„ Entscheidern fehlt jeglicher Praxisbezug“
Seit Ostermontag ist der Konsum und Besitz von Marihuana teilweise erlaubt. Für die Behörden im Kreis Donau-Ries bedeutet diese Entscheidung im ersten Schritt jede Menge Bürokratie.
Seit Ostermontag ist es in Deutschland in begrenztem Rahmen erlaubt, Cannabis zu besitzen, anzubauen und zu konsumieren. Lange war die Teillegalisierung stark umstritten, mehrere Bundesländer hatten beträchtliche Bedenken angemeldet – allen voran Bayern mit Ministerpräsident Markus Söder, der bis zuletzt gegen den Gesetzesentwurf gewettert hatte. Doch er ist nicht allein mit seiner Meinung: Auch Landrat Stefan Rößle kritisiert das Gesetz scharf, während die Behörden von einem enormen Mehraufwand berichten.
Die neuen Richtlinien sehen vor, dass man im öffentlichen Raum bis zu 25 Gramm, in der privaten Wohnung bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen darf. Zudem dürfen insgesamt drei Pflanzen pro volljähriger Person im Haushalt angebaut werden. Als Grund für die Teillegalisierung führt Gesundheitsminister Karl Lauterbach einerseits die Eindämmung der organisierten Drogenkriminalität ins Feld, andererseits die Entlastung der Behörden.
Von Letzterer ist im Kreis Donau-Ries bisher wenig zu spüren.
Stand Mittwochabend stehe noch nicht fest, ob und für welche Bereiche des Vollzugs des neuen Gesetzes das Landratsamt Donau-Ries zuständig ist, wie es aus der Behörde heißt. In dem Bundesgesetz selbst würden lediglich „die zuständigen Behörden“genannt, ohne diese jedoch näher zu konkretisieren. Dies bleibe den Bundesländern vorbehalten, sei jedoch von der bayerischen Regierung noch nicht festgelegt worden. „Je nach Umfang der noch ausstehenden Festlegung der Zuständigkeiten rechnet das Landratsamt mit einem erheblichen Aufwand. Insgesamt erscheint das Gesetz kleinteilig, kompliziert und schwer vollziehbar und steht – zurückhaltend formuliert – nicht gerade für Bürokratieabbau“, teilt das Amt mit.
Weniger zurückhaltend formuliert es Landrat Stefan Rößle: „Was der Bund mit diesem Gesetz an Bürokratie neu aufbaut, ist enorm. Ich gehe davon aus, den Entscheidern fehlt jeglicher Praxisbezug oder es ist ihnen schlichtweg egal, was sie den Behörden in unserem Land mit solchen Gesetzen zumuten.“
Auch bei der Augsburger Staatsanwaltschaft ist dieser Mehraufwand aktuell deutlich spürbar, wie
Oberstaatsanwalt Michael Nißl berichtet. Bereits seit Oktober sei man dabei, abgeschlossene Verfahren mit rechtskräftigen Urteilen erneut zu überprüfen. Grund dafür ist die im neuen Gesetz verankerte Amnestie-Regelung, die besagt, dass Urteile und Verfahren rückwirkend angepasst werden müssen, sollte das Vergehen nach neuer Gesetzgebung nicht mehr strafbar sein. „Im Wesentlichen gibt es hier zwei Schienen: Einerseits haben wir Verfahren, für die es rechtskräftige Urteile gibt, auf der anderen Seite gibt es die Verfahren, die bei der Staatsanwaltschaft anhängig sind und in denen noch keine Entscheidung gefallen ist“, erklärt Nißl.
Allein für die erste Kategorie habe man mehr als 3500 Fälle überprüft. Änderungsbedarf bestehe bei mehr als 600 Verfahren, die nun entweder nicht mehr vollstreckt oder angepasst würden. Das betreffe auch Gesamtstrafen. „Wenn jemand zum Beispiel wegen Körperverletzung und Besitz von zehn Gramm Cannabis verurteilt wurde, muss man diese zwei Sachverhalte jetzt wieder auseinanderdividieren.“Geld zurück gibt es jedoch nicht: „Bereits gezahltes Geld bleibt da.“
Für die zweite Kategorie seien bisher rund 400 Verfahren überprüft worden. „Hier mussten wir insbesondere Fälle prüfen, in denen Beschuldigte per Haftbefehl gesucht werden“, so Nißl. Besonders spannend: Das betreffe nicht nur Menschen, die mit einer geringen Menge Cannabis erwischt worden sind, sondern auch Händler im großen Stil. So drohen etwa beim Import von mehreren Hundert Kilo Cannabis aus dem Ausland seit 1. April nicht mehr wie bisher zwei bis 15 Jahre Haft, sondern drei Monate bis fünf Jahre. „Die Konsequenz dieser Absenkung ist neben der geringeren Strafe auch, dass die Verjährungsfristen sich ändern“, erklärt Nißl. So sei eine im Beispiel genannte Straftat bislang nach 20 Jahren verjährt gewesen, jetzt winkt bereits nach fünf Jahren die Straffreiheit. „Deswegen müssen wir auch sicherstellen, wie weit ein Vergehen zurückliegt. Wenn es nach neuer Regelung verjährt ist, müssen wir die Fahndung einstellen.“
„Für die Praxis bedeutet es deutlich mehr Aufwand“, sagt auch Ruth Roser, Richterin und Pressesprecherin am Amtsgericht Nördlingen. Hier müssen ebenfalls Fälle erneut händisch überprüft werden, auch wenn der Hauptteil der Arbeit bei der Augsburger Staatsanwaltschaft liege. Für die Zukunft geht sie nicht von einer Entlastung aus: „Ich schließe mich den vorherrschenden Fachmeinungen an. Es wird eine Vielzahl von neuen Ordnungswidrigkeitsbestimmungen geben, man muss ja schließlich jedes Mal überprüfen, wie weit jemand beispielsweise von einem Spielplatz entfernt Cannabis geraucht hat.“
Die Polizei indes stellt sich „derzeit auf einen erhöhten Aufwand im Bereich der Kontrollen, aber auch im administrativen Bereich ein“, wie das Präsidium Schwaben Nord auf Anfrage mitteilt. Abgesehen davon hält man sich mit Einschätzungen zurück, betont nur: „Auch wenn die Regelungen für alle neu sind, fest steht, die Polizei wird weiterhin nach Rechtslage einschreiten, kontrollieren und Verstöße konsequent verfolgen.“Immerhin: Sowohl in Donauwörth als auch in Nördlingen läuft die Teillegalisierung in ihrer Umsetzung offenbar eher langsam an. Beide Polizeiinspektionen verzeichnen bis zum Montagnachmittag keinen einzigen Cannabis-bezogenen Vorfall.