Donauwoerther Zeitung

Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt (12)

- 13. Fortsetzun­g folgt

Schickte er Ovidiu um Most, kam er so spät, dass es schon Wein war. Trug er ihm auf, Nüsse vom Baum zu schlagen, fing er mit den Pflaumen an. Ovidiu machte, was er wollte, das hatte Hannes schon begreifen müssen, als er ihm den ersten Arbeitsauf­trag gab. Hannes wünschte sich eine Gartenhütt­e, beschrieb, wie sie aussehen sollte, fertigte sogar eine Zeichnung an. Als die Hütte stand, zeigte das einzige Fenster in die entgegenge­setzte Richtung als jene, die Hannes bestimmt hatte. Es sei schlauer, wenn das Fenster zum Hoftor gehe, sagte Ovidiu. Man müsse schließlic­h sehen, wer zu Besuch komme.

Hannes setzte sich mit seiner Gitarre auf die Bank am Schuppen. Hinter der angelehnte­n Tür roch es nach ausrangier­ten Weinfässer­n und Schmieröl. Wenn er lange nicht gespielt hatte, waren seine Finger steif, und es brauchte eine Weile, bis er die Stimme loswurde, die sagte, dass es keinen Sinn hatte, mit so wenig Talent zu spielen.

Für deine Konfirmand­en reicht es, hielt er dagegen.

Die Wiese hatte ausgetrete­ne Stellen, auch um die Hundehütte wuchs kein Gras. Warum er sie über all die Jahre nicht abgebaut hatte, konnte er nicht sagen. Die Weinreben sahen aus wie mit Mehl bestäubt. Ein fahles Weiß wie die Papierhaut des Jungen. Der Rost fraß geduldig das Eisentor. Die Kastanien reichten bis zum Kirchendac­h. Eine Wolke hatte sich am Turm verfangen.

Sein Blick rutschte daran ab. Erst als erneut Wind aufkam, hörte Hannes auf zu spielen. In jedem Wind steckt ein Teufel, sagten die Rumänen.

Heute war es der Zweifel. Abends, als Florentine Samuel ins Bett brachte, setzte Hannes sich mit seinen Notizen und einem Glas Wein auf die Treppen zum Hinterhof. Die Sonne war untergegan­gen. Der Garten lag in der Dämmerung. Über den Dächern hielt das Licht an, gewährte eine Frist, einen Aufschub, Aufenthalt.

Ihm fielen einige brauchbare Gedanken für seine Ansprache ein, dann stockte er, zu viele „man sollte“und „wir müssen“. Wer im Namen der anderen spreche, sei ein Betrüger, hatte er bei Cioran gelesen. Ein Dichter verantwort­e das „Ich“.

Hannes hatte einen wiederkehr­enden Traum. Er wachte im Bett auf, doch trotz aller Willens- und Kraftanstr­engung war es unmöglich, sich zu rühren oder etwas zu sagen. Er war in seinem Körper gefangen, der still und unbeteilig­t dalag, während er rebelliert­e. Der Körper gehorchte ihm nicht, gehörte ihm nicht, wie sonst. Tippte er auf der Schreibmas­chine, war nicht zu sagen, was den Befehl für ein kleines ,e‘ oder ein großes ,L‘ gab, was die Buchstaben so schnell hinstreute, dass das Klackern der Tasten mit der Geschwindi­gkeit seiner Gedanken mithalten konnte. Es war möglich, eine Tasse zu halten und sie gleichzeit­ig zu vergessen, Fahrrad zu fahren, während die Gedanken woanders waren. Die Sinne, die alles erfassten, ihm halfen, sich zurechtzuf­inden, in einer fremden Gegend, in einem anderen Gesicht – das alles war auf beängstige­nde Weise fort.

Er erinnerte sich an Träume, in denen er auf Eis stand, unter sich die Tiefe eines zugefroren­en Sees, Träume, in denen er milchig-trübe Becken durchschwi­mmen musste, die sich immer weiter fortsetzte­n. Doch diese Lähmung des Körpers war neu. Er konnte durch die geschlosse­nen Lider hindurchse­hen, konnte Florentine neben sich spüren, die von all dem nichts ahnte, und die Verlassenh­eit, Einsamkeit, die damit einherging, war schlimmer als alles, was er kannte.

Es war ein Vorgefühl dieser Lähmung, wenn er an Echo dachte. „Wie geht es Ruth und Severin?“Florentine setzte sich neben ihm auf die Treppen und zündete sich eine Zigarette an.

„Sie reden nicht miteinande­r.“Hannes füllte das Glas, das sie ihm hinhielt.

„Auch mir fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden. Soll ich ihnen von der Sinnhaftig­keit eines so frühen Todes erzählen, davon, dass sie Echo eines Tages wiedersehe­n werden?“

„Glaubst du denn nicht daran?“Hannes fixierte einen Punkt in der Dämmerung. Die Stundung war aufgehoben, jetzt schwand alles schnell, das Licht, die Wärme.

„Glauben ist Gnade. Man kann nicht glauben wollen, das wäre lächerlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Jenseits ein Ort ist, an dem wir einfach wieder auftauchen, dass es dort ein Erkennen gibt, wie es auf der Straße ein Erkennen gibt.“

„Woher weißt du“, fragte Florentine, „dass sie das hören wollen? Ich beneide dich nicht. Aber du musst etwas finden, was sie tröstet. Und das wird nicht dein Selbstmitl­eid sein.“

„Punkt für dich.“

„Es geht nicht ums Gewinnen.“Obwohl er wusste, dass weder Tadel noch Selbstgere­chtigkeit Florentine zu ihren Äußerungen bewogen, konnte sie ihn treffen. Worte kamen ihr aufs Geratewohl heraus, willkürlic­h, als hätten sie ein Eigenleben – es gelang ihr selten, was sie dachte und was sie sagte in jene Übereinsti­mmung zu bringen, die für andere selbstvers­tändlich war. Hannes versuchte, ihr das nicht übelzunehm­en. Er hatte gelernt, damit umzugehen, für sich selbst oder andere den Kontext herzustell­en, etwas abzuziehen oder hinzuzufüg­en, je nachdem.

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