Die Perle der Wüste
Die Legenden um See- und Perlenhändler haben eine magische Anziehungskraft – genau wie die Gastro-Szene in Doha. Rosemary Barron geht auf Entdeckungstour und besucht elegante Plätze sowie ruhige Seitenstraßen in der Stadt der Kontraste
Manchmal sind es Kleinigkeiten, die einem die Welt erklären. Zuerst nehmen Besucher nur den Duft der berauschenden, scharfen Gewürze des Marktes wahr, sehen überall die prächtig bunten Stoffe und bestaunen die Schlangen vor Geschäften mit allerlei Süßigkeiten. Es ist ganz normal, dass Besucher anfangs noch etwas orientierungslos durch die engen Gassen des Souq Waqif in Doha irren. Doch nach wenigen Stunden erkennen sie das System: Die gestapelten Säcke in den Kräuter- und Gewürzläden sind gekennzeichnet mit Iran (Kamille), Sudan (getrocknete Zitronen), Mexiko (Kichererbsen) und Bolivien (Dicke Bohnen), die Stoffe tragen Stempel aus Indien. Souq Waqif bedeutet so viel wie „stehender Markt“– eine Bezeichnung, die verschiedene Interpretationen zulässt. Manche behaupten, dass der alte Markt leicht überflutet werden konnte und die Händler deshalb stehen mussten; andere sagen, der Markt stehe eben immer an einem Platz.
Katar liegt an der Ostküste der Arabischen Halbinsel direkt am Persischen Golf und grenzt im Süden an Saudi-Arabien. Der Zwergenstaat ist nur halb so groß wie Hessen, etwa zwei Millionen Menschen leben hier. Er wurde kurz von den Osmanen und später von den Briten regiert, bevor der Staat 1971 unabhängig wurde. Die islamische Bevölkerung hatte einst großen Einfluss auf die Astronomie und die frühen Formen der Navigation, weshalb der Seehandel im Golf und in Katar seit jeher Schiffe aus dem ganzen Osten anlockte. Bereits im 16. Jahrhundert sollen Händler aus dem bengalischen Raum in ihren Dhaus hier angelandet sein. Heute wird der Hafen der kleinen Stadt al-Chaur nördlich von Doha genutzt, um diese Segelschiffe zu reparieren, und auch der Großhandel mit Fisch boomt hier. So drängen viele Dhaus, vollgepackt mit großen Drahtkäfigen für Hummer und Krabben, in den Hafen.
„Die Dhaus sind nicht besonders leicht zu beherrschen, weil das Ruder sehr schwer ist“, erklärt mir ein Hummerfischer. „Wenn man sich nur den kleinsten Fehler erlaubt, landet das Boot auf einem Riff oder kippt im tiefen Wasser – das kann ein Dhau mit seinem flachen Rumpf nicht bewältigen.“Andere Bauarten haben dagegen einen Bug und geschwungenen Laderaum, wodurch sie auch im tiefen Wasser zum Fischen eingesetzt werden. Viele Fischer stammen aus Kerala. Ihren Fang – Thunfisch, Königsfisch, Zackenbarsch, Schnapper, Sardine und Makrele – verkaufen sie gleich am frühen Morgen an die Großhändler. Zu groß ist die Sorge, dass die gleißende Sonne ihre nächtliche Arbeit verderben könnte.
Solche leicht verderbliche Ware ist hier für einige Köche schwer zu bekommen. Aber Gewürze dürfen nie fehlen. „Noch bevor ich morgens mein Café öffne, habe ich schon meine Teige und Gewürzmischungen vorbereitet. Ich liebe es, den Leuten dasselbe Essen zu servieren, das schon meine Großmutter für mich gemacht hat“, sagt Shams Al Qassabi. Der fünffachen Mutter gehört das Café Shay Al Shoumos auf dem Souq Waqif. Zu ihrem Lieblingsfrühstück zählen Baid o Tomate (Eier und Tomate) und Baid Shakshoka (Rührei). Köstlich ist auch ihr Margooga (gekochtes Gemüse in einer würzigen Sauce) und der frisch aufgebrühte Tee. Im Geschäft nebenan kann jeder die selbst gemachten Kräuter- und Gewürzmischungen von Shams Al Qassabi kaufen. Sie schmecken hervorragend zu Fisch, Hühnchen oder auch in Suppen.
Aufgrund des Klimas nutzt die katarische Küche die örtlichen Gegebenheiten und das, was das Land hergibt, in vollen Zügen: Vor allem Hülsenfrüchte wie Dicke Bohnen und Linsen sind allgegenwärtig. Dazu gibt es fast immer frisches Fladenbrot, Mandeln, Gewürze, getrocknete Kräuter und Reis. Der Persische Golf sorgt dazu für eine großartige Fischauswahl, Fleischliebhaber setzen bevorzugt auf Lamm, Hähnchen und Ziege.
„Mein Großvater schwörte auch auf Kamelfleisch“, verrät mir eine Einheimische. „Aber das ist nichts für mich. Ich finde diese Tiere einfach zu schön, als dass ich sie essen könnte. Mein Opa hatte einen großen Lehmofen, in dem er ein ganzes Kamel oder Lamm für Feste zubereiten konnte.“Diese Festtagsbraten, die an die Vergangenheit der Beduinen erinnern, werden mit viel Reis, Nüssen und Gemüsebeilagen serviert. Normalerweise gehört in den arabischen Ländern Brot zu jeder Mahlzeit. In Katar bevorzugt man aber Reis. „Und wir trinken gern Tee, am liebsten zweimal am Tag. Er ist stark und wird mit Milch und Zucker getrunken“, erklärt die junge Frau. „Traditionell trinken wir ihn morgens und nach dem Mittagessen, weil das unsere größte Mahlzeit des Tages ist. Gegen 20 Uhr gibt es nur noch eine Kleinigkeit, wobei wir das auch oft vernachlässigen. Desserts spielen keine große Rolle, aber natürlich mögen wir Süßigkeiten.“
Das kann Bashir Aad, der libanesische Konditor im Kempinski-Hotel, nur bestätigen: „Süßes Gebäck und kleine Leckereien schätzen unsere Gäste besonders.“Dann zeigt er mir, wie er eine traditionelle Ashta zubereitet. Diese Füllung sorgt dafür, dass arabisches Gebäck so unfassbar zart auf der Zunge zerschmilzt. „Früher wurde dafür sehr fette Milch erst aufgekocht, dann wurden die festen, cremigen Bestandteile abgeschöpft und mit Rosen- oder Orangenblütenwasser aromatisiert. Heute geht es einfacher: Die Milch wird mit Maisstärke angedickt, wobei ich keinen Zucker hinzugebe.“Der Pâtissier nutzt Ashta, um Katayef und andere süße Köstlichkeiten zu füllen, serviert die Creme mit Layali Lubnan (Grießpudding) und frischen Früchten oder verfeinert sie mit Rosenwasser, Sirup und Pistazien.
Das Kempinski liegt im Herzen von The Pearl, einer künstlichen Insel im Norden von Doha. Da in dem Staat oftmals starke Nord-Süd-Winde herrschen, versucht man, die Häuser durch clevere Bautechniken abzusichern: Die verwinkelten Gassen etwa boten früher Schutz vor Sandstürmen, heute sorgen Windkanäle unter den Hochhäusern für die nötige Sicherheit.
Dieser Ehrgeiz und die Ambitionen der jungen Menschen in Katar ist auch in den Küchen der Restaurants deutlich spürbar: „Mit 17 Jahren habe ich angefangen mich für Lebensmittel zu interessieren“, erzählt Krishnalal Beeharee, der fußballverrückte Koch des Hotels The Torch. Er kam von Mauritius nach Doha. „Ich liebe die Aromen hier, die Kräuter, Gewürze und auch die Meeresfrüchte sind anders als bei mir zu Hause.“
Liu Xiaomeng stammt aus Nordchina und kocht jetzt, nach Stationen in Australien und auf Macau, im Hotel W Doha. „Wenn ich an einem neuen Ort bin, gehe ich als Erstes in die Cafés und versuche, so viel wie möglich zu erkunden“, sagt der Küchenchef, der schon mit zwölf Jahren seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckte. Ertan Afacan kommt ursprünglich aus der Türkei und ist Chefkoch im The Village auf dem Souq Waqif: „Ich mag die Menschen in Katar, die sich für das Kochen begeistern und die vielfältigen Aromen des Landes auf ihre eigene Art interpretieren.“
Wie viele der Köche, mit denen ich in Doha gesprochen habe, lässt sich auch Zahira Bouazi von der Küche ihrer Heimat Marokko inspirieren. Dazu ist sie eine Meisterin der französischen Haute Cuisine, die sie ihren Gästen im Restaurant Argan serviert. „Wenn du mit Liebe kochst, dann liebst du alles, was du kochst“, sagt sie mit leuchtenden Augen. Auf die Frage nach ihrem Lieblingsessen hat sie deshalb auch keine eindeutige Antwort: „Ich gebe bei jedem Gericht alles“, sagt sie. „Ja, es ist ein harter Job, aber ich liebe ihn und würde keinen anderen wollen. Aber wem diese Leidenschaft, diese Liebe fehlt, der wird ihn nicht langfristig ausüben können.“
Vor dem Restaurant füllen sich die Straßen zum abendlichen Shopping. Frauen tragen die traditionellen, schwarzen Gewänder (Abaya), die Männer bodenlange, weiße Roben. In kleinen Geschäften gibt es Parfums in feinen Kristallflaschen, schmuckvolle Anhänger, Shishas und Gebetsketten (Misbaha oder Subha). In den Gewürzshops stapeln sich Säcke, prallgefüllt mit Mandeln, Pistazien und Erdnüssen. Etwas kleinere Beutel sind mit Salbei, Thymian, Rosenknospen, Hibiskus und Berberitzen für Tee gefüllt. Und in großen Krügen wird Kurkuma, Kreuzkümmel, Koriander und Chili aufbewahrt. Männer bugsieren Schubkarren mit Nachschub für die Geschäfte durch die Menschenmassen und in den unzähligen kleinen Cafés versammeln sich Locals und Touristen gleichermaßen, um den für Katar typischen Kaffee zu trinken. Der ist übrigens recht hell und wird mit Safran und Kardamom genossen.
Von hier ist es nur ein kurzer Spaziergang zum Museum für Islamische Kunst, dessen Architektur allein schon beeindruckend und definitiv einen Besuch wert ist. Draußen in der Bucht glitzern derweil die Dhaus, auf der Hafenmauer sitzen drei Männer und fischen. Im Schatten der hell beleuchteten Wolkenkratzer warten sie auf einen hoffentlich lohnenden Fang.
Rosemary Barron und Mark Parren Taylor reisten mit freundlicher Unterstützung der Qatar Tourism Authority. qatartourism.gov.qa