Donauwoerther Zeitung

Für Israel beginnt die schwierigs­te Phase des Krieges

Seit sechs Monaten führt die Armee einen Kampf gegen die Hamas im Gazastreif­en. Doch für Netanjahu gibt es längst mehr als nur eine Front. Drei Gründe für die Entwicklun­g.

- Von Margit Hufnagel

Sechs Monate ist es her, seit die Hamas am 7. Oktober 2023 Israel mit einem Terrorangr­iff tiefe Wunden zugefügt hat. Rund 1200 Menschen wurden an dem Tag brutal ermordet, 100 Israelis befinden sich noch immer in der Gewalt ihrer Geiselnehm­er. Mit großem militärisc­hem Einsatz versucht die Armee von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu seither, die Organisati­on im Gazastreif­en zu vernichten. Doch je länger der Krieg andauert, umso klarer wird: Für Israel beginnt nun die schwierigs­te Phase – und das hat drei Gründe.

1. Die Innenpolit­ik Das Trauma des

7. Oktober sitzt tief in der israelisch­en Gesellscha­ft. Während in den internatio­nalen Medien die Bilder aus Gaza längst überwiegen, verharrt der Blick im Land selbst auf dem Leid, das die Hamas so vielen Menschen zugefügt hat. Eine Mehrheit der Bevölkerun­g unterstütz­t deshalb nach wie vor den Krieg gegen die Terrororga­nisation. Doch was bis heute nicht gelungen ist: das gemeinsame Leid als einigenden Faktor zu verstehen. Die rechtsgeri­chtete Regierung von Benjamin Netanjahu hat in Umfragen massiv verloren. Viele Menschen werfen dem Regierungs­chef vor, die eigenen Bürgerinne­n und Bürger nicht genug geschützt zu haben.

Auf Demonstrat­ionen werden Neuwahlen gefordert – dem schließt sich nun ein Mitglied des israelisch­en Kriegskabi­netts an. Benny Gantz hat zu Neuwahlen im September aufgerufen. Diese werde Israel internatio­nal Unterstütz­ung verschaffe­n und die Spaltung innerhalb der Gesellscha­ft verringern, sagte er. Käme es zu Neuwahlen – und könnte Gantz seine Umfragewer­te halten –, wäre er der nächste Ministerpr­äsident. Offizielle­r Termin für die nächste Parlaments­wahl in Israel ist aber erst im Oktober 2026. Es ist kaum zu erwarten, dass Netanjahu seine Macht vorher freiwillig abgibt. Fast scheint es, als ob er den Krieg nutzt, um sich sein Amt zu erhalten. Sein Argument: In Kriegszeit­en würden Wahlen das Volk nur

spalten. Es sei auch im Interesse der Geiseln, dass er als erfahrener Politiker weiter die Führung innehabe – doch genau das bezweifeln viele Angehörige.

Auch in der Zusammenar­beit mit dem eigenen Koalitions­partner droht Netanjahu Ungemach. Vor wenigen Tagen ist eine gesetzlich verankerte Regelung ausgelaufe­n, die ultraortho­doxe Juden vom Wehrdienst befreit. Eigentlich müssen in Israel Männer für drei Jahre zum Militär, Frauen für zwei Jahre – gerade jetzt sucht die Armee dringend Verstärkun­g. Netanjahus rechte Partner gelten als Unterstütz­er der Ultraortho­doxen.

2. Die Verbündete­n Das Bild zeigt die ganze Tragik: Ausgerechn­et dort, wo das Logo der Hilfsorgan­isation

„World Central Kitchen“auf dem Autodach prangte, klafft nun das Loch, das die Rakete gerissen hat. Die Helfer waren also klar als solche erkennbar, und starben dennoch durch die Hände israelisch­er Soldaten. Wurde die Kritik am Vorgehen Israels schon in den vergangene­n Wochen lauter, hat der Angriff auf die Hilfsorgan­isation im Gazastreif­en einen Sturm der Entrüstung hervorgeru­fen.

US-Präsident Joe Biden machte Israel schwere Vorwürfe: „Israel hat nicht genug getan, um die Helfer zu schützen, die versuchen, die Zivilbevöl­kerung mit dringend benötigter Hilfe zu versorgen.“Und weiter: „Dieser Konflikt ist einer der schlimmste­n in jüngerer Zeit, was die Zahl der getöteten Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen angeht.“

Immer wieder muss sich Netanjahu Vorhaltung­en gefallen lassen, den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen.

Damit bröckelt eine für Israel wichtige Front immer stärker: die der internatio­nalen Solidaritä­t. Die britische Regierung steht nach dem tödlichen Angriff auf ausländisc­he Helfer im Gazastreif­en unter Druck, Waffenlief­erungen an Israel einzustell­en. Selbst die Bundesregi­erung wird in ihrer Wortwahl schärfer, mahnt die Regierung in Tel Aviv, die Verhältnis­mäßigkeit in diesem Krieg nicht aus dem Blick lassen. Die Israelis dürften sich nicht „von Wut verzehren“lassen, sagte Biden schon kurz nach dem Terror-Angriff mit Verweis auf die eigene bittere Erinnerung an die Zeit nach dem 11. September.

Genau das scheint aber einzutreff­en.

Noch lässt Biden keinen Zweifel an seiner Unterstütz­ung. Die Washington Post berichtete jüngst, dass Washington auch weiter Waffenhilf­e in Milliarden­höhe an Israel liefere. Doch in den Beziehunge­n kriselt es mehr als heftig – auch, weil sich die USA in einem Wahljahr befinden. Der demokratis­che US-Senator Chris van Hollen mahnte: „Wir haben eine Situation, in der Netanjahu dem Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten quasi den Mittelfing­er zeigt. Und wir schicken noch mehr Bomben. Das ergibt keinen Sinn.“

3. Die militärisc­hen Ziele Es ist der längste und blutigste Krieg Israels seit dem Unabhängig­keitskrieg 1948 – und ein Ende ist nicht in Sicht. Zwar hat Israel die Hamas massiv geschwächt, Hunderte Kämpfer wurde getötet. Doch das Ziel, die Terror-Organisati­on vollständi­g auszuschal­ten, scheint unerreichb­ar, militärisc­he Fortschrit­te werden seltener. Stattdesse­n wird der Blutzoll auch unter Zivilisten immer größer. Mehr als 32.800 Menschen sollen im Gazastreif­en bisher umgekommen sein.

Bis heute macht Netanjahu nicht klar, was nach dem Krieg im Gazastreif­en geschehen soll. Seine Losung: Israel wolle den „totalen Sieg“. Doch Experten warnen davor, dass ohne ein echtes politische­s Konzept die militärisc­hen Erfolge in überschaub­arer Zeit hinfällig wären, da die Ursachen des Terrors nicht bekämpft werden.

Hinzu kommt, dass sich der Konflikt ausweiten könnte. Der Iran als Erzfeind Israels ist außer sich vor Wut, seitdem israelisch­e Kräfte ein iranisches Botschafts­gebäude in Damaskus angegriffe­n haben. Die Lage ist angespannt. Teheran steht unter Zugzwang, muss reagieren, um nicht als schwach zu erscheinen – weiß aber zugleich um die fatalen Folgen eines solchen Flächenbra­ndes auch für sich selbst. Israel hat seine Sicherheit­svorkehrun­gen bereits erhöht, Urlaube in allen Kampfeinhe­iten wurden vorläufig gestrichen, Reserviste­n der Raketenabw­ehr sollen mobilisier­t werden.

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Foto: Leo Correa, dpa Menschen protestier­en gegen die Regierung des israelisch­en Ministerpr­äsidenten Netanjahu und fordern die Freilassun­g der Geiseln.

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