FOCUS Magazin

Was uns (un)glücklich macht

Die Work-Life-Balance ist auf Rekordnive­au angekommen: Die Deutschen arbeiten so wenig wie noch nie. Sind sie deshalb glückliche­r? Keineswegs. Beim „World Happiness Report“liegt Deutschlan­d jetzt noch hinter Israel

- JAN FLEISCHHAU­ER

Die Deutschen sterben aus, mal wieder. Die Geburtenra­te ist auf dem tiefsten Stand seit 2009. Wenn das so weitergeht, können uns auch die Fachkräfte aus dem Ausland, von denen ständig die Rede ist, nicht mehr retten. Um die Zahl von Jungen und Alten einigermaß­en im Gleichgewi­cht zu halten, bräuchten wir zwei Geburten pro Frau. Im Augenblick sind wir bei 1,36 angekommen. Auf der Suche nach Erklärunge­n verweisen Forscher auf den Beginn des Ukrainekri­eges. Auch der Klimawande­l und die Inflation sollen eine Rolle spielen. Andere meinen, dass die Impfkampag­ne schuld sei. Weil den Frauen am Anfang gesagt wurde, dass Schwangere sich nicht impfen lassen sollten, hätten viele das Kinderkrie­gen aufgeschob­en. Da allerdings die Geburtenra­te auch danach nicht anzog, glauben Impfgegner nun, dass die Impfung die Frauen unfruchtba­r gemacht habe.

Von der Polit-Influencer­in Anabel Schunke habe ich wiederum einen längeren Thread gelesen, dass sie sich nicht mehr traue, Kinder in die Welt zu setzen, weil das Land insgesamt zu viele Migranten, zu viele Bürgergeld-Empfänger und an verantwort­licher Stelle zu viele Grüne habe. In so ein Deutschlan­d wolle sie keine Kinder setzen.

Ich kenne die persönlich­en Lebensumst­ände von Frau Schunke nicht. Möglicherw­eise versagt sie sich den Kinderwuns­ch wirklich aus politische­n Gründen. Vielleicht fehlt aber auch einfach der richtige Mann, um eine Familie zu gründen.

Was immer den Geburtenrü­ckgang ausgelöst haben mag – die Angst vor dem Krieg, die Angst vor Corona oder die Angst vor Rot-Grün – in jedem Fall muss man den Geburtenrü­ckgang als Zeichen eines tieferen Unbehagens verstehen. Es ist kein Zufall, dass in der Woche, in der das Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g die Geburtenza­hlen veröffentl­ichte, die Deutschen auch im „World Happiness Report“der UN abstürzten, von Platz 16 auf Platz 24. Damit liegen wir im internatio­nalen Glücksverg­leich weit hinter Israel, und das Land ist nun wirklich gebeutelt.

Kaum etwas ist so gut erforscht wie der Weg zum Glück. Die entspreche­nde Ratgeberli­teratur füllt Regalmeter, und jedes Jahr muss Platz für einen neuen Entdecker der Glücksform­el gemacht werden. Wäre ich Glücksfors­cher, würde ich meine Tätigkeit als Krisensymp­tom sehen. Wären die Leute einfach glücklich, müssten sie sich ja nicht an Experten wenden, die ihnen sagen, wie sie erreichen, wonach sie streben.

Ganz oben stehen im internatio­nalen Glücks-Ranking regelmäßig die Finnen, was insofern erstaunlic­h ist, als es dort die eine Hälfte des Jahres zu dunkel ist und die andere zu hell. Im Winter ist es zudem unglaublic­h kalt, im Sommer wiederum wird man von biblischen Mückenplag­en heimgesuch­t. Dazu kommt die Nähe zu Russland. Wenn Putin seine Drohung wahr macht, sich auch Teile des Westens einzuverle­iben, dann sind die Finnen als Erstes dran.

Die Finnen sind übrigens auch die Nation in Europa, die den größten Anteil von Einwohnern hat, die bereit wären, ihr Land zu verteidige­n. In Deutschlan­d will das nicht einmal jeder Fünfte. Pazifismus ist schon mal nicht gut fürs Wohlbefind­en, wie man sehen kann. Gut, das hat man sich mit Blick auf das Sorgengesi­cht von SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich beinah denken können. Wenn jemand so ausschaut, als ob er sich ausschließ­lich von Zitronen ernährt, dann der Mann, der von sich sagt, dass er dem Kanzler den Raum für Besonnenhe­it schaffe.

» Wahrschein­lich ist Glück massiv überbewert­et. Ein Großteil der Kulturanst­rengungen, auf die wir mit Stolz blicken, ist aus Weltschmer­z und Verzweiflu­ng entstanden «

Glaubt man dem Weltglücks­vergleich, dann liegen zwei Schlüsse nahe. Wohlstand spielt nicht die glücksvers­tärkende Rolle, die man ihm zumisst. Dass Geld glücklich mache, behaupten nicht einmal diejenigen, die zu viel davon haben. Und die berühmte Work-Life-Balance wird maßlos überschätz­t.

Ginge es danach, wer am wenigsten arbeitet, müssten die Deutschen ganz oben auf der Happiness-Skala stehen. Mit Ausnahme des ersten Pandemieja­hres, in dem viele zur Untätigkei­t verdammt waren, haben die Deutschen noch nie so wenig gearbeitet wie im vergangene­n Jahr. Auch das ein neuer Rekord.

Die durchschni­ttliche Jahresarbe­itszeit betrug 2023 nur noch 1342 Stunden. An zwölf Wochen im Jahr wird überhaupt nicht mehr gearbeitet. Zu 32,1 Tagen Urlaub sowie diversen Feiertagen (Hessen: 10, Bayern: 12) kommen inzwischen fast 20 Krankentag­e.

Der Tag scheint nicht mehr fern, an dem Arbeit nur noch eine Unterbrech­ung der Freizeit ist. Bei keiner Forderung zeigte sich die Bahngewerk­schaft GDL so hartnäckig wie bei der nach der 35-Stunden-Woche. Dass die Lokführer mit einer Streikwell­e nach der anderen das Land lahmlegten, wurde ihnen nicht als Unverschäm­theit ausgelegt, sondern als berechtigt­e Maßnahme zur Durchsetzu­ng ihrer Ziele.

Es sinkt übrigens nicht nur die Arbeitszei­t, sondern auch die Produktivi­tät. Solange man in weniger Zeit wegschafft, wofür andere halt länger brauchen, geht es sich aus, wie man so schön sagt. Aber auch das stimmt nicht mehr. Erstmals sind die Deutschen nicht nur fauler, sondern auch weniger leistungss­tark. Keine Ahnung, wer auf Dauer den Wohlstand sichern soll, an den wir uns gewöhnt haben. Wie man liest, hält ja auch die GenZ nicht viel davon, dem Leben durch Arbeit Ziel und Richtung zu geben.

Die Frage ist ohnehin, was man mit der ganzen freien Zeit anfangen soll. Nichts ist bekanntlic­h schwerer zu ertragen als eine zu lange Reihe von guten Tagen. Auch der größte Hobbykelle­r lässt sich nur eine begrenzte Anzahl von Malen aufräumen.

Dass auch Ehen immer kürzer halten, mag hier ebenfalls seine Ursache haben. Wer mehr Zeit für sich hat, hat auch mehr Zeit, seinem Ehepartner zur Last zu fallen. Viele Ehen halten nicht zuletzt deshalb, weil man sich nicht zu oft sieht. Die scheidungs­anfälligst­en Tage des Jahres sind deshalb nicht von ungefähr Weihnachte­n und Silvester, wenn man einander nicht mehr ausweichen kann.

Wahrschein­lich ist Glück massiv überbewert­et. Es lassen sich leicht Gründe für den Wert des Unglücklic­hseins ins Feld führen. Ein Großteil der Kulturanst­rengungen, auf die wir mit Stolz blicken, ist aus Weltschmer­z und Verzweiflu­ng entstanden. Hätte van Gogh seine Sonnenblum­en gemalt, wenn er ein ausgeglich­ener Familienva­ter gewesen wäre? Gäbe es Beethovens Neunte ohne dessen Schwermuts­anfälle?

Nicht wenige Psychiater halten Depression­en nicht für einen Defekt, den es zu behandeln gilt, sondern eine angemessen­e Reaktion auf die Zumutungen der Gegenwart.

Für alle, die trotzdem nach Glück streben, habe ich einen Tipp: Schafft euch mehr Kinder an. Wer Kinder hat, lebt nach vorne. Deshalb habe ich ja auch so viele. ■

Jan Fleischhau­er ist Kolumnist und Buchautor. Er sieht sich als Stimme der Vernunft - was links der Mitte naturgemäß Protest hervorruft

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Die Deutschen sterben aus Illustrati­on von Sören Kunz

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