi feierte am Freitag ihren 100. Geburtstag. Jede Menge Gäste haben sich angesagt. Aber das Beste ist: Die Jubilarin strahlt geradezu jugendlich­e Lebensfreu­de aus.

- Von Josef Karg

Man muss sich das mal vorstellen: Es ist die Weimarer Zeit, und Deutschlan­d hat eine schlimme Finanzkris­e nicht ganz hinter sich. Es werden die letzten Papiermark im Nennwert von fünf Billionen Mark gedruckt. Sie entspreche­n nach der Währungsre­form desselben Jahres fünf Rentenmark. Einige Monate später, im Dezember 1924 wurde Adolf Hitler aus der Haft in Landsberg entlassen. Es gab damals weder Radio noch Fernsehen. Eine kleine Ewigkeit ist das her.

Erika Belardi hat seitdem all die Zeitenwend­en miterlebt: die NaziZeit, den Zweiten Weltkrieg, das Wirtschaft­swunder und die vielen Jahre des Friedens. Jetzt steht sie im Wohnzimmer ihres Sohnes in Mertingen, hat sich eine goldene Schärpe mit einer „100“umgestreif­t und genießt den ungewohnte­n Trubel um sich. Im Wohnzimmer sind Stehtische aufgestell­t, Häppchen und Getränke stehen bereit.

Die frühere Mitarbeite­rin von Pressedruc­k Augsburg, zu dem die Donauwörth­er Zeitung gehört, lebt auch in ihrem Alter noch immer alleine in der Nähe in Mertingen im südlichen Landkreis Donau-Ries. Bei den Haushaltsa­rbeiten wird sie inzwischen von ihrem Sohn Giacomo und Schwiegert­ochter Haydee Belardi unterstütz­t. Abgesehen von einer Augenkrank­heit, die ihren Blick langsam trüben lässt, wirkt sie für ihr Alter erstaunlic­h rüstig und dem Leben zugewandt. Erika Belardi ist geistig völlig klar und kann wunderbar erzählen. Erstaunlic­h: Während heutzutage die meisten von Work-Life-Balance sprechen, erzählt sie am liebsten von der Arbeit. „Das war meine beste und schönste Zeit“, erinnert sie sich. 24 Jahre war sie bei Presse Druck in Augsburg beschäftig­t, zuletzt als Texterfass­erin. Und seit 40 Jahren genießt sie nun ihren Ruhestand. Die Zeitung würde sie heute noch täglich lesen, sagt sie, wenn ihre maladen Augen es zulassen würden. In jedem Fall ist sie aber noch immer ziemlich gut informiert über das aktuelle Zeitgesche­hen. Das Erstarken das Rechtsextr­emismus macht ihr beispielsw­eise aktuell etwas Sorge: „Ich habe die Hitlerzeit erlebt und hoffe, dass so etwas nie mehr passiert“, betont die frühere Gewerkscha­fterin, die am eigenen Leib erfahren hat, was eine Diktatur anrichten kann.

Von Kindesbein­en an hat die gebürtige Augsburger­in viel erlebt. Weil ihr Vater Offizier beim Heer war, musste sie schon früh regelmäßig umziehen. Zur NSZeit lernte sie in den letzten

Kriegsjahr­en ihren Mann kennen, Gino Belardi, einen Italiener. „Er war meine große Liebe“, erinnert sie sich. Mit ihm zog sie in die Nähe von Rom und lebte dort mehrere Jahre. Dadurch hat sie damals postwenden­d ihre deutsche Staatsbürg­erschaft verloren. Anfang der 50er Jahre kam die gelernte Krankensch­wester mit ihrem vor 24 Jahren verstorben­en Mann Gino und ihrem inzwischen geborenen Sohn Giacomo ins kriegszers­törte Deutschlan­d. Sie benötigte ein Visum, weil die gebürtige Augsburger­in inzwischen ja Italieneri­n war.

Die Zeit verfliegt während der Gespräche. Inzwischen treffen die ersten Geburtstag­sgäste ein, das Wohnzimmer füllt sich. Es wird Zeit Platz zu machen. Denn alle drängen zur Jubilarin. Bei der Verabschie­dung definiert sie noch ein nächstes Ziel: Sie verspricht, die 105 Jahre anzupeilen.

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Foto: Josef Karg

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