Kitt & Kulinarik
Rum, Reggae und eine moderne RestaurantSzene locken in die Karibik
Gutes Essen ist auf St. Kitts immer greifbar nah. Rum, Reggae und hervorragende Restaurants
Über ein Jahrzehnt nach der Schließung der Zuckerfabriken erfindet sich diese Insel neu. am Strand bestimmen heute ihr Bild. Judy Bastyra hat sich vor Ort umgesehen ...
Es ist Freitagnachmittag gegen halb fünf und auf den Straßen wimmelt es nur so von Menschen. Sie schlendern über unebene Bürgersteige vorbei an maroden Holzhäusern. Von der Bay Road in Basseterre ist ein deutliches Surren zu hören, Reggae-Töne mischen sich unter die Gespräche. An nahezu jeder Ecke ist ein Holzkohlegrill aufgebaut, Rauchschwaden steigen auf, und der Geruch von Fleisch vermengt sich mit der drückenden, tropischen Luft. Von Rippchen, Schweinefleisch, Hühnchen, Hummer, Lamm-Schawarma und Gyros tropft heißes Fett auf die weiße Kohle – ein typisches Bild, wenn hier das Wochenende nach einer harten Arbeitswoche beginnt.
In einer Seitenstraße steht der Postbeamte Stanley seit elf Uhr an seinem Grill. Längst hat er alles für seine Kollegen vorbereitet, die bald den Feierabend einläuten. Wer es vegan mag, wird im Lion of Judah in der Bay Road fündig: Selbst Fleisch-Liebhaber schätzen das Essen von Sheldon. Er hat sich auf das bei den Rastafari beliebte natürliche Ital-Food spezialisiert. Ganz in der Nähe, am Fährterminal von Nevis, gibt es viele weitere Bars, in denen sich die Einheimischen auf einen Drink treffen. Zwischen Geschäftsleuten und Arbeitern sitzen Jungs mit wilden Dreadlocks, junge, sehr modische Frauen und adrette Damen. Sie alle genießen ihr Bier oder einen Rum und tauschen den aktuellen Klatsch aus.
Essen, trinken und sich dabei ausgiebig zu unterhalten gehört auf St. Kitts einfach zusammen. Die Insel – sie ist die größere des Karibik-Staats St. Kitts und Nevis – wurde von den Indianern Liamuiga, fruchtbares Land, genannt. Von den Kolonialherren bekam sie den Namen Saint Christopher. Über Jahrhunderte kämpften Engländer und Franzosen sowie auch Spanier um das Gebiet. Der Georgianische Baustil sowie die elegante Architektur des Plaza de la Independencia prägen heute noch das Bild der Hauptstadt Basseterre. Im Jahr 1783 sicherten sich die Briten mit dem Friedensvertrag von Paris endgültig das Paradies und kultivierten das karibische Gold: Zucker.
Bevor im Jahr 1834 die Sklaverei abgeschafft wurde, gab es hier vor allem Zuckerplantagen mit den dazugehörigen, prachtvollen Herrenhäusern und unzähligen Arbeitskräften. St. Kitts war 1623 die erste britische Kolonie in der Karibik und wurde daher auch Mother Colony, also Mutter-Kolonie, genannt. Aber auch als Wiege der Karibik ist sie bekannt, denn der Zuckerhandel sorgte für eine florierende Wirtschaft. Seit 1983 ist St. Kitts unabhängig, aber wie so viele der englischsprachigen Karibik-Inseln ist sie Mitglied des Commonwealth. Aufgrund der rückläufigen Gewinne durch den Zuckeranbau und den europäischen Einfluss fand 2005 die letzte Ernte statt. Die Plantagen wurden geschlossen, und die Regierung entschied sich, den Tourismus als Einnahmequelle aufzubauen.
Nur langsam wird heute wieder auf Landwirtschaft gesetzt. Zahlreiche Institutionen wie etwa Kittitian Hill mit dem Anspruch, den Weg vom Erzeuger zum Verbraucher verfolgen zu können, helfen dabei. Auf St. Kitts will man nicht länger nur für den Anbau von Zuckerrohr bekannt sein, sondern endgültig aus dem Schatten der bekannten und beliebten Schwesterinsel Nevis treten.
St. Kitts ist in drei Abschnitte unterteilt: Im Norden gibt es die Berge mit schwarzen Vulkanstränden, das Zentrum ist die Hochburg für Strandtourismus, die südöstliche Halbinsel ist bekannt für ihre geschwungenen Buchten und weißen Sandstrände. Ein Traumplatz für Unternehmer. Das wohl beeindruckendste Projekt ist der Hafen Christophe, an dem sich neben einem Park-Hyatt-Luxushotel auch Privathäuser und eine Marina für Superjachten findet. Der Pavilon Beach Club und die stylische Salt Plage Bar sind populäre Treffpunkte für ein entspanntes Dinner und Drinks.
„Bob Marley sagte einst: ,In dieser Zukunft darfst du deine Vergangenheit nicht vergessen.‘ Dem kann ich nur zustimmen. Unsere 400-jährige Geschichte ist bemerkenswert.
Es gibt so vieles, was noch nicht erzählt wurde. Das möchten wir ändern“
Wer wirklich ein Gefühl für die Geschichte von St. Kitts bekommen möchte, sollte aber unbedingt den Norden erkunden: Verlassene Zuckerplantagen, zerstörte Windmühlen und verfallene Ziegelschornsteine bestimmen dort das Landschaftsbild. Auf den Ackerflächen versuchen Bauern immer noch, unterschiedlichste Produkte anzubauen. Es gibt zwar viele Pläne, an der Umsetzung aber scheitert es. Und so verkauft man immer noch die Spuren der Vergangenheit als Touristenattraktion. Der St. Christopher National Trust etwa wurde vom Belmont Estate übernommen und soll zu einem Museum über die Geschichte der Insel umgebaut werden.
Äußerst beeindruckend ist die Plantage Wingfield Estate, die im Jahr 1625 gegründet wurde. Mittlerweile hat der Besitzer Maurice Widdowson sie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Sie sind herzlich eingeladen, an den Ausgrabungen teilzunehmen, sobald unsere Archäologen hier sind“, sagt er stolz. „Seit 1683 wurde hier Rum produziert, und diese Erfahrung möchten wir wieder lebendig machen.“Dann beginnt er, Texte des berühmtesten Musikers der Region zu interpretieren. „Bob Marley sagte einst: ,In dieser Zukunft darfst du deine Vergangenheit nicht vergessen.‘ Dem kann ich nur zustimmen“, sagt Maurice mit leuchtenden Augen. „Unsere 400jährige Geschichte ist bemerkenswert. Es gibt so vieles, was noch nicht erzählt wurde. Das möchten wir ändern.“
Wenn der Himmel ganz klar ist und in seinem schönsten Blau leuchtet, ist das der perfekte Tag, um Brimstone Hill zu besuchen. Das Unesco-Weltkulturerbe ist eine der größten und besterhaltenen Festungen der östlichen Karibik. Die Aussicht von hier über die ehemaligen Kanonenanlagen und den schimmernden Ozean bis zu den benachbarten Inseln ist phänomenal. Es gibt kaum einen besseren Ort, um die Karibik zu genießen. Die authentische Küche von St. Kitts ist nicht einfach zu beschreiben. Sie ist von so vielen Einflüssen bestimmt: Es gibt scharfe Gerichte wie auf Jamaika, sämige Fischeintöpfe, wie man sie von den Bahamas kennt, und Currys mit Hummer, Garnelen, Huhn, Rind oder gern auch vegetarisch, was typisch für die Inseln Trinidad und Tobago ist.
Diese Ursprünglichkeit entdeckt man am besten, wenn man einen Blick in die Kochtöpfe der Einheimischen wirft: An den Wochenenden gibt es oft eine würzige Blutwurst. Saisonale Kräuter wie Schnittlauch, Thymian und Nelken dürfen nie fehlen. Dann wird alles zusammen gekocht und mit Brot gegessen. In anderen Familien kommt die traditionelle Samstagssuppe auf den Tisch, für die salziges Fleisch vom Rind oder Schwein über Nacht in Wasser eingeweicht wird. Mit Karotten, Kürbis, Maniok, Süßkartoffeln, Tannia, grünen Bananen, Pfeffer und Hülsenfrüchten gekocht wird daraus ein Eintopf, der mit Knödeln serviert wird. Die perfekte Mahlzeit, um sich von exzessiven Freitagabenden zu erholen.
Das Nationalgericht ist Salt Fish. Er wird mit Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten und Thymian gedünstet und mit gekochten grünen Bananen sowie Knödeln gegessen. Wer diese ursprüngliche Köstlichkeit und andere lokale Spezialitäten probieren will, wird in El Fredo’s Restaurant in Basseterre fündig. Das Lokal wird vom Ehepaar Jasmine und Ken Francis geführt. Jeden Morgen suchen sie auf dem Markt die besten Zutaten aus. Zu ihren Standardgerichten gehören Eintöpfe, Currys, Huhn und Rind. Nicht zu vergessen: gegrillter Hummer, Ochsenschwanz und Salt Fish.
Kennengelernt haben sich die beiden in Cardiff in Wales, wo Jasmine im Rathaus arbeitete und schon für die Queen kochte. Doch eigentlich stammen sie aus St. Kitts, und so zog es sie bald zurück auf die Insel, um dort ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Eine gute Entscheidung. Das El Fredo’s genießt auch bei den Einheimischen einen hervorragenden Ruf.
„Die Küche von St. Kitts ist von vielen Einflüssen bestimmt: Es gibt scharfe Gerichte wie auf Jamaika, sämige Fischeintöpfe, wie man sie von den Bahamas kennt,
und Currys mit Hummer, Garnelen, Huhn, Rind oder gern auch vegetarisch“
„Immer, wenn die Locals ein wenig Geld übrig haben, geben sie es gern bei uns für ein gutes Dinner aus“, sagt Jasmine mit einem Lächeln. „Das macht uns besonders stolz.“
Am Samstagmorgen ist Marktzeit in Basseterre. Wo am Abend zuvor noch gegrillt wurde, werden dann Produkte aus der Gegend angeboten. In der ersten Reihe am Wasser wird an Fischständen der morgendliche Fang präsentiert: Hornhecht, Mahi-Mahi und Red Snapper glänzen neben Papageifischen, Hummer und Muscheln. Ein kleine Warnung: Muscheln werden hier ohne Schale in Plastiktüten verkauft, was zwar nicht sehr ansprechend, aber auch nicht weiter problematisch ist. Im überdachten Bereich des Marktes gibt es überwiegend saisonales Obst und Gemüse. Viele Verkäufer sind Bauern aus der Umgebung mit kleinen Höfen, andere haben eine kleine Auswahl aus ihrem Garten in der Auslage. Etwa ein paar Bananen, ein halbes Dutzend Papayas oder Mangos. Aber natürlich finden Besucher hier auch ScotchBonnet-Chilis, Auberginen, Möhren und Okraschoten. Ebenso die für die Karibik typischen Grundnahrungsmittel wie Yamswurzel, Süßkartoffeln, Taro und Tannia. Zwischen den Ständen verkaufen Leute Honig, Pfeffersaucen und Sarsaparilla – abgefüllt in einfachen Flaschen. Probieren Sie unbedingt Mauby, ein Erfrischungsgetränk, das auch als Hausmittel gegen verschiedene Wehwehchen verwendet wird. Es wird aus der Rinde des gleichnamigen Baumes hergestellt und mit Zucker, Zimt, Lorbeerblättern und Nelken gewürzt. Die Einheimischen lieben außerdem ihren Bush Tea, für den Guavenblätter, Zitronengras und Fit Weed mit Wasser aufgegossen werden. Tatsächlich scheint es hier für fast alles einen Tee zu geben. Aus den Blättern der Stachelannone macht man ein beruhigendes Gebräu für Babys, und bei Magenproblemen hilft wieder ein Getränk mit Guave. Allgegenwärtig auf der Insel sind grüne Kräuter. Fleisch, Geflügel und Fisch werden vor der Zubereitung meist in einer Mischung aus Thymian, Petersilie, Frühlingszwiebeln, Chili und Wasser mariniert.
Der Markt ist ein sehr geselliger Ort, und die Verkäufer erklären nur allzu gern unbekannte Gemüse- und Obstsorten. Arabella Nisbett, Bäuerin und Mitglied der Organisation St. Kitts Farmers Cooperative, verrät ihr Geschäftskonzept: „Ich gebe den Produkten meiner Farm immer einen Mehrwert. An die Supermärkte verkaufe ich zum Beispiel selbst hergestellte Süßkartoffel-Chips. Aus Maniok mache ich Mehl, Brot, Knödel sowie Pfannkuchen und verkaufe diese Erzeugnisse dann mittwochs an der RossUniversität. Den Studenten zeige ich auch, wie sie die Produkte zubereiten können und gebe ihnen Rezepte mit.“
Immer wieder sehen wir, dass die Menschen hier versuchen, von der Landwirtschaft zu leben. Auch auf der Fari Organic Farm steht einfaches, gesundes Essen im Mittelpunkt. In dem Lokal Ital Creations von Judah Fari und seiner Frau
Yayah gibt es vegetarisches Essen sowie zahlreiche verschiedene Smoothies, die mit Moringa zubereitet werden. „Unser Bio-Bauernhof ist einen halben Hektar groß. Ich habe ihn von meinem Großvater geerbt, der ihn seit den 1960er-Jahren betrieben hat“, verrät Judah. „Er hat vor allem Süßkartoffeln, Erdnüsse und Kürbisse angepflanzt, ohne dabei irgendwelche Chemikalien zu verwenden. Wir sind sehr glücklich, dass wir seine Arbeit heute fortführen dürfen. Neben Gemüse bauen wir mittlerweile auch Heil- und Gewürzpflanzen an. Besonders stolz aber wir sind auf unsere Obstbäume.“
Die Belle Mont Farm gehört zur zuvor erwähnten ÖkoGemeinschaft Kittitian Hill. Sie ist eine vielbeachtete, 162 Hektar große Farm mit eigenem Hotel und liegt im Norden der Insel am Fuß des Mount Liamuiga. Die Idee für dieses außergewöhnliche Projekt stammt vom Visionär, Designer und Ex-Politiker Val Kempadoo: „Mein Plan ist, ein Konzept für nachhaltigen Tourismus zu schaffen. So kann man die Urlauber auch auf die Wirtschaft der Region aufmerksam machen. Die Gesellschaft ändert sich. Natürlich wird es noch eine Weile dauern, aber ich glaube fest daran.“Dafür steht ihm ein Team von Experten zur Seite. Wie etwa der international bekannte Architekt Bill Bensley. „Mein Briefing an Bill war sehr knapp: ,Halte dich an die Beschaffenheit der Insel, arbeite mit Material von der Insel und entwerfe ein Fünf-Sterne-Resort.‘ Er hat es umgesetzt und eine wundervolle Anlage gestaltet.“
Das Obst und Gemüse der Farm landet in den Töpfen des hoteleigenen Restaurants, alle weiteren Zutaten werden von lokalen Fischern, Bauern und Jägern bezogen. Chefkoch Christophe Letard kreiert jeden Tag ein Menü aus dem, was gerade angeboten wird. Gibt es Red Snapper, Mahi-Mahi und Hummer, entscheidet er sich für einen Fischeintopf. Dieses einfache Traditionsgericht wird eher von den Dorfbewohner gegessen.
„Val konnte Isabelle Legeron engagieren – eine ausgezeichnete Weinexpertin“
Doch Christophe zaubert aus den schlichten Zutaten ein Luxusmahl und reicht dazu Ravioli mit Taro und Ziegenkäse. Dazu gibt es von Isabelle Legeron ausgewählte Weine. Val Kempadoo engagierte die renommierte Weinexpertin, die zuvor im Londoner Zwei-SterneRestaurant Hibiscus für die Verköstigung der Gäste mit erlesenen Tropfen verantworlich war. „Einem echten, naturbelassenen Wein darf nichts genommen oder hinzugefügt werden“, sagt sie. „Er wird nicht nur biologisch angebaut, sondern auch das Leben im Weinberg selbst mit seiner Mikrobiologie soll geschützt werden. Die Weine überzeugen mit einer breiten Palette an Aromen und spiegeln die Bedingungen von Klima und Bodenbeschaffenheit wider.“
Wir lassen die idyllische Ruhe des Nordens hinter uns. Im Süden von Basseterre ist die Frigate Bay mit ihren zahlreichen Bars und Restaurants ein beliebter Hotspot am Abend. Sobald die Sonne untergeht, wird am Strand Volleyball gespielt, und der Duft von gegrilltem Fisch und Fleisch vermischt sich mit der warmen Brise vom Meer. Donnerstagabends lohnt sich ein Abstecher in die Bar Mr. X’s Shiggidy Shack. Es gibt ein Lagerfeuer, Tänzer, Hummer und Cocktails, die ihrem Namen alle Ehre machen. Gleich um die Ecke der Hauptstraße entdecken Sie einen alten Verschlag mit der Aufschrift Bobsy’s Super Wings – das Angebot hier: Chicken Wings in zehn Varianten! Sechs Stück kosten weniger als sechs Euro.
Seit dem Ende der Zuckerproduktion unterliegt St. Kitts einem ständigen Wandel. Aber die ländlichen Werte sind immer noch vorhanden und die Menschen ausgesprochen großzügig. Während meiner Reise in den Norden hielt ich in Pump Bay. Fischer waren gerade mit ihrem Fang des Tages beschäftgt, und ich sah meinen Lieblingsfisch, den Bastard Fish. Leroy, einer der Fischer, winkte mich zu sich: „Ich habe gesehen, wie begeistert du auf diesen Fisch starrst. Hier, ich schenk dir einen.“Typisch …
Judy Bastyra und Gary Latham reisten mit freundlicher Unterstützung der Tourismusbehörde von St. Kitts. stkittstourism.kn