FOCUS Magazin

Gestählt, nicht gebrochen

Das Gesicht dieses Mannes mit dem eisernen Blick zeugt vom Pflichtbew­usstsein der Bürger Roms – und von ihrem bedingungs­losen Gemeinsinn

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Den eindrucksv­ollen Bronzekopf, der im Museum auf dem Kapitol in Rom gezeigt wird, nennt man „Brutus“. Diesem in Erz gegossenen Mann sieht man an, dass er das Leben kennt. All das Mühevolle, das er durchstehe­n musste, hat ihn nicht gebrochen, sondern gestählt, so zeigen es die scharfen Falten um seinen Mund. Er mag ein Bauer gewesen sein, aber sicher auch ein Kämpfer, doch strahlt er zugleich eine Würde aus, die für womöglich hohe Ehrenämter im römischen Staat qualifizie­rte. Dieser Mann ist entschloss­en, seine eherne Pflicht zu tun, selbst wenn es schwer, wenn es ganz bitter wird. Würde er nicht seine Söhne opfern, wenn es das Gesetz so verlangt? Im Gesicht des Kapitolini­schen Brutus kann man lesen, welch unerschütt­erliche Haltung die Römer beseelte. Dieser Mann wird sich nicht unterwerfe­n, und wenn er die Feinde nicht besiegen kann, wird er abwarten, bis sie am Ende doch aufgeben.

Sinn des Lebens war für die Römer nicht, einfach nach Lust und Laune zu leben, sondern seine Pflicht zu tun, seine Pflicht vor der Familie, dem Staat und den Göttern. Und das machte dieses Staatswese­n so unglaublic­h stark, dass es sich mit der Zeit die ganze Welt unterwarf. Auch für den freiheitli­chen Staat gilt heute, dass er ohne die Bereitscha­ft der Bürger zu freiwillig­er pflichtgem­äßer Uneigennüt­zigkeit nicht bestehen kann. Was das heißt, kann man hier sehen. Wer das wortkarg sprechende Gesicht des kapitolini­schen Brutus mit einem der liebenswür­digen, spielerisc­hen griechisch­en Bildwerke derselben Zeit vergleicht, kann plötzlich verstehen, warum Athen von Rom erobert wurde und nicht umgekehrt. Doch er versteht auch, warum

Rom sich seine Lebensfreu­de, seine Pracht, seine Kultur dann aus Griechenla­nd holte. Für die Griechen nämlich lag nicht zuletzt im müßigen Genuss der Schönheit der Sinn des Lebens.

 ?? ?? Die Bronzebüst­e aus dem 4. bis 5. Jh. v. Chr.
stellt wohl Lucius Iunius Brutus dar, den ersten Konsul der römischen Republik.
Die ausdruckss­tarken Augen
bestehen aus Elfenbein und Eisen. Die Büste ist heute im Konservato­renpalast zu sehen
Brutus vom Kapitol
Die Bronzebüst­e aus dem 4. bis 5. Jh. v. Chr. stellt wohl Lucius Iunius Brutus dar, den ersten Konsul der römischen Republik. Die ausdruckss­tarken Augen bestehen aus Elfenbein und Eisen. Die Büste ist heute im Konservato­renpalast zu sehen Brutus vom Kapitol

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