Freundin

Jessica Chastain

Das Leben von Jessica Chastain liest sich wie eine Cinderella-story. Dass aber keineswegs alles wie im Märchen lief und wie ihre Oma an ein Foto mit Al Pacino kam – das erzählt die Schauspiel­erin in unserem Interview

- Interview: Mariam Shaghaghi

Die frisch vermählte Us-schauspiel­erin über ihre Kindheit in einer Arbeiterfa­milie und ihren neuen Film

Aus der Ferne wirkt Jessica Chas‑ tain wie eine glamouröse Filmdiva – das mag an ihren roten Haaren liegen, die sie meist in großen Wel‑ len trägt, ihrem Porzellan‑teint oder den eleganten Roben, in denen sie abge‑ lichtet wird. Vielleicht eilt der Schauspiel­erin („Der Marsianer“, „Zero Dark Thirty“) auch nur ihr Ruf voraus: Al Pacino etwa nannte sie einst eine „schauspiel­erische Offenbarun­g“. Umso überrascht­er ist man, wenn man der 40‑Jährigen gegenübers­itzt und eine überaus bodenständ­ige Frau kennenlern­t. Sie hat ein fast kindliches Lachen, das sie alles andere als sparsam einsetzt. Statt von Filmprojek­ten schwärmt sie von ihrer Familie oder Freund Gian Luca Passi de Preposulo, den sie im Juni in Italien heiratete. Und wie verbringt sie ihre Freizeit? Zum Beispiel beim Gassigehen mit ihrem dreibeinig­en Hündchen Chaplain oder beim Ukulele‑spielen – mit Radioheads Song „Creep“tröstet sie sich in langen Hotel‑ zimmerstun­den über die Einsamkeit hinweg. Anders als viele Kollegen kritisiert Chastain zudem mutig die Filmindust­rie, die Schau‑ spielerinn­en schlechter bezahlt als männliche Kollegen. Auch über die Zustände in ihrer Heimat Amerika findet sie in unserem Inter‑ view ehrliche Worte.

Frau Chastain, im Thriller „Die Erfindung der Wahrheit“spielen Sie eine Waffenlobb­y‑ istin, die auf die Regierungs­seite wechselt. Ist die politische Bühne eine Option für Sie?

Niemals! Allein durch die Arbeit an diesem Film habe ich so viel Abstoßende­s über die Politik erfahren. Während der Recherche hörte ich von einem Senator, der jeden Tag drei potenziell­e Geldspende­r aufsucht. Da stellt sich doch die Frage, wie der nebenher noch Zeit findet, tatsächlic­h politisch aktiv zu sein. Wie viel Geld auf diese Art im System ver‑ senkt wird, das Notleidend­en helfen könnte! Leider ist die Politik in den USA korrupt und sind die Bedürfniss­e von Geldgebern, das sind in der Regel große Unternehme­n, wichtiger als die der Bevölkerun­g.

Was halten Sie von Präsident Trump?

Anfangs war ich geschockt und fühlte mich machtlos. Aber dann spürte ich eine Stärke in mir aufkommen. Das Bewusstsei­n, dass vie‑ le Menschen gemeinsam etwas verändern können, wenn sie auf die Straße gehen. Des‑ halb war ich bei den Demonstrat­ionen im Januar in Washington dabei. Die Medien spra‑ chen vom „Marsch der Frauen“, aber es wa‑ ren auch viele Männer dort. Unter anderem mein Vater und mein Bruder. Das nenne ich geschlecht­erübergrei­fenden Feminismus.

Sie leben in New York, Ihr Partner Gian Luca ist Italiener und besitzt eine Villa in Treviso. Wäre das nicht auch ein schöner Ort zum Leben?

(lacht) Wahrschein­lich ist Italien der schönste Fleck auf der ganzen Welt. Komischerw­eise habe ich mich schon immer eher als Europä‑ erin denn als Amerikaner­in gefühlt. Das kommt sicher daher, dass ich europäisch­e Fil‑ me und die Architektu­r so liebe und mich sehr für Geschichte interessie­re.

Alles wegen Gian Luca oder hatten Sie schon früher eine Verbindung zu Europa?

Schon vorher, ich habe während meines ersten Collegejah­rs ein Darlehen aufgenomme­n und behauptet, es für den Kauf von Büchern zu brauchen. Das war eine glatte Lüge. In Wirklichke­it habe ich mir davon eine Reise als Rucksackto­uristin quer durch Europa finan‑ ziert. Aber ich habe das gesamte Geld später wieder zurückgeza­hlt, ehrlich (lacht). Es war ein echtes Abenteuer: Ich habe in Jugendher‑ bergen übernachte­t und im Zug geschlafen. Auf dem Weg von Italien nach Barcelona wur‑ de ich im Nachtzug ausgeraubt. Als ich auf‑ wachte, war mein ganzes Gepäck weg. Irgend‑ wie ist es schon angenehm, dass ich mir heute einen Mietwagen leisten kann.

Sie sind in Kalifornie­n aufgewachs­en, stammen aus einfachen Verhältnis­sen.

Das stimmt. Ich komme aus der Arbeiterkl­as‑ se. Mein Stiefvater ist Feuerwehrm­ann, meine Mutter Köchin. Sie war lange alleinerzi­ehend und musste hart kämpfen, um uns drei Kinder durchzubri­ngen. Manchmal war unser Kühl‑ schrank einfach leer. Wir sind auch häufig um‑ gezogen, wenn sich andernorts ein besserer Job anbot. Meine Mom hat schwer geschuftet und war trotzdem immer für uns da. Das rechne ich ihr hoch an. Meine Kindheit hatte wirklich null Bezug zu Hollywood.

Wie kamen Sie also zur Schauspiel­erei? Warum sollte es dieser und kein anderer Beruf sein?

Ich war fünf oder sechs, als meine Großmutter mich zur Aufführung einer profession­ellen Theatergru­ppe mitnahm. Es fasziniert­e mich zu sehen, dass Leute von Berufs wegen auf der Bühne stehen. Das Stück begann damit, dass ein etwa zehnjährig­es Mädchen ein Buch öffnete und daraus vorlas. Ein Schein‑ werfer war direkt auf sie gerichtet. Und da wusste ich: Das will ich auch machen. Ab die‑ sem Moment habe ich, sooft es ging, in den Theaterstü­cken unserer Gemeinde mitgespiel­t.

Jahre später schafften Sie es an die renommiert­e Juilliard-schauspiel­schule. Al Pacino gilt als Ihr Mentor. Klingt nach einer Cinderella­story.

Ja, aber mit dem Unterschie­d, dass Cinderella die ganze Zeit über wartet. Sie sucht nicht nach der Glücksfee, sondern wartet, bis das Glück ihr den richtigen Schuh samt Prinzen bringt. Ich dagegen bin jemand, der nicht da‑ rauf wartet, dass die Dinge einfach passieren. Ich warte nicht auf das Glück, ich würde mich immer danach auf die Suche machen.

Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie schließlic­h mit Superstars wie Brad Pitt, Sean Penn und Al Pacino zusammenar­beiteten?

Ein bisschen misstrauis­ch. Meine Mutter fragte am Anfang oft: „Was machst du da eigentlich in Los Angeles? Du sagst, du ar‑ beitest, aber wir sehen nichts von dir.“Arme Mom! Dann kam sie mich mit meiner Groß‑ mutter im Theater besuchen, in dem ich mit Al Pacino „Salomé“spielte. Am nächsten Tag stand bei Oma ein Foto von sich und Al Pacino auf dem Nachttisch. Sie hat inzwischen auch tatsächlic­h einen Google‑alert eingericht­et, da‑ mit sie ja alles über mich mitbekommt. Das ist wirklich süß. Aber für meine Familie bin ich trotzdem nicht der große Star, sondern nach wie vor die Tochter, Schwester oder En‑ kelin. Das erdet mich.

Gibt es Dinge, die Sie gerne an sich ändern würden?

Ich bin ein Nimmersatt, neugierig auf alles, möchte dauernd etwas Neues machen. In den letzten Jahren bin ich von Drehort zu Dreh‑

ort gedüst, habe sogar mal zwei Filme parallel gedreht. Danach fühlte ich mich komplett leer. Ich brauche mehr Erho‑ lung, so wie Elizabeth Sloane.

Die Lobbyistin, die Sie in „Die Erfindung der Wahrheit“spielen. Die lebt in einem sterilen Appartemen­t, erledigt Sex per Callboy-abo und sieht stets makellos aus. Wie spielt man so jemanden?

Erst stellte ich mir Elizabeth ohne Make‑up vor und in fleckigen Klamotten, weil sie so von ihrer Arbeit besessen ist. Dann habe ich in Washington einige Lobbyistin­nen getrof‑ fen und realisiert, dass in diesem Beruf richtig viel Kohle verdient wird. Diese Frauen tra‑ gen teuerste Designerkl­eidung und schwarzen Nagellack. Ihr Äußeres strahlt Stärke und eine latente Aggressivi­tät aus. Immerhin ha‑ ben sie sich auf einem Männerterr­ain durch‑ gesetzt. Jemand, der mit Prostituie­rten schläft, keine Familie hat, jobfixiert ist und Kollegen schlecht behandelt – das klingt ja eher nach Mann. Wenn eine Frau so agiert, hat das gleich einen Schockeffe­kt.

Die legt sich im Film mit der starken Us-waffenlobb­y an. Besitzen Sie selbst eine Waffe?

Nein, aber meine Familie besaß Waffen. Als Kind war ich oft auf dem Schießstan­d und habe auf Pepsi‑dosen geschossen. Ich fand zwar nie wirklich Gefallen daran, war aber eine gute Schützin. Das hat mir immer bei meinen Rollen als Polizistin geholfen.

Sie sind bekannt dafür, sich ausgiebig auf Rollen vorzuberei­ten, jede Textzeile in- und auswendig zu beherrsche­n. Gibt es in Ihrem Leben noch andere Leidenscha­ften als die für Ihren Beruf?

Aber ja. Ich liebe es, im Garten zu werkeln und mit den Händen im Boden zu wühlen. Ich koche auch wahnsinnig gerne. Als ich ver‑ gangenes Jahr zwei Wochen freihatte, habe ich einen Kochkurs beim „Natural Gour‑ met Institute“in New York gemacht. Etwas mit den Händen zu erschaffen, Gerichte ab‑ zuschmecke­n und sie Freunden am Tisch zu servieren, das ist einfach großartig.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany