Thomas Anders: Zeig, was du kannst .........
Thomas Anders im Interview über Stärken, Selbstreflexion und Auslese
Herr Anders, Sie wirken immer so tiefenentspannt. Kann das daran liegen, dass Sie nur noch das tun, was Sie möchten? Oder war das schon immer so? Nein, das war nicht immer so. Als junger Mensch war ich noch nicht so entspannt. Man muss sich ja erstmal seine Sporen verdienen und träumt von einer Karriere, von der man nicht weiß, ob man sie hinkriegt. Heute haben Sie Recht mit Ihrer Einschätzung, ich habe das Privileg, nur das zu tun, was mir Freude macht.
Schon als Kind haben Sie sich für Musik und das Singen begeistert und haben deutlich gemacht, dass Sie das auch beruflich machen möchten. Ich kann mir vorstellen, dass da Druck aus dem familiären Umfeld kam. Sänger ist ein eher unüblicher Beruf. Sie haben aber Ihren Kopf durchgesetzt?
Ich habe mit sechs angefangen, Musik zu machen. Dann kamen die ersten Auftritte und als Achtjähriger ist man weniger der starke Typ, der seinen Kopf durchsetzt und als Goliath gegen den Rest der Welt kämpft. Man möchte einfach das tun, was einem Freude macht. Ich hatte sehr viel Glück, dass meine Eltern mich unterstützt haben. Aber die Schulleistungen mussten natürlich weiterhin stimmen. Wenn das nicht funktionierte, schoben meine Eltern dem einen Riegel vor. Für mich war dennoch klar, ich wollte diesen Weg gehen, ich wollte Musik machen, auch wenn ich mit 12 oder 14 noch nicht die Gedanken gemacht habe, womit ich später ganz konkret meinen Lebensunterhalt verdienen werde. Das kam für mich nach dem Abitur, als ich anfing zu studieren. Ich musste die Zeit für Musik zuerst mit der Schule und später mit der Uni teilen. Das machte mich nicht glücklich, darum habe ich relativ schnell das Studium „ruhen lassen“und habe mich voll und ganz auf die Musik konzentriert, mit dem Resultat, dass zwei Jahre später Modern Talking losging.
Eine Definition von Glück lautet, man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das bedeutet auch, dass jemand wie ein Thomas Anders, der schon auf der Bühne gestanden hat, mehr Glück haben wird, so eine Chance zu bekommen, als jemand, der nur im Keller singt. Richtig, man muss neben Talent und Fleiß sich auch „zeigen“. Auch ich musste mich irgendwann einem Wettbewerb stellen. Nur damals nannte man es nicht Casting-show und es war nicht medial begleitet im Fernsehen, man nanntes es Talentwettbewerb. Das war die Vorgehensweise Anfang der 70er. Ist das nicht nach wie vor eine gute Sache? Casting-shows auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite auch die Leute, die sich einfach jahrelang durchkämpfen und sich ein dickes Fell zulegen, so wie sie?
Richtig, das ist genau mein Reden, man muss es von „der Pike auf“lernen. Auch ich bin in den Anfängen jedes Wochenende durch die Dörfer gezogen und in Diskotheken und auf Feiern aufgetreten, wo mich niemand kannte.
Und da saß schon Ihre Jury, oder?
Das ist die gnadenloseste Jury. Aber nur so lernt man und wird erfolgreich. Ein Beispiel aus einem anderen Genre: Jemand interessiert sich fürs Bäckerhandwerk und kreiert durch Zufall einen ganz tollen Kuchen. Weil er es aber handwerklich nie gelernt hat, wird er diese Torte nicht noch einmal genauso hinbekommen. Die Torte war ein Zufallsprodukt. Im fehlt das Wissen, um den Geschmack zu reproduzieren. Ich dagegen habe mein Handwerk gelernt. Von meinem ersten Auftritt mit sechs bis zu meinem ersten Schallplattenvertrag mit fünfzehn lagen neun Jahre. Das waren neun Lehrjahre.
Man muss es von „der Pike auf“lernen. Auch ich bin in den Anfängen jedes Wochenende ... in Diskotheken und auf Feiern aufgetreten, wo mich niemand kannte. Das ist die gnadenloseste Jury.
Apropos Kindheit. Stimmt es, dass Sie das Intro zu „Ducktales“gesungen haben?
Nein, das ist nur ein Gerücht.
Musik wird irgendwann auch zum Business. Wie leicht fällt das einem Künstler wie Ihnen? Man sagt, Künstler in-
teressieren sich weniger für Business, sondern eher für die Kunst.
Das stimmt zwar häufig, aber ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass man auch Business machen muss und Geschäftsmann ist. Die meisten, die heute immer noch erfolgreich in der Branche sind, haben auf jeden Fall eine gewisse Portion Geschäftssinn. Sonst läuft es nicht. Geschäftssinn meint nicht nur den monetären Bezug, sondern alles, was Marketing betrifft, was man mit Musik und mit sich als Person machen kann. Wenn man so lange dabei ist wie ich, muss man auch immer kritisch mit sich selbst umgehen und versuchen, sich immer wieder neu zu finden und auszutesten. Das gehört dazu.
Wie schwer ist es, dabei authentisch zu bleiben, wenn man sich neu erfinden will oder soll?
Man muss es selbst wollen, es muss aus einem selber entstehen. Wenn die Neuerfindung von außen gefordert wird beziehungsweise übergestülpt wird, klappt es nicht. Dann ist es auch nicht mehr authentisch und man braucht erst gar nicht anfangen.
Haben Sie das auch schon hinter sich?
Der größte Bruch war nach der ersten Karriere mit Modern Talking. Als ich nach Amerika gegangen bin und das Album „Sold“aufgenommen habe, das von Peter Wolf produziert wurde. Für mich stimmlich der größte Meilenstein in der Weiterentwicklung. Auch als erfolgreicher Künstler braucht man hin und wieder ein Coaching, um an sich zu arbeiten, sich weiterzuentwickeln, und das hat er hervorragend unterstützt. Ich wurde unter anderem von Phillip Ingram gecoacht, der Bruder von James Ingram. Der Coach, der Mariah Carey und George Michael trainiert hat. Der kam ins Studio und hat mir dann gezeigt, wie man Töne noch anders formt. Das Album war kein Erfolg, aber es war von der Stimme und dem Lernen her das wichtigste Album meiner Karriere.
Eigentlich war das eine Art Investment?
Wenn man so lange dabei ist wie ich, muss man auch immer kritisch mit sich selbst umgehen und versuchen, sich immer wieder neu zu finden und auszutesten.
Das stimmt.
Als Jury-mitglied bei X-factor wird sicherlich auch mal verlangt, dass Sie auf einen Kandidaten draufhauen oder ihn runterputzen. Fällt ihnen das leicht?
Es wird nicht verlangt, dass man draufhaut. Aber man muss auch ehrlich sein. Wenn da jemand kommt, der einfach nicht genug Talent hat, dann muss man das auch sagen dürfen. Aber es kommt immer drauf an, wie man es sagt. Ich muss nicht verletzend werden und kann immer noch Respekt haben, auch wenn ich dem Kandidaten ein „nein“gebe. Ich habe einigen Kandidaten gesagt, dass ich nicht
gut finde, was sie machen. Ich habe aber auch versucht, die Lösung mitzugeben. Unsere Morderatorin, Charlotte Würdig, kam einmal zu mir und sagte, dass sie das überhaupt nicht kapiert, wie ich das mache, dass die Kandidaten, die von mir das entscheidende NO bekommen und rausfliegen, hinterher freudestrahlend bei ihr stehen und happy damit sind. Es liegt wahrscheinlich daran, dass ich ihnen dann erkläre, was sie falsch gemacht haben, woran sie arbeiten müssen. Das ist wohl eines der Geheimnisse.
Sie sind weltweit extrem erfolgreich, auch in Richtung Russland. Können Sie da manchmal melancholisch werden, wenn Sie sich die politischen Situationen zwischen unseren Ländern anschauen? Sind Sie da auch ein bisschen Botschafter? Dann werde ich nicht melancholisch, da werde ich eher traurig oder böse, es macht mich fassungslos. Ich sehe mich aber nicht als politischer Botschafter. Wenn ich auf der Bühne stehe und zum Beispiel Brother Louie singe, habe ich nicht eine Sekunde lang das Gefühl, ich muss hier eine politische Botschaft rüberbringen, sondern es geht darum, die Menschen zu unterhalten.
Gibt es ein Erfolgsprinzip, dem Sie immer treu bleiben werden?
Sich nicht unterkriegen lassen. Und an sich glauben. Das ist ganz wichtig. Natürlich gehört dazu eine Selbstreflexion.
Wie glaubt man an sich?
Durch Selbstreflexion und Ehrlichkeit. Ich erkläre es am Beispiel der Musik, aber im Grunde kann man es auf jeden Lebensbereich übertragen. Wenn ich glaube, Musik ist mein Weg, aber es klappt nicht so mit dem Erfolg, sollte man sich fragen, ob diese Musikrichtung auch die Richtige ist. Musik hat ja viele Sparten. Vielleicht muss ich eine andere Richtung gehen. Vielleicht muss ich an meinem Äußeren arbeiten oder an meinen Texten. Ich glaube, ganz viele Menschen beziehungsweise Jungmusiker können sich nicht vorstellen, wie viel Arbeit dahintersteckt, nach oben zu kommen, langfristig erfolgreich zu sein. Natürlich gibt es auch Phänomene, die im Internet entstehen und kurzfristig sehr erfolgreich sind. Aber die Frage ist immer, wird es diesen „Youtube Star“auch morgen noch geben. Bei manchen denke ich „das braucht kein Mensch“.
Das haben Eltern damals auch über Sie gesagt.
Vielleicht, aber trotzdem wurden meine Platten gekauft. Ich habe das Gefühl, heute machen viele etwas nur, um bekannt zu werden und nicht, weil sie eine Botschaft oder eine Profession haben. Ich möchte nicht alle über einen Kamm scheren, aber wie viele von unseren Pseudoprominenten haben denn tatsächlich etwas geleistet? Außer zu provozieren, sich auszuziehen oder sich lächerlich zu machen. Das sind doch mittlerweile oft die Attribute, mit denen man eigene Sendungen kriegt. Aber die werden keine 40 Jahre überleben in der Branche.
Heute machen viele etwas nur, um bekannt zu werden und nicht, weil sie eine Botschaft oder eine Profession haben.
Vielen Dank Herr Anders.