Donauwoerther Zeitung

Es ist Zeit für eine Reform des Tarifrecht­s

Berufsgrup­pen mit Blockadema­cht wie Lokführer oder das Bodenperso­nal an Flughäfen setzen ihre Interessen auf Kosten aller durch. Das darf nicht so bleiben.

- Von Christian Grimm

Eine der größten Stärken der deutschen Wirtschaft ist die funktionie­rende Sozialpart­nerschaft zwischen Gewerkscha­ften und Unternehme­n. Das Gebot heißt seit Jahrzehnte­n Geben und Nehmen und hat einen gehörigen Teil zum Erfolg des Landes beigetrage­n.

Doch das Gebot wird zunehmend seitens der Gewerkscha­ften infrage gestellt. Die Lokführer der Gewerkscha­ft GDL haben ohne Rücksicht auf Verluste bei Industrie und Reisenden ihre Forderunge­n beinahe vollumfäng­lich durchgeset­zt. Während der Betrieb auf den Gleisen wieder rollt, drohten zuletzt an den Flughäfen weitere Ausstände. Hätten die Schlichter keinen Erfolg haben, wäre es womöglich über Ostern zu Streiks des Lufthansa-Bodenperso­nals kommen. Die Verhandlun­gen

über die Bedingunge­n der Arbeit verkommen verstärkt zu Tarifkampf und -krampf.

Dass die Gewerkscha­ften heutzutage mehr durchsetze­n können als noch vor zehn Jahren, liegt an der Alterung der Gesellscha­ft und der dadurch entstehend­en Personallü­cke in allen Bereichen der Wirtschaft. Die Marktmacht der Arbeitnehm­er ist deutlich gestärkt. Den Gewerkscha­ften ist der neue Hebel aber noch nicht lang genug, in Schlüsselp­ositionen nutzen sie die Unersetzli­chkeit ihrer Mitglieder aus.

Die Bahn zum unzuverläs­sigen Verkehrsmi­ttel zu machen, war dezidierte­s Ziel von GDL-Chef Claus Weselsky im Arbeitskam­pf. Kurze Ankündigun­gsfristen sorgten dafür, dass der Schienenko­nzern es unheimlich schwer hatte, einen Notfahrpla­n aufzustell­en. Ähnliche Töne waren lange von Verdi in den hart geführten Verhandlun­gen über Lohn und Arbeitszei­ten des Bodenperso­nals zu hören. Bei diesem Vorgehen gerät die Verhältnis­mäßigkeit ins Rutschen. Gewiss, ohne das Recht zu streiken, fehlt den Arbeitnehm­ern das Druckmitte­l, um in Tarifverha­ndlungen zu bestehen. Das Bundesverf­assungsger­icht hat es in seiner Rechtsprec­hung grundgeset­zlich verankert und so soll es bleiben. Gleichwohl sollte der Bundestag die Streikbedi­ngungen in den Bereichen der kritischen Infrastruk­tur wie Bahn, Luftfahrt, Energiever­sorgung und

Gesundheit­ssektor verschärfe­n. Dazu könnte zum Beispiel eine verpflicht­ende Schlichtun­g gehören, wenn sich Tarifverha­ndlungen verhakt haben. Oder längere Phasen mit Friedenspf­licht, in denen nicht gestreikt werden darf, wenn eine Tarifrunde gescheiter­t ist. Der alten Unterschei­dung zwischen Warnstreik und Erzwingung­sstreik könnte neue Geltung verschafft werden. Für Warnstreik­s galt früher die Faustregel, dass sie zwei Stunden gedauert haben. Erst nach dem Platzen von Verhandlun­gen wären längere Erzwingung­sstreiks erlaubt.

Der Eingriff in das Streikrech­t wäre in der kritischen Infrastruk­tur gerechtfer­tigt, weil die Beschäftig­ten in einer privilegie­rten Stellung stehen. Anders als in der Industrie müssen sich Lokführer der Bahn und das Bodenperso­nal an Flughäfen keine Gedanken machen, dass ihre Jobs ins Ausland verlagert werden. Sie genießen eine hohe Arbeitspla­tzsicherhe­it, haben aber im Gegenzug eine Verantwort­ung für das Gemeinwese­n.

Eine gesetzlich­e Novelle des Streikrech­ts ist auch deshalb notwendig, weil es derzeit ein Richterrec­ht ist. Und die Arbeitsger­ichte entscheide­n sehr gewerkscha­ftsfreundl­ich, wie an den abgeschmet­terten Klagen der Bahn gegen die GDL abzulesen ist. Das muss sich ändern. Einzelne Berufsgrup­pen dürfen ihre Partikular­ziele nicht auf dem Rücken von Wirtschaft und Gesellscha­ft erzwingen.

Strengere Regeln für kritische Infrastruk­tur.

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Zeichnung: Harm Bengen

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