Jeden Tag ein bisschen Dolce Vita
Man blickt über den tiefblauen Gardasee, der von steilen Berghängen eingerahmt wird, der Duft von Zitronenblüten in der Nase, dazu ein kalter Spritz – so fühlt sich Urlaub an. freundin-autorin Saskia Engelhardt lebt seit vielen Jahren am Nordufer des Lago
freundin-autorin Saskia Engelhardt lebt am Gardasee und verrät ihre Lieblingsplätze
Mmit dem Auto schlängle ich mich die schmale Bergstraße nach Nago hinunter und sehe ihn schon in der Ferne glitzern: den Gardasee, eingerahmt von den steilen Hängen des Monte Baldo und Monte Rocchetta. Der Wind fegt über das dunkelblaue Wasser und schlägt Wellen – ein Paradies für Surfer, deren bunte Segel über den Lago flitzen. Bei diesem Anblick stellt sich bei mir sofort ein Gefühl von Glück ein – und von Heimat.
Seit 16 Jahren lebe ich nun schon im Norden Italiens. Auch wenn das niemals mein Plan oder Traum gewesen war: zu weit weg von meiner Heimat München, aber doch nicht exotisch genug. Immerhin wimmelt es am Lago di Garda jeden Sommer vor allem von Urlaubern aus Süddeutschland. Zum Klettern kam ich trotzdem immer wieder. Und, nun ja, mein Kletterlehrer von einst ist heute der Vater meiner drei Söhne. Und der Gardasee ist längst mein Zuhause geworden. Unser Familienhäuschen befindet sich hoch über Arco, im Norden des Gardasees. Wenn ich morgens die Gardinen aufziehe, sehe ich die engen Gassen des historischen Städtchens und den Monte Colodri mit seinen steil abfallenden Felswänden. Wie ein Adlernest krallt sich eine halb verfallene Burgruine hoch oben fest. Soweit das Auge reicht, wachsen hier Olivenbäume, deren Blätter silbrig in der Sonne schimmern. Fast 24 Stunden hört man es aus den OleanderBüschen und Zypressen leise zwitschern und zirpen, nur gelegentlich unterbricht das laute Krähen eines Hahns die idyllische Ruhe. Touristenscharen gibt es hier oben keine, höchstens ein paar Wanderer oder Mountainbiker, die interessiert über den Gartenzaun gucken.
Nach ihrer anstrengenden Tour durch die steilen, schmalen Straßen der umliegenden Berge werden die meisten von ihnen nach Arco fahren und durch die Altstadt des 18000-Einwohner-ortes flanieren – vorbei an den schmalen, alten Häusern, von denen die Farbe bröckelt, und den vielen kleinen Bars, in denen Aperol Spritz serviert wird. Ich selbst sitze mit meinem Mann am liebsten in dem wunderbar hergerichteten Palazzo aus der Zeit der Habsburger, in dem sich heute das vegane Restaurant „Veganima“befindet. Jeden Donnerstag ist dort Pizza-abend. Ich liebe die Pizza mit Avocado und glasierten Zwiebeln.
Hoch über dem Gardasee
Zeit für Entdeckungstouren bleibt mir in der Regel wenig – der Alltag wartet schließlich nicht auf mich. Doch jedes Jahr, wenn meine Freundin Susanne aus Berlin zu Besuch kommt, nutze ich die Gelegenheit, meine Wahlheimat mit ihr noch einmal mit neuen Augen zu sehen. Um eine ganz andere Perspektive auf den Gardasee zu bekommen, wollen wir den Monte Colodri über einen Klettersteig erklimmen. Mein Mann ist schon früh aus dem Haus, er wird heute abenteuerlustige Schweden beim Canyoning durch eine Schlucht führen und über Felsen rutschen. Meine Freundin und ich lassen es eher italienisch gemütlich angehen. Erst am frühen Nachmittag, wenn die meisten Touristen wieder unten im Dorf sind und sich im „Caffè Trentino“bei Lounge-musik mit einem Panino stärken, wandern wir den schmalen Pfad zum Klettersteig hinauf. Einen Bergführer brauchen wir für diese leichte Einsteigerroute nicht, dafür haben wir meine Jungs Camillo (9), Emiliano (8) und Valentino (6) zur Unterstützung dabei. Nach zwei Stunden haben wir den Gipfel auf 400 Metern Höhe erreicht. Der Ausblick ist atemberaubend: Das Blau des Sees scheint sich mit dem Horizont zu vereinen und man kann die Sonne fast über dem Wasser flirren sehen. Auch nach Jahren fasziniert mich der Tiefblick auf die Busa, wie die Einheimischen die Talebene nennen, wo der Fluss Sarca in den Lago mündet. „Dort drüben ist das Rifugio San Pietro“, sage ich und deute nach Westen. Die Berghütte mit ihrer Kapelle liegt auf einer riesigen Terrasse hoch über dem Gardasee und bietet einen herrlichen Panoramablick auf den Lago und den mächtigen Monte Baldo, der das Ostufer dominiert. Sehnsüchtig denke ich an die lockere, mit Beeren belegte „torta di ricotta“, die dort serviert wird, und beschließe, bald mit Susanne dort hinaufzuwandern.
Von hier oben sehen wir auch die vielen kleinen Städtchen am Ufer: Malcesine etwa mit seinen bunt gestrichenen Häusern. Oder das mondäne Riva del Garda. Hier erholten sich einst Intellektuelle wie Heinrich und Thomas Mann oder Sigmund Freud. Heute bestaunen betuchte Urlauber vor allem die eleganten Schaufenster in der Viale Dante Alighieri. Abends zieht der Duft von gegrilltem Fisch durch die schicke Fußgängerzone und Kellner mit üppig beladenen Tellern manövrieren elegant zwischen den
Tischen, die vor den vielen kleinen Osterien stehen, hindurch.
Ganz anders geht es im quirligen Garda am Ostufer zu, mit seinen wild bewachsenen Balkonen und vielen bunten Blumentöpfen, die hier überall scheinbar willkürlich auf Treppen und Stufen stehen. Ist man erst einmal durch die unzähligen Lä‑ den mit Schuhen, Sonnenbrillen und Strandkleidern gebummelt, lohnt sich ein Spaziergang an der Uferprome‑ nade. Die Geräuschkulisse: das Klap‑ pern von Löffeln, die in Cappuccino‑ tassen rühren oder versuchen, das letzte bisschen Eiscreme aus dem Be‑ cher zu kratzen. Hier sitze ich be‑ sonders gerne im „Giardino delle Rane“und genieße bei einem Glas Bar‑ dolino den Seeblick auf die Küste, die im Sonnenuntergang kitschig rosa leuchtet… Vielleicht ein guter Plan für den letzten Abend mit Susanne.
Noch stehen wir aber hoch oben auf dem Monte Colodri. „Wusstest du, dass man fast 160 Kilometer zu‑ rücklegen muss, um den See zu umrunden?“, frage ich meine Freun‑ din. Eine abwechslungsreiche Tour, auf der es mal süß nach Zitronenblü‑ ten duftet, mal nach frischen Kräu‑ tern – wie Rosmarin –, die am Weges‑ rand wachsen. Pinke Bougainvilleen ranken sich an den alten Mauern ve‑ nezianischer Palazzi empor und Scaligerburgen aus dem Mittelalter thronen herrschaftlich zwischen Pinienwäldern. Im Norden machen die Berge den Charme des Sees aus, im Süden sind es die breiten Strände.
Zeit zum Genießen
Nach einer guten halben Stunde Fuß‑ marsch erreichen wir wieder das historische Zentrum von Arco. Durch die verwinkelten Gassen mit herr‑ lich duftenden Obstauslagen und vielen Sportgeschäften, in denen bunt gekleidete Outdoor‑sportler nach Schnäppchen suchen, führen uns die Jungs zu ihrer jeweiligen Lieblings‑ Gelateria. Camillo und Valentino stehen auf Joghurt‑ und Nutella‑eis von „Tarifa“; Emiliano und ich mögen Super‑quark von „Gelato Mio“. Wir setzen uns auf eine klei‑ ne Bank in der Via Segantini in die Sonne und schlecken jeder ein Eis.
Am nächsten Tag habe ich kinder‑ frei und Susanne und ich machen uns auf den Weg nach Torbole, das für seine Surferszene bekannt ist. Aber auch shoppen kann man hier hervorragend. Im „Surf Planet 2“stöbern wir durch farbenfrohe Bade‑ outfits und sportliche Sweater. Anschließend besuchen wir noch meine Freundin Karin in ihrem schmucken Laden („Karin C.“) am Piazza Alpini und probieren Klei‑ der mit hübschen Applikationen und Jacken aus feinem Leder. Zeit für eine Pause: Mit unseren Einkaufstüten setzen wir uns runter an den See – hinter uns blüht eine Jasmin‑hecke, die einen betörenden Duft verströmt. Wir schauen den Enten zu, die auf ein paar Brotkrumen hoffen, und las‑ sen unsere Gedanken vom Wind davontragen. Ein paar Surfer nutzen die letzten Böen des Tages aus und flitzen über den See.
Als die Dämmerung sich über den See legt, gehen wir einen Aperitif trinken. Je röter der Spritz, je spritzi‑ ger und perlender, desto besser. In der „Wind’s Bar“kennt man uns be‑ reits: Susanne und ich werden mit einem überschwänglichen „ciao bella“begrüßt. Wir bestellen jede einen Aperitif und köstlichen „Caprese di Bufala“‑salat. Es ist spät, als wir nach Hause kommen. Wir sitzen noch einen Moment vor dem Haus, trin‑ ken einen Absacker. Grillen zirpen, ein Käuzchen ruft. Zufrieden atme ich die warme Nachtluft ein. Ist schon schön hier, denke ich. Und nehme mir vor, meine Wahlheimat öfter mit den Augen einer Urlauberin zu sehen.