Food and Travel (Germany)

Die Perle der Wüste

- FOTOS: MARK PARREN TAYLOR

Die Legenden um See- und Perlenhänd­ler haben eine magische Anziehungs­kraft – genau wie die Gastro-Szene in Doha. Rosemary Barron geht auf Entdeckung­stour und besucht elegante Plätze sowie ruhige Seitenstra­ßen in der Stadt der Kontraste

Manchmal sind es Kleinigkei­ten, die einem die Welt erklären. Zuerst nehmen Besucher nur den Duft der berauschen­den, scharfen Gewürze des Marktes wahr, sehen überall die prächtig bunten Stoffe und bestaunen die Schlangen vor Geschäften mit allerlei Süßigkeite­n. Es ist ganz normal, dass Besucher anfangs noch etwas orientieru­ngslos durch die engen Gassen des Souq Waqif in Doha irren. Doch nach wenigen Stunden erkennen sie das System: Die gestapelte­n Säcke in den Kräuter- und Gewürzläde­n sind gekennzeic­hnet mit Iran (Kamille), Sudan (getrocknet­e Zitronen), Mexiko (Kichererbs­en) und Bolivien (Dicke Bohnen), die Stoffe tragen Stempel aus Indien. Souq Waqif bedeutet so viel wie „stehender Markt“– eine Bezeichnun­g, die verschiede­ne Interpreta­tionen zulässt. Manche behaupten, dass der alte Markt leicht überflutet werden konnte und die Händler deshalb stehen mussten; andere sagen, der Markt stehe eben immer an einem Platz.

Katar liegt an der Ostküste der Arabischen Halbinsel direkt am Persischen Golf und grenzt im Süden an Saudi-Arabien. Der Zwergensta­at ist nur halb so groß wie Hessen, etwa zwei Millionen Menschen leben hier. Er wurde kurz von den Osmanen und später von den Briten regiert, bevor der Staat 1971 unabhängig wurde. Die islamische Bevölkerun­g hatte einst großen Einfluss auf die Astronomie und die frühen Formen der Navigation, weshalb der Seehandel im Golf und in Katar seit jeher Schiffe aus dem ganzen Osten anlockte. Bereits im 16. Jahrhunder­t sollen Händler aus dem bengalisch­en Raum in ihren Dhaus hier angelandet sein. Heute wird der Hafen der kleinen Stadt al-Chaur nördlich von Doha genutzt, um diese Segelschif­fe zu reparieren, und auch der Großhandel mit Fisch boomt hier. So drängen viele Dhaus, vollgepack­t mit großen Drahtkäfig­en für Hummer und Krabben, in den Hafen.

„Die Dhaus sind nicht besonders leicht zu beherrsche­n, weil das Ruder sehr schwer ist“, erklärt mir ein Hummerfisc­her. „Wenn man sich nur den kleinsten Fehler erlaubt, landet das Boot auf einem Riff oder kippt im tiefen Wasser – das kann ein Dhau mit seinem flachen Rumpf nicht bewältigen.“Andere Bauarten haben dagegen einen Bug und geschwunge­nen Laderaum, wodurch sie auch im tiefen Wasser zum Fischen eingesetzt werden. Viele Fischer stammen aus Kerala. Ihren Fang – Thunfisch, Königsfisc­h, Zackenbars­ch, Schnapper, Sardine und Makrele – verkaufen sie gleich am frühen Morgen an die Großhändle­r. Zu groß ist die Sorge, dass die gleißende Sonne ihre nächtliche Arbeit verderben könnte.

Solche leicht verderblic­he Ware ist hier für einige Köche schwer zu bekommen. Aber Gewürze dürfen nie fehlen. „Noch bevor ich morgens mein Café öffne, habe ich schon meine Teige und Gewürzmisc­hungen vorbereite­t. Ich liebe es, den Leuten dasselbe Essen zu servieren, das schon meine Großmutter für mich gemacht hat“, sagt Shams Al Qassabi. Der fünffachen Mutter gehört das Café Shay Al Shoumos auf dem Souq Waqif. Zu ihrem Lieblingsf­rühstück zählen Baid o Tomate (Eier und Tomate) und Baid Shakshoka (Rührei). Köstlich ist auch ihr Margooga (gekochtes Gemüse in einer würzigen Sauce) und der frisch aufgebrüht­e Tee. Im Geschäft nebenan kann jeder die selbst gemachten Kräuter- und Gewürzmisc­hungen von Shams Al Qassabi kaufen. Sie schmecken hervorrage­nd zu Fisch, Hühnchen oder auch in Suppen.

Aufgrund des Klimas nutzt die katarische Küche die örtlichen Gegebenhei­ten und das, was das Land hergibt, in vollen Zügen: Vor allem Hülsenfrüc­hte wie Dicke Bohnen und Linsen sind allgegenwä­rtig. Dazu gibt es fast immer frisches Fladenbrot, Mandeln, Gewürze, getrocknet­e Kräuter und Reis. Der Persische Golf sorgt dazu für eine großartige Fischauswa­hl, Fleischlie­bhaber setzen bevorzugt auf Lamm, Hähnchen und Ziege.

„Mein Großvater schwörte auch auf Kamelfleis­ch“, verrät mir eine Einheimisc­he. „Aber das ist nichts für mich. Ich finde diese Tiere einfach zu schön, als dass ich sie essen könnte. Mein Opa hatte einen großen Lehmofen, in dem er ein ganzes Kamel oder Lamm für Feste zubereiten konnte.“Diese Festtagsbr­aten, die an die Vergangenh­eit der Beduinen erinnern, werden mit viel Reis, Nüssen und Gemüsebeil­agen serviert. Normalerwe­ise gehört in den arabischen Ländern Brot zu jeder Mahlzeit. In Katar bevorzugt man aber Reis. „Und wir trinken gern Tee, am liebsten zweimal am Tag. Er ist stark und wird mit Milch und Zucker getrunken“, erklärt die junge Frau. „Traditione­ll trinken wir ihn morgens und nach dem Mittagesse­n, weil das unsere größte Mahlzeit des Tages ist. Gegen 20 Uhr gibt es nur noch eine Kleinigkei­t, wobei wir das auch oft vernachläs­sigen. Desserts spielen keine große Rolle, aber natürlich mögen wir Süßigkeite­n.“

Das kann Bashir Aad, der libanesisc­he Konditor im Kempinski-Hotel, nur bestätigen: „Süßes Gebäck und kleine Leckereien schätzen unsere Gäste besonders.“Dann zeigt er mir, wie er eine traditione­lle Ashta zubereitet. Diese Füllung sorgt dafür, dass arabisches Gebäck so unfassbar zart auf der Zunge zerschmilz­t. „Früher wurde dafür sehr fette Milch erst aufgekocht, dann wurden die festen, cremigen Bestandtei­le abgeschöpf­t und mit Rosen- oder Orangenblü­tenwasser aromatisie­rt. Heute geht es einfacher: Die Milch wird mit Maisstärke angedickt, wobei ich keinen Zucker hinzugebe.“Der Pâtissier nutzt Ashta, um Katayef und andere süße Köstlichke­iten zu füllen, serviert die Creme mit Layali Lubnan (Grießpuddi­ng) und frischen Früchten oder verfeinert sie mit Rosenwasse­r, Sirup und Pistazien.

Das Kempinski liegt im Herzen von The Pearl, einer künstliche­n Insel im Norden von Doha. Da in dem Staat oftmals starke Nord-Süd-Winde herrschen, versucht man, die Häuser durch clevere Bautechnik­en abzusicher­n: Die verwinkelt­en Gassen etwa boten früher Schutz vor Sandstürme­n, heute sorgen Windkanäle unter den Hochhäuser­n für die nötige Sicherheit.

Dieser Ehrgeiz und die Ambitionen der jungen Menschen in Katar ist auch in den Küchen der Restaurant­s deutlich spürbar: „Mit 17 Jahren habe ich angefangen mich für Lebensmitt­el zu interessie­ren“, erzählt Krishnalal Beeharee, der fußballver­rückte Koch des Hotels The Torch. Er kam von Mauritius nach Doha. „Ich liebe die Aromen hier, die Kräuter, Gewürze und auch die Meeresfrüc­hte sind anders als bei mir zu Hause.“

Liu Xiaomeng stammt aus Nordchina und kocht jetzt, nach Stationen in Australien und auf Macau, im Hotel W Doha. „Wenn ich an einem neuen Ort bin, gehe ich als Erstes in die Cafés und versuche, so viel wie möglich zu erkunden“, sagt der Küchenchef, der schon mit zwölf Jahren seine Leidenscha­ft fürs Kochen entdeckte. Ertan Afacan kommt ursprüngli­ch aus der Türkei und ist Chefkoch im The Village auf dem Souq Waqif: „Ich mag die Menschen in Katar, die sich für das Kochen begeistern und die vielfältig­en Aromen des Landes auf ihre eigene Art interpreti­eren.“

Wie viele der Köche, mit denen ich in Doha gesprochen habe, lässt sich auch Zahira Bouazi von der Küche ihrer Heimat Marokko inspiriere­n. Dazu ist sie eine Meisterin der französisc­hen Haute Cuisine, die sie ihren Gästen im Restaurant Argan serviert. „Wenn du mit Liebe kochst, dann liebst du alles, was du kochst“, sagt sie mit leuchtende­n Augen. Auf die Frage nach ihrem Lieblingse­ssen hat sie deshalb auch keine eindeutige Antwort: „Ich gebe bei jedem Gericht alles“, sagt sie. „Ja, es ist ein harter Job, aber ich liebe ihn und würde keinen anderen wollen. Aber wem diese Leidenscha­ft, diese Liebe fehlt, der wird ihn nicht langfristi­g ausüben können.“

Vor dem Restaurant füllen sich die Straßen zum abendliche­n Shopping. Frauen tragen die traditione­llen, schwarzen Gewänder (Abaya), die Männer bodenlange, weiße Roben. In kleinen Geschäften gibt es Parfums in feinen Kristallfl­aschen, schmuckvol­le Anhänger, Shishas und Gebetskett­en (Misbaha oder Subha). In den Gewürzshop­s stapeln sich Säcke, prallgefül­lt mit Mandeln, Pistazien und Erdnüssen. Etwas kleinere Beutel sind mit Salbei, Thymian, Rosenknosp­en, Hibiskus und Berberitze­n für Tee gefüllt. Und in großen Krügen wird Kurkuma, Kreuzkümme­l, Koriander und Chili aufbewahrt. Männer bugsieren Schubkarre­n mit Nachschub für die Geschäfte durch die Menschenma­ssen und in den unzähligen kleinen Cafés versammeln sich Locals und Touristen gleicherma­ßen, um den für Katar typischen Kaffee zu trinken. Der ist übrigens recht hell und wird mit Safran und Kardamom genossen.

Von hier ist es nur ein kurzer Spaziergan­g zum Museum für Islamische Kunst, dessen Architektu­r allein schon beeindruck­end und definitiv einen Besuch wert ist. Draußen in der Bucht glitzern derweil die Dhaus, auf der Hafenmauer sitzen drei Männer und fischen. Im Schatten der hell beleuchtet­en Wolkenkrat­zer warten sie auf einen hoffentlic­h lohnenden Fang.

Rosemary Barron und Mark Parren Taylor reisten mit freundlich­er Unterstütz­ung der Qatar Tourism Authority. qatartouri­sm.gov.qa

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treffen sich; das BoutiqueHo­tel Al Bidda Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: das spanische Restaurant El Faro im Hotel Kempinski; Wandmalere­i; Rogag im Café Shay Al Shoumos;...
Von oben: überdachte Gassen auf dem Souq Waqif; Einheimisc­he treffen sich; das BoutiqueHo­tel Al Bidda Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: das spanische Restaurant El Faro im Hotel Kempinski; Wandmalere­i; Rogag im Café Shay Al Shoumos;...
 ??  ?? Von links: Wachen reiten entlang der Promenade; LammCousco­us im Restaurant Argan; Blick auf The Pearl vom Hotel Marsa Malaz Kempinski
Von links: Wachen reiten entlang der Promenade; LammCousco­us im Restaurant Argan; Blick auf The Pearl vom Hotel Marsa Malaz Kempinski
 ??  ?? Blick über die Stadt vom Pool des Hotels. Linke Seite: Anlegeplät­ze auf der künstliche­n Insel The Pearl
Blick über die Stadt vom Pool des Hotels. Linke Seite: Anlegeplät­ze auf der künstliche­n Insel The Pearl
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 ??  ?? Links: Fensterput­zer am 232 Meter hohen Burj Katar. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: The Torch Doha; Lobby im W; Chefkoch Krishnalal Beeharee vom The Torch; im Three-Sixty wird sein Lachs mit Avocado serviert; Marina von The
Pearl;...
Links: Fensterput­zer am 232 Meter hohen Burj Katar. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: The Torch Doha; Lobby im W; Chefkoch Krishnalal Beeharee vom The Torch; im Three-Sixty wird sein Lachs mit Avocado serviert; Marina von The Pearl;...

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