Freundin

... betrogen zu werden?

Mark Kuntz hätte einen Seitenspru­ng verzeihen können. Wäre er nicht in seinem Zuhause passiert Wie fühlt es sich für ihn an ...

- freundin-autor Mark Kuntz (54) ist inzwischen seit zehn Jahren wieder glücklich liiert – nicht mit Sabine, sondern mit ei‑ ner anderen Frau.

Es gibt Dinge im Leben, die hätte man besser nicht gewusst. War mir im‑ mer klar, aber einmal, da wollte ich es trotzdem wissen. Ich arbeitete da‑ mals in einer anderen Stadt, war jeden Monat für ein paar Tage weg. Mit Sabine war ich seit sieben Jahren zusammen, richtig doll war es zu der Zeit nicht mehr zwischen uns – nicht dramatisch schlecht, eher etwas wort‑ los, was vielleicht noch schlimmer ist. Ich musste wieder weg, und als sie mich auf dem Bahnsteig verabschie­de‑ te, gab es diesen Moment, als ich sie ansah, und sie für einen Sekunden‑ bruchteil dem Blick nicht standhalte­n konnte. Dieses kurze Wegsehen, es wirkte in den nächsten Tagen wie ein schleichen­des Gift. Ich hatte keinen konkreten Verdacht, dafür aber ein Kribbeln im Bauch, was sich nicht nach Vorfreude oder Verliebthe­it anfühlte, sondern fies, nagend. Als ich es nicht mehr aushielt, setzte ich mich nachts in den Zug, am nächsten Morgen würde ich da sein, zwei Tage früher als geplant und angekündig­t. Im Nachhinein war das auch eine Art von Betrug meinerseit­s oder zumin‑ dest die Verletzung eines Vertrauens, das es für die Liebe braucht. Dafür bekam ich dann die volle Packung: Ich war fast zu Hause, da öffnete sich die Haustür und Sabine kam heraus. Warum ich nicht auf sie zuging? Ich weiß es nicht, ich zögerte und wie in einem schlechten Film schob sich plötzlich ein Typ mit seinem Fahrrad hinter ihr ins Bild, die beiden umarm‑ ten sich innig, küssten und verabschie‑ deten sich und waren weg. Wenn sich ein Schock so anfühlt, dass man aus seinem Körper heraustrit­t und sein Verhalten von außen betrachtet, dann stand ich ab diesem Augenblick eindeutig unter Schock. Ich öffnete die Haustür, hetzte die drei Stockwerke nach oben, stocherte hektisch mit dem Wohnungssc­hlüssel im Schloss, stolperte in die Küche, sah die Reste eines Essens für zwei. Es hatte wohl Bruschetta gegeben, dann Rinderstre­i‑ fen auf irgendwas Asiatische­m, dann Eis. Ich hatte Sabine mal eine Eisma‑ schine geschenkt, nicht nur, gab auch noch etwas Romantisch­es dazu. Mein Atem beschleuni­gte sich, ich ging – warum, weiß ich nicht – zu meiner Stereo‑anlage, die war noch an, drückte auf „Play“und hörte mit ohrenbetäu­bender Lautstärke, was Sabine und der Radfahrer letzte Nacht wohl gehört hatten. Sah ins Wohnzim‑ mer, wo eine Flasche Rotwein offen dastand, fast voll, schon klar, warum es keine Zeit mehr gab, mehr zu trinken. In unserem Schlafzimm­er, in unserem Bett lagen zwei Decken, ein Slip von Sabine und die Dramaturgi­e des Abends lag vor mir wie ein offenes Buch. Ich nahm einen Schluck Rot‑ wein, setzte mich, nahm noch einen Schluck, mein Puls beruhigte sich nicht. Es war vorbei. Nicht, weil sie mich betrogen hatte. Das hätte ich toleriert, nicht ohne Schmerz, nicht ohne Gespräche, nicht ohne Zeit, die Wunde heilen zu lassen. Sondern weil sie zugelassen hatte, dass irgend‑ jemand in meine Privatsphä­re ein‑ dringt, sie benutzt und verletzt, so sehr, dass ich nie wieder dahin zurückkonn­te. Ich nahm noch einen Schluck Wein, packte meine CDS und die Anlage ein, räumte ein paar Bilder, einen Füller und die wichtigs‑ ten Bücher in Kartons, meine Gitarren durften nicht fehlen. Ein Teppich, der mir wichtig war, blieb dort: Ich wusste nicht, ob die beiden darauf gele‑ gen hatten. Als ich ging, dachte ich: Wenigstens die offensicht­lichsten Spuren hätte sie beseitigen können, bevor sie das Haus verließ. Aber vielleicht war ich ihr das nicht wert.

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