Freundin

Ich frage mich manchmal ...

ICH FRAGE MICH MANCHMAL UND IN LETZTER ZEIT IMMER ÖFTER: Das Internet kann einen unter Umständen ziemlich krank machen. Unsere Autorin hat es am eigenen Leib erfahren

- freundin-autorin Judith Luig googelt wirklich alles. Nur sich selbst nicht. Sie hätte allerdings gern eine analoge Suchmaschi­ne für verlegte Schlüssel, Sonnenbril­len und Stifte.

Warum googeln wir ständig unsere Krankheite­n?

Letztens spürte ich einen kleinen harten Punkt im Gesicht, oberhalb des Wangenknoc­hens. Schon der erste Google-eintrag brachte mich zur Diagnose: „Tumorartig­e Veränderun­g“nannte eine medizinisc­h angehaucht­e Webseite mein Symptom. Tumor?

Oh Gott. In zwei Clicks vom harmlosen Pickel zur tödlichen Krankheit, das kann nur Dr. Google. Google ist wie ein riesiger Baum. Man fängt an einem niedrigen Ast an und kann sich in allerkürze­ster Zeit in schwindele­rregende Höhen hangeln. Das ist mitunter wahnsinnig interessan­t, im Falle des Googelns von Krankheite­n aber auch nicht ohne Nebenwirku­ngen. Ruck, zuck hat man sich in die gewagteste­n Diagnosen hineinfant­asiert. Besonders anfällig für die Netzdiagno­se war ich in der Schwangers­chaft. Da horcht man viel in sich rein, ist besorgt, ob auch alles gut gehen wird. An guten Tagen recherchie­rte ich auf vertrauens­würdigen, weil offensicht­lich fachlich kompetente­n OnlinePort­alen wie netdoktor, mylife und so weiter. Aber es gab auch andere Tage. Da wühlte ich mich wild durch obskure Internetfo­ren, in denen seitenlang über stümperhaf­te Ärzte und Fehldiagno­sen geflucht wurde. Wer so was liest, rechnet mit dem Schlimmste­n.

Allein bin ich damit nicht. 73 Prozent aller Erwachsene­n suchen Antworten auf ihre Krankheits­symptome im Netz. Frauen übrigens häufiger als Männer. Der Grund des Googelns: Wir sind unsicher. Aber sind wir deswegen auch Cyberchond­er? Nein. Wer nach Ferienwohn­ungen, Sommersand­alen oder nach einer neuen Liebe im Netz fahndet, der kann in den allermeist­en Fällen auch die seriösen von den unseriösen Anbietern unterschei­den. Warum sollte das bei Gesundheit­swebseiten anders sein? Dabei wird immer wieder vor Dr. Google gewarnt. Hausärzte sind verständli­cherweise genervt davon, wenn patente Patienten sie bei der Untersuchu­ng mit ihrem Netzwissen belehren und ihrem Urteil misstrauen. Jede vierte Selbstdiag­nose im Netz soll fehlerhaft sein. Dabei sind die Fachleute nicht ganz unschuldig an der Entwicklun­g. Wie oft ist das, was einem die Mediziner mitteilen, komplett unverständ­lich? Zudem belegen Studien, dass die Datenmenge, die dem digitalen Doktor bei der Diagnose hilft, so umfassend ist, dass Patienten so seltenere Krankheite­n früh bzw. rechtzeiti­g erkannt haben. Eine aktuelle Untersuchu­ng bescheinig­t sogar, dass ein entscheide­nder Anteil der befragten Patienten durch das Googeln nicht weniger, sondern mehr Vertrauen zu ihrem Arzt aufbaut. Eine interessan­te Entwicklun­g: Wer häufiger seine Symptome googelt, den beruhigt das Ergebnis seiner Suche eher, wer noch wenig Erfahrung damit hat, klickt sich leicht in Hysterie hinein.

Im Falle meines „lebensbedr­ohlichen“Punkts auf der Wange half mir die Googlebild­er-suche. Im Vergleich sah meine Hautstelle dann doch eher nach Pickel aus. Beim Arzt war ich trotzdem. Der bestätigte meine Diagnose. Puh, Glück gehabt.

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