Sie musste einst ihre Staatsbürgerschaft abgeben
Erika Belardi feierte am Freitag ihren 100. Geburtstag. Jede Menge Gäste haben sich angesagt. Aber das Beste ist: Die Jubilarin strahlt geradezu jugendliche Lebensfreude aus.
Man muss sich das mal vorstellen: Es ist die Weimarer Zeit, und Deutschland hat eine schlimme Finanzkrise nicht ganz hinter sich. Es werden die letzten Papiermark im Nennwert von fünf Billionen Mark gedruckt. Sie entsprechen nach der Währungsreform desselben Jahres fünf Rentenmark. Einige Monate später, im Dezember 1924 wurde Adolf Hitler aus der Haft in Landsberg entlassen. Es gab damals weder Radio noch Fernsehen. Eine kleine Ewigkeit ist das her.
Erika Belardi hat seitdem all die Zeitenwenden miterlebt: die NaziZeit, den Zweiten Weltkrieg, das Wirtschaftswunder und die vielen Jahre des Friedens. Jetzt steht sie im Wohnzimmer ihres Sohnes in Mertingen, hat sich eine goldene Schärpe mit einer „100“umgestreift und genießt den ungewohnten Trubel um sich. Im Wohnzimmer sind Stehtische aufgestellt, Häppchen und Getränke stehen bereit.
Die frühere Mitarbeiterin von Pressedruck Augsburg, zu dem die Donauwörther Zeitung gehört, lebt auch in ihrem Alter noch immer alleine in der Nähe in Mertingen im südlichen Landkreis Donau-Ries. Bei den Haushaltsarbeiten wird sie inzwischen von ihrem Sohn Giacomo und Schwiegertochter Haydee Belardi unterstützt. Abgesehen von einer Augenkrankheit, die ihren Blick langsam trüben lässt, wirkt sie für ihr Alter erstaunlich rüstig und dem Leben zugewandt. Erika Belardi ist geistig völlig klar und kann wunderbar erzählen. Erstaunlich: Während heutzutage die meisten von Work-Life-Balance sprechen, erzählt sie am liebsten von der Arbeit. „Das war meine beste und schönste Zeit“, erinnert sie sich. 24 Jahre war sie bei Presse Druck in Augsburg beschäftigt, zuletzt als Texterfasserin. Und seit 40 Jahren genießt sie nun ihren Ruhestand. Die Zeitung würde sie heute noch täglich lesen, sagt sie, wenn ihre maladen Augen es zulassen würden. In jedem Fall ist sie aber noch immer ziemlich gut informiert über das aktuelle Zeitgeschehen. Das Erstarken das Rechtsextremismus macht ihr beispielsweise aktuell etwas Sorge: „Ich habe die Hitlerzeit erlebt und hoffe, dass so etwas nie mehr passiert“, betont die frühere Gewerkschafterin, die am eigenen Leib erfahren hat, was eine Diktatur anrichten kann.
Von Kindesbeinen an hat die gebürtige Augsburgerin viel erlebt. Weil ihr Vater Offizier beim Heer war, musste sie schon früh regelmäßig umziehen. Zur NSZeit lernte sie in den letzten
Kriegsjahren ihren Mann kennen, Gino Belardi, einen Italiener. „Er war meine große Liebe“, erinnert sie sich. Mit ihm zog sie in die Nähe von Rom und lebte dort mehrere Jahre. Dadurch hat sie damals postwendend ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Anfang der 50er Jahre kam die gelernte Krankenschwester mit ihrem vor 24 Jahren verstorbenen Mann Gino und ihrem inzwischen geborenen Sohn Giacomo ins kriegszerstörte Deutschland. Sie benötigte ein Visum, weil die gebürtige Augsburgerin inzwischen ja Italienerin war.
Die Zeit verfliegt während der Gespräche. Inzwischen treffen die ersten Geburtstagsgäste ein, das Wohnzimmer füllt sich. Es wird Zeit Platz zu machen. Denn alle drängen zur Jubilarin. Bei der Verabschiedung definiert sie noch ein nächstes Ziel: Sie verspricht, die 105 Jahre anzupeilen.