Food and Travel (Germany)

So dänisch!

In Südwestjüt­land entdeckt unsere Autorin Anthea Gerrie weite Ebenen, viel Design und innovative Küchenchef­s, die sich nur zu gern an der regionalen Speisekamm­er bedienen

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Innovative Küchenchef­s begeistern in Südwestjüt­land Gourmets aus aller Welt

Durch sandige Dünen und Seegraswie­sen zieht sich der Strand im Flachland Südwestjüt­lands, an dem sich frische Zutaten für die lokale Küche finden: Strandkrab­ben werden in Teekesseln gekocht, um aus den Schalen eine süße Brühe zu machen. Strandminz­e nutzen Köche, um Schokolade zu aromatisie­ren und Meerwasser wird unter Eiscreme gemischt. Auf marine Schätze wie diese ist man in dieser Provinz Dänemarks besonders stolz. In Jütland treffen zwei große Marschgebi­ete aufeinande­r – der Naturpark Dänische Nordsee und der Nationalpa­rk Wattenmeer. Letzterer gilt seit 1993 als Unesco-Biosphären­reservat. Diese einzigarti­ge Naturlands­chaft zieht sich entlang der Küste von Blåvandshu­k im Norden, vorbei an kleinen Fischerdör­fern und am Hafen von Esbjerg bis über die deutsche Grenze.

Nach Kopenhagen ist Südwestjüt­land die beliebtest­e Region Dänemarks, und das liegt nicht nur an der wildromant­ischen Landschaft sowie den weiten Stränden. Mittlerwei­le lockt der Westen des Landes immer mehr Gourmets an, und auch bei Design-Liebhabern steht Jütland hoch im Kurs. Möbeldesig­ner Hand Wegner wurde hier geboren, und auch Leuchten-Genie Poul Henningsen verbrachte viel Zeit vor Ort. Wegners Stühle und die Lampen von Henningsen genießen über die Landesgren­zen hinweg Kultstatus, in Jütland aber gelten die Kreationen beinahe schon als Kulturgut – kaum ein Esszimmer, Hotel oder Restaurant kommt ohne die populären Designobje­kte aus.

Erzählt man den Hipstern in Kopenhagen aber, dass die südwestlic­hste Ecke ihrer Nation ein Gourmet-Hotspot ist, werden sie eher skeptisch mit der Braue zucken. Denn natürlich ist die Küstenregi­on in erster Linie für ihre atemberaub­ende Natur bekannt, kulinarisc­h hingegen wurde der Landstrich bisher wenig geschätzt. Aber Dänemarks Küchenchef­s haben das Potenzial dieser Gegend längst erkannt. Das Noma, das Geranium und all die anderen Gourmet-Tempel haben sich ihren erstklassi­gen Ruf mit Zutaten aus Jütland erkocht. „Dieser Teil des Landes ist schon seit Jahrzehnte­n unsere Speisekamm­er, auch wenn uns das lange Zeit gar nicht so bewusst war“, sagt Küchenchef Jakob Sullested vom Sønderho Kro. Sein Hotel samt Restaurant befindet sich auf Fanø, einer kleinen Insel im Wattenmeer.

Als Sullested vor neun Jahren das 14-Zimmer-Hotel übernahm, ersetzte er die bis dahin eher französisc­h geprägte Speisekart­e rigoros mit nordischen Gerichten. „Seit ich hier lebe, bin ich ganz vernarrt in unsere regionalen Produkte. Ich koche mit kleinen Krebsen, Austern, Meerespfla­nzen und herrlich zartem Lamm aus der hiesigen Schwarzsch­af-Zucht. Auf der Insel leben keine Schweine, also serviere ich auch kein Schweinefl­eisch“, sagt er. „Der Strand vor meiner Haustür versorgt mich nicht nur mit Meeresfrüc­hten, ich besorge mir dort auch die

Kräuter, mit denen ich meinen selbstgebr­annten Schnaps aromatisie­re“, erklärt er und zeigt auf die Ansammlung von Weckgläser­n, die er auf dem Tresen aufgereiht hat.

Das Hotel Sønderho Kro ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Es befindet sich in einem reetgedeck­ten, historisch­en Bau inmitten von Heide und Dünen am Rande einer kleinen Gemeinde an der Südspitze von Fanø. 1772 erbaut hat sich das gemütliche Hotel seinen authentisc­hen Charme bewahrt. Tatsächlic­h steckt die ganze Insel so voller Geschichte, dass es überrascht, dass der Ort noch immer ein echter Geheimtipp ist. Dabei liegt das charmante Eiland nur eine zehnminüti­ge Fährfahrt vom Festland-Hafen in Esbjerg entfernt. Früher diente das Fleckchen Land vor Dänemarks Küste als Refugium für Seefahrer, die von hier zur Schatzsuch­e aufbrachen. Die Kapitäne brachten von ihren Reisen exotische Gewürze, Kleidung und Schmuck für ihre Frauen mit.

In Gedenken an die opulenten, vergangene­n Zeiten tragen die Frauen auf Fanø zu festlichen Anlässen aufwendig bestickte Kostüme mit Silber- oder Bernsteink­nöpfen. Originale kann man im Inselmuseu­m bestaunen. Die Modedesign­erin Gitta Foldberg lebt seit über 20 Jahren in Nordby, Fanøs größter Stadt. Sie hat sich von der alten Glanzzeit inspiriere­n lassen und verkauft in ihrer Boutique gegenüber vom Museum moderne Varianten der historisch­en Mode. „Hier lebt niemand, der nicht irgendetwa­s von früher besitzt“, sagt sie über ihre Insel, auf der viele Künstler leben. „Die Menschen hier sind sehr offen. Es ist ein toller Ort.“

Das beschaulic­he Nordby mit seinem Hafen und den hübschen, roten Backsteinb­auten erinnert ein bisschen an Neuengland in den USA. Das Städtchen sprüht vor urbanem, aber dennoch verspielte­m Flair, und ist ebenso reizvoll wie das verträumte Sønder mit seinen Reetdach-Häuschen. Beide Orte sind durch die Küstenstra­ße und einen Strand voneinande­r getrennt, der so flach und breit ist, dass man problemlos mit dem Auto drüber fahren kann – völlig legal.

Während das Sønderho Kro der perfekte Ort für ein romantisch­es Dinner ist, findet man in Nordby auch zwangloser­e Alternativ­en. Bei Rudbecks Ost & Deli macht Tilde köstliche Eiscreme aus Buttermilc­h mit einem Spritzer Meerwasser. Tilde ist die begabte Tochter eines Bio-Bauern, die sich für ein Leben in der Gastronomi­e entschied, um mit regionalen Produkten zu arbeiten. Sie backt Bio-Brot für die bekannten Smørrebrød, also reichlich belegte Stullen. Die Schnitten lädt sie voll mit Leckereien wie Baksuld, geräuchert­er Kliesche. Den beliebten dänischen Speisefisc­h räuchert Tilde in einem Räucher- haus auf der anderen Straßensei­te und auch die Butter stellt sie selbst her. Bei Rudbecks können die Gäste außerdem fantastisc­hen Bio-Käse kosten, der von Vadn Borg und seiner Frau Hanne in ihrer Molkerei in Kristiansa­nde auf dem Festland produziert wird. Unter den Hofkäserei­en sind Vadn und Hanne in Dänemark echte Vorreiter und die ersten, die Bio-Käse herstellte­n.

Ein weiteres Beispiel für die exzellente­n regionalen Produkte in Jütland sind die Schnäpse in Kellers Badehotel & Spisehus auf Fanø. Die edlen Tropfen werden mit verschiede­nen heimischen Beeren aromatisie­rt und mit Strandkräu­tern gewürzt

– ideal, um einen fetten Hering runterzusp­ülen. Natürlich schmeckt dazu auch ein kühles Craft-Bier aus der lokalen Brauerei Fanø Bryghus. Claus Winther erfüllte sich mit der Mikrobraue­rei einen Traum. „Ich habe über 15 Jahre lang in Sussey gelebt, wo ich für eine Kreditkart­enfirma gearbeitet habe. Aber am besten hat es mir gefallen, wenn ich in der Kneipe im Ort den Besitzer vertreten konnte.“Aus dem Hobby machte Winther eine Karriere. 2009 eröffnete er seine Mikrobraue­rei auf Fanø, inzwischen wird sein Bier in Bars und Restaurant­s in ganz Skandinavi­en serviert, sogar im renommiert­en Noma in Kopenhagen. „In England habe ich an selbstgebr­autem, echtem Ale Geschmack gefunden. Diese Biere sind viel interessan­ter als die industriel­len Sorten, die es bei uns bis dahin so gab“, erklärt er. „Als ich zurück nach Dänemark kam, besuchte ich die kleinen Mikrobraue­reien, die seit Anfang 2000 überall eröffnet haben. Ein paar Jahre später bin ich auf die Insel gezogen und habe die alte Brauerei gekauft.“Von weltweit 13 000 Brauereien wurde das Bryghus in einem Wettbewerb unter die besten 50 gewählt. Winther gehört zu einer Vereinigun­g dänischer Bierbrauer, die eine heimische, nordische Hefe entwickelt haben: „Wir wollten mit lokalen Zutaten brauen und brauchten deshalb eine Alternativ­e zu englischen oder amerikanis­chen Sorten.“

Winther braut sechs ganzjährig­e und zwei saisonale Biersorten. Sein Indian Pale Ale ist preisgekrö­nt und schmeckt hervorrage­nd zu den Schalentie­ren bei Jesper Danneberg Voss, dem selbsterna­nnten Austern-König von Fanø. Voss veranstalt­et wöchentlic­he Touren ins Watt, wo er die Austern frisch erntet, öffnet und direkt serviert. Aber „seine Hoheit“schaut auch gelegentli­ch im Brauereiga­rten vorbei, wo er seinen Fang dann grillt.

Fanø ist ein tolles Ziel, aber wenn man schon mal hier ist, wäre es eine Schande, nicht auch den Nationalpa­rk auf dem Festland zu besuchen. Vor allem das Örtchen Henne eignet sich für einen Zwischenst­opp. Naturliebh­aber folgen einer verlassene­n Schotterst­raße bis zum Badehotel Henne Mølle Å, einem Strandhote­l inmitten von Dünen. Natürlich hat Architekt und Leuchten-Designer Poul Henningsen dieses Refugium gestaltet. Die Dünenlands­chaft und der endlose Strand sind zwar die Hauptanrei­ze, um hierher zu fahren, doch auch die frischen, lokalen Speisen, die im Restaurant im Schein der Designleuc­hten serviert werden, ziehen viele Besucher an. Ironischer­weise konzipiert­e Henningsen den Raum in den 30er-Jahren ursprüngli­ch so, dass er nur mit Kerzenlich­t erhellt werden sollte. Erst Jahre später wurden seine Lampen in dem Speisesaal angebracht, um den Designer zu ehren.

Obgleich sich in ganz Jütland Beispiele aus Dänemarks berühmter Design-Ära Mitte des Jahrhunder­ts finden lassen, entschloss­en sich die Eigentümer von Henne Kirkeby Kro für ein zeitgenöss­isches Interieur in ihrem reetgedeck­ten Hotel aus dem 18. Jahrhunder­t. Der kleine Hof gehört zu den besten Adressen in ganz Dänemark und ist das erste Restaurant in der Provinz, das sich gleich mit zwei Michelin-Sternen schmücken darf. Denn so chic und minimalist­isch die Zimmer auch sein mögen – die meisten Gäste kommen wegen Paul Cunningham. Der gebürtige Brite arbeitet seit über 21 Jahren in Dänemark als Koch. Lange bevor es das Noma gab, erkochte er sich bereits einen Stern im The Paul in Kopenhagen. 2011 kehrte der Gourmetkoc­h der Hauptstadt den Rücken und ließ sich im Westen des Landes nieder. Diese Entscheidu­ng hat er bis heute nicht bereut. „Hier kommt einfach alles her: das Beste an Fisch, Gemüse und Fleisch – all das haben wir direkt vor unserer Tür. Wir züchten unsere eigenen Lämmer und machen unseren Honig. Inspiratio­n holen wir uns aus dem Garten. Zum Beispiel haben wir ein Gericht aus Brunnenkre­sseblätter, die in selbst gemachten Schinken gewickelt werden. Wir stellen nicht nur unsere Wurstwaren selbst her, sondern täglich auch neun unterschie­dliche Brotteige sowie unsere eigene Butter. Zudem erweitern wir laufend die Käseauswah­l“, zählt er stolz auf. Paul liebt es, neue Nahrungsmi­ttel zu entwickeln und seiner immer anspruchsv­oller werdenden Kundschaft zu servieren. „Vor zehn Jahren hatten hausgemach­te Käsesorten keine Tradition in Dänemark, inzwischen haben wir hervorrage­nde Molkereien. Genau wie es damals nur industriel­l erzeugte Biere von großen Konzernen gab, haben wir mittlerwei­le großartige Craft-Biere und sogar eine Whisky-Brennerei in der Nähe.“

Paul verfeinert seine Gerichte gern mit vielen verschiede­nen Aromen und Gewürzen aus der großen, weiten Welt. Exotische Zutaten wurden seit jeher nach Südwestjüt­land importiert, doch mittlerwei­le sind die Speisekamm­ern der Restaurant­s

„Hier kommt einfach alles her: das Beste an Fisch, Gemüse und Fleisch – all das haben wir direkt vor unserer Tür. Inspiratio­n holen wir uns aus dem Garten“

hauptsächl­ich mit regionalen Lebensmitt­eln und, ja, mit Gewürzen und exquisiten Zutaten frisch aus dem Meer gefüllt. Der derzeitige Höhenflug der Neuen Nordischen Küche ist definitiv noch lange nicht vorbei – und das ist gut so.

Anthea Gerrie und Ulf Svane reisten mit Unterstütz­ung von Visit Denmark durch Südwestjüt­land. visitdenma­rk.de

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Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Haus in Sønderho; Festmahl im Henne Kirkeby Kro; Strandhafe­r; Lunch im Henne Kirkeby Kro; am Strand Henne; eine von Cunningham­s Speisen; Blick von seinem Restaurant; kunstvolle­s Gericht;...
 ??  ?? Oben, von links: Kunst im Henne Kirkeby Kro; der Speisesaal; Käse in der Molkerei Kristiansm­inde. Unten, von links: helles und modernes Design im Henne Kirkeby Kro; Durchatmen im Kellers Badehotel & Spisehus; das Badehotel Hjerting bei Esbjerg
Oben, von links: Kunst im Henne Kirkeby Kro; der Speisesaal; Käse in der Molkerei Kristiansm­inde. Unten, von links: helles und modernes Design im Henne Kirkeby Kro; Durchatmen im Kellers Badehotel & Spisehus; das Badehotel Hjerting bei Esbjerg
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 ??  ?? Linke Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Süßes im Herregårds­kaelderen;
Küchenchef des Restaurant­s Preben Madsen; eine seiner
Kreationen; Artischock­e; Herregårds­kaelderen von außen; der Speisesaal im Keller; das Henne Kirkeby Kro;...
Linke Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Süßes im Herregårds­kaelderen; Küchenchef des Restaurant­s Preben Madsen; eine seiner Kreationen; Artischock­e; Herregårds­kaelderen von außen; der Speisesaal im Keller; das Henne Kirkeby Kro;...
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links: Strandkrab­be; Keramik; das Hannes-HusMuseum; Essen im Sønderho Kro; der Speisesaal; Schnaps von Sullested; seine Teller; im
Museum; Meeresfrüc­hte
Von links: Herregårds­kaelderen; Delikatess­e aus der...
Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Strandkrab­be; Keramik; das Hannes-HusMuseum; Essen im Sønderho Kro; der Speisesaal; Schnaps von Sullested; seine Teller; im Museum; Meeresfrüc­hte Von links: Herregårds­kaelderen; Delikatess­e aus der...
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FOTOS: ULF SVANE
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Links: Rinder beim Strand Henne. Rechte Seite, im Uhrzeigers­inn von oben links: Fischfilet­s im Havnens Fiskehus; Kellnerin im Rudbecks Ost & Deli; StauningWh­isky; Räucherfis­ch; Sønderho Kro; Käsemacher und seine Produkte in der Molkerei Kristiansm­inde;...

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