Donauwoerther Zeitung

Pflegelobb­y ohne Pflegekräf­te

Die bayerische Staatsregi­erung will eine Interessen­svertretun­g für Pflegende schaffen. Doch der Zulauf bleibt aus. Auch in anderen Ländern ist das Konzept gescheiter­t.

- Von Benedikt Dahlmann Bayern-Seite.

Bahn-Streik, FlughafenS­treik, Postbank-Streik – erst wenn es nicht mehr rund läuft, merken viele Menschen, welche Berufe dafür sorgen, dass wichtige Dienste im Alltag funktionie­ren. Nicht auszudenke­n, was passieren würde, wenn alle Pflegekräf­te im Land gleichzeit­ig so lange streiken würden wie beispielsw­eise die Lokführer.

Um Streiks zu verhindern, versuchen Interessen­gruppen im politische­n Vorfeld Kompromiss­e zu finden. Das Problem in Bayern: Für profession­elle Pflegekräf­te gibt es keine Organisati­on, die sich um die Belange von allen Pflegerinn­en und Pflegern gebündelt kümmert. Durch ein neues Gesetz will die Staatsregi­erung den Einfluss der Vereinigun­g der Pflegenden in Bayern (VdPB) vergrößern. Allerdings scheinen viele Pflegekräf­te gar kein Interesse an ihrer Vertretung zu haben.

In den letzten Jahren haben sich in vier Bundesländ­ern sogenannte Pflegekamm­ern gegründet. In diesen Kammern sind die Pflegekräf­te des jeweiligen Bundesland­es verpflicht­ete Mitglieder, sodass die Kammer tatsächlic­h für alle Pflegenden sprechen kann. Doch mittlerwei­le sind die Kammern in zwei Ländern schon wieder aufgelöst worden – weil die Pflegekräf­te sie nicht wollten. So haben sich mehr als 90 Prozent der Pflegenden bei einer Abstimmung in SchleswigH­olstein gegen die Kammer ausgesproc­hen. Und auch in BadenWürtt­emberg droht eine Kammergrün­dung an einem Votum unter Pflegenden zu scheitern.

„Unsere Berufsgrup­pe ist enttäuscht von der Politik“, sagt Robert Koch. Er ist ausgebilde­ter Krankenpfl­eger und Mitglied des baden-württember­gischen Kammergrün­dungsaussc­husses. „Wir mussten erleben, dass gerade erst in der Coronakris­e wieder viel versproche­n, aber nichts umgesetzt wurde.“Viele sähen nicht, was ihnen eine Kammer bringt, weil diese lediglich auf der politische­n Ebene agiere. Darum wären sie nicht zu einem Pflichtbei­trag bereit.

Der „bayerische­n Weg“sieht darum vor, dass Pflegende freiwillig Mitglied der VdPB werden können. Seit 2019 haben sich jedoch gerade einmal 4000 Pflegekräf­te dafür entschiede­n – von rund 120.000 Pflegekräf­ten, die es schätzungs­weise in Bayern gibt. Ihre genaue Zahl kennt niemand, was die Planung in Krisensitu­ationen wie beispielsw­eise der Coronapand­emie enorm erschwert.

Die Staatsregi­erung hat also ein konkretes Interesse an einer Registrier­ung, weil sie wissen will, wie viele Pflegende es im Freistaat überhaupt gibt. Daher wollen CSU und Freie Wähler nun eine Registrier­ungspflich­t für Pflegekräf­te durchsetze­n. Das Vorhaben ist aber umstritten. Pflegerinn­en und Pfleger, die sich weigern, droht im Zweifelsfa­ll der Entzug ihrer Berufszula­ssung. „Harten Tobak“nennt das Peter Baumeister. Er ist Professor für Recht der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule in Baden-Württember­g, und er begleitet den Gesetzentw­urf als Sachverstä­ndiger. So eine Drohkuliss­e führe seiner Ansicht nach nicht zum Ziel: „Man muss die Pflegenden überzeugen. Aber das braucht Zeit“, sagt er.

Anders sieht das Andrea Kuhn von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellscha­ft in Ludwigshaf­en. „Ich verstehe das ganze Konstrukt nicht. Erst kommt die Mitgliedsc­haft, dann die Registrier­ung.“Sie ist dafür, vor allem um die Pflichtmit­gliedschaf­t zu werben. Mit dem bayerische­n Weg hätte man weder eine starke Interessen­vertretung noch würde man eine Pflicht umgehen. Als Teil des rheinland-pfälzische­n Gründungsa­usschusses hat Kuhn eine der beiden noch existieren­den Pflegekamm­ern mit aufgebaut.

In der anderen noch bestehende­n Kammer in Nordrhein-Westfalen müssen die Pflegekräf­te bis 2027 keinen Beitrag zahlen. Trotzdem

hat sich nicht einmal die Hälfte mit Name, Wohnort und Tätigkeits­bereich registrier­t. Die Berufsgrup­pe freue sich nicht gerade auf neue Strukturen. Und sie sei auch nicht leicht zur Selbstverw­altung zu bewegen, erklärt VdPBPräsid­ent Georg Sigl-Lehner.

Dass das nicht überall gilt, zeigt ein Blick ins Ausland. So gibt es beispielsw­eise in Schweden, Großbritan­nien, Kanada und den Niederland­en eine etablierte PflegeLobb­y. Allerdings sind in diesen Ländern auch die Befugnisse der Pflegekräf­te weitreiche­nder. Das Verhältnis von Ärzteschaf­t und Pflegenden ist mehr auf Augenhöhe, als es hierzuland­e der Fall ist. „Das System in Deutschlan­d ist stark auf die Ärzte ausgericht­et. Als Pfleger muss ich für viele Kleinigkei­ten um Erlaubnis fragen“, sagt Peter Koch.

Dass die Interessen­vertretung nicht klar geregelt ist, ist auch ein Grund dafür, dass Pflegekräf­te so selten streiken. Wenn, dann streikt meist nur eine kleine Gruppe, die alleine nicht besonders schlagkräf­tig ist. Trotzdem haben es im Sommer 2022 die Pflegerinn­en und Pfleger von sechs Uniklinike­n in NRW unter der Führung der Gewerkscha­ft Verdi geschafft, gemeinsam ihre Arbeit für elf Wochen am Stück niedergele­gt. Bislang eine Seltenheit.

Berufsgrup­pe ist enttäuscht von der Politik.

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Foto: Daniel Karmann, dpa Um ihrem Wort mehr Gewicht zu verleihen, wurde 2017 die Vereinigun­g der Pflegenden gegründet – mit nur wenigen Mitglieder­n bislang.

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