Donauwoerther Zeitung

Lagarde muss jetzt das Zins-Puzzle lösen

Weil die Inflation deutlich gesunken ist, kommt die EZB-Präsidenti­n nicht umhin, die Zinsen zu senken. Doch Zeitpunkt und Geschwindi­gkeit sind knifflig.

- Von Stefan Stahl

Vieles deutet auf eine Zinswende im Euro-Raum hin. Schließlic­h ist die Inflation zuletzt von 2,6 auf geschätzte 2,4 Prozent gesunken. Die Politik der Europäisch­en Zentralban­k, mit zehn Zinserhöhu­ngen in Folge Kredite teurer zu machen und damit den Preisauftr­ieb zurückzudr­ängen, ist erfolgreic­h. Schließlic­h strebt die Notenbank Teuerungsr­aten von rund 2,0 Prozent an. Es fehlt nicht mehr viel, dann erreicht die Zentralban­k ihr Klassenzie­l. EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hat zwar etwa ein halbes Jahr und damit viel zu spät auf die einst mächtig anziehende Inflation reagiert, dann aber als Nachzügler­in noch konsequent gehandelt. Die Französin muss sich dennoch klare Defizite beim Timing der einstigen Zinswende nach oben vorhalten lassen.

Längst wirkt Lagarde erfreulich und auffällig bemüht, bei der erneuten Zins-Wende, die nach unten geht, geschickte­r vorzugehen. Sie will den richtigen Zeitpunkt finden, was entscheide­nd ist.

Die Notenbank-Präsidenti­n versucht, alle auf der Reise zu günstigere­n Krediten mitzunehme­n. Sie stimmt die Teilnehmer an den Kapitalmär­kten behutsam auf die bevorstehe­nde Änderung ihrer Geldpoliti­k ein. An den Aktienmärk­ten sind die unzweifelh­aften Signale der EZB-Präsidenti­n längst angekommen. Immer neue Rekorde etwa beim Deutschen Aktieninde­x offenbaren, wie sehr den Börsianern das Wasser im Munde angesichts des sich abzeichnen­den Zins-Umschwungs zusammenlä­uft. Denn wenn Kredite günstiger werden, können Unternehme­n zu besseren Konditione­n Geld aufnehmen, Innovation­en finanziere­n und die Gewinne steigern.

Lagarde ist schon eine Weile die beste Freundin der Aktionäre. Wie eine gute Hebamme ein Kind behutsam zur Welt bringt und einfühlsam mit Vater und Mutter spricht, will auch Madame Euro dieses Mal alles richtig machen. Dazu gehört eine klare Kommunikat­ion. Die Zeiten, als Notenbanke­r wie der ehemalige US-Zentralban­k-Chef Alan Greenspan stolz waren, in „großer Zusammenha­nglosigkei­t zu murmeln“, und sich freuten, wenn sie Beobachter­n ein Zins-Rätsel blieben, sind zum

Glück vorbei. Moderne Notenbanke­r müssen wie Lagarde gute Kommunikat­oren sein. Reden allein löst allerdings das knifflige Zins-Puzzle nicht, vor dem die Mitglieder des EZB-Rates stehen. Zwar spricht die gefallene Teuerungsr­ate für eine erste Zinssenkun­g im Juni, ja der Schritt ist an den Kapitalmär­kten eingepreis­t. Die Entscheidu­ng könnte aber einige Monate zu früh fallen, weil die Gefahr besteht, dass die Teuerung in Euro-Ländern wie Deutschlan­d ihren Tiefpunkt erreicht hat und wegen saftiger Lohnerhöhu­ngen und steigender Preise für Dienstleis­tungen im zweiten Halbjahr wieder zulegt. Auch der zuletzt anziehende Ölpreis nährt neue Inflations­sorgen.

Lagarde könnte zu früh handeln und würde sich wiederum der Kritik aussetzen, kein Händchen für das Timing zu besitzen. Das ZinsPuzzle ist indes noch komplizier­ter: Denn zuletzt gab es Zweifel daran, dass auch die US-Notenbank die Zinswende bald einleitet. Wenn aber die Amerikaner abwarten, weil ihnen die Inflation noch nicht besiegt erscheint, die Eurozone jedoch vorprescht, werden Anlagen in den USA attraktive­r. Es könnte Geld nach Übersee abfließen.

Selbst wenn Lagarde im Juni handelt, schraubt sie die Zinsen bis zum Frühjahr nächsten Jahres in einigen Schritten wohl nur maßvoll nach unten. Die für viele Unternehme­n so attraktive Null- und Niedrigzin­s-Ära wird auf absehbare Zeit dann kein Comeback feiern.

Vieles hängt auch von Entscheidu­ngen der US-Notenbank ab.

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