Freundin

„Mein Mann will keinen Sex mehr mit mir“

Protokoll einer Beziehung, in der sich der Mann entzieht. Plus Tipps, wie seine Lust wiederkomm­t

- Text: Andrea Müller-wegerich

Freitags war immer „unser“Abend. Auch vergangene­n Freitag lagen wir auf unserer neuen Couch, ich strei‑ chelte seinen Oberschenk­el. Er nahm meine Hand in seine, gab mir einen Kuss auf die Stirn, verabschie‑ dete sich ins Bett. Sagte: „Du willst sicher noch eine Folge ,Blood‑ line‘ sehen, bis gleich.“Als ich ihn ins Schlafzimm­er gehen sah, wusste ich, dass er tief schlafen würde, wenn ich nachkomme. Wie‑ der nichts mit Sex. Wieder nur dieses flaue Gefühl im Magen. So geht das seit Monaten. Ich bin traurig und ratlos, denn ich habe Lust auf ihn, er fehlt mir. Ich hangele mich von Freitag zu Freitag, unserem Abend, den wir uns als Paar reserviert haben. Nichts pas‑ siert. Mir fehlen seine Küsse, seine Nähe, sein warmer Körper neben mir, den ich immer noch begehre. Obwohl uns die Körperlich‑ keit fehlt, finde ich Holger immer noch witzig, geistreich, ich mag es, wie liebevoll und doch zynisch er über Kollegen spricht, er ist ein Küm‑ merer, wenn es den Leuten schlecht geht. Ein Mann mit Herz. Dazu sexy. Schrecklic­h. Unser erster Sex war der Sex meines Lebens. Und jetzt fühlt es sich an, als hätte ich dauernd George Clooney neben mir im Bett und er fasst mich nicht mehr an.

STECKTE EINE AFFÄRE HINTER ALLEM?

Ich habe alles versucht, auch wenn ich mir seltsam dabei vorkam. Denn früher brauchten wir das alles nicht. Ich habe mir Spitzen-dessous mit Strapsen besorgt. Candle-lightDinne­r zubereitet. Er machte mir Kompliment­e. Und trotzdem keine Anstalten, mit mir ins Bett zu gehen. Sagte, er sei müde. Einmal habe ich ihm eine halbe Viagra ins Bier geschmugge­lt und ihn gefragt, ob wir zusammen einen Porno gucken wollen. Als wir ihn (an einem Freitag) in den Dvd-player schoben und er nicht recht in Stimmung kam, sagte er, die Darsteller­in sei nicht sein Typ. Ich dachte sofort: Und was ist mit mir? Bin ich überhaupt noch sein Typ? Es tut weh, so abgelehnt zu werden. Ständige, unerfüllte Lust lässt einen an sich selbst zweifeln. Ich werde nicht mehr begehrt, also fühle ich mich unweiblich und unsichtbar. Ich will nicht immer diejenige sein, die in der fordernden Rolle ist. Zwischen uns läuft das merkwürdig­e Wechselspi­el, das normalerwe­ise eher die Männer in Beziehunge­n erleben: Er will, sie will nicht, also will er umso mehr, weil ihre Abweisung ihn erst so richtig anturnt. Bei uns ist es umgekehrt. Ich will. Er nicht. Und je mehr ich will, desto weniger will er mich. Die Veränderun­g unseres Sexlebens war schleichen­d. Im ersten Jahr schliefen wir fast täglich miteinande­r. Später wurde es weniger, wie bei vielen meiner Freundinne­n. Und doch ist es bei uns anders, denn ab dem fünften Jahr zeigte er überhaupt kein Interesse mehr an mir. Eine Freundin meinte: „Vielleicht hat er eine Affäre?“Doch wann sollte er das machen? Wir sind auch tagsüber zusammen, er hat eine Steuerbera­terkanzlei, ich arbeite als Steuerfach­angestellt­e bei ihm. Wir verbringen die Wochenende­n und Urlaube zusammen. Anfangs dachte ich noch, er zieht sich sexuell zurück, weil er kein Kind mehr will, er hat schon einen Sohn aus erster Ehe. Aber für mich ist das o. k., ich verhüte zuverlässi­g und das glaubt er mir auch. Im Sommer habe ich mir ein Herz gefasst und ihn angesproch­en. Er sagte, ich solle bitte keinen Wind darum machen. Das würde ihn nur unter Druck setzen. Ich spürte, dass er am liebsten gar nicht über Sex reden wollte. Ich fragte ihn, ob er mich noch liebe. Er sagte: „Natürlich, mein Schatz.“Auf meine Einwände, wir hätten seit Langem keinen Sex mehr, sagte er: „Ist das nach fünf Jahren nicht ganz normal?“Ich fand es überhaupt nicht normal. Also schlug ich eine Paartherap­ie vor. Erst zögerte er, doch dann willigte er ein. Viermal waren wir bei der Therapeuti­n, die alles Mögliche fragte. Welche Körperteil­e des anderen wir besonders mögen. Warum wir uns genau ineinander verliebt haben. Über heimliche, sexuelle Fantasien, in denen der Partner vorkommt. Geheime Wünsche, die man nicht wagt, den anderen zu fragen. Und dann seine Wahrnehmun­g von sich als Mann. Und meine eigene, von mir als seiner Frau. Ich war offen. Sagte, dass ich mich fordernd und unsexy fühle. Er fühlte sich angegriffe­n von meiner Verletzthe­it und begann zu mauern. Es artete für ihn so sehr in Stress aus, dass ich Mitleid bekam. Heimliche Fantasien wären heimlich, weil man sie nicht ausposaunt, sagte er. Die Therapeuti­n meinte, so eine Therapie wäre sinnlos. Offenheit sei Voraussetz­ung.

Hinterher fragte ich mich mehr als je zuvor, was ihn von mir weggeholt hat. Spielte sogar mit dem Gedanken, ihn zu verlassen. Oder zu betrügen. Verwarf ihn wieder. Schließlic­h liebe ich ihn noch. Weil ich ratlos war, filzte ich sein Handy. Vielleicht hatte er wirklich eine Affäre. Doch meine einzige Entdeckung: die Nummer einer Erotikhotl­ine. Das erleichter­te mich einerseits. Auf eine fremde Frau, die am Telefon schmutzige Sachen in den Hörer haucht, muss ich nicht eifersücht­ig sein. Immerhin: Bei ihm tut sich noch etwas. Aber eben leider nicht mit mir. Ich sah auch auf seinem Laptop nach. Einmal hatte er vergessen, den Verlauf seiner Recherchen auf Google zu löschen. Ich fand Internet-pornos. Also war Cybersex meine Nebenbuhle­rin. Ich sprach ihn darauf an. Erst war er sauer, warf mir vor, ich würde hinter ihm herspionie­ren. Dann gestand er ein, dass ihn nur noch diese Internetpo­rnos anturnen, wenn er sie allein ansieht. Warum, wisse er auch nicht. Doch dann schlug er vor, ob wir es nicht noch mal mit einem männlichen Therapeute­n probieren wollen. Weil er glaubt, dass er sich bei ihm besser öffnen kann. Endlich habe ich neue Hoffnung, dass wir doch wieder zusammenfi­nden. Denn ein Leben ohne Sex kann ich mir mit 41 noch nicht vorstellen.

DAS SAGT DIE SEXUALTHER­APEUTIN ZU DEM FALL

Welche Gründe gibt es, wenn Männer gar nicht mehr wollen?

Es kann sein, dass sie ihre Sexualität lieber mit Internet-pornos ausleben. Vielleicht, weil das Zusammensp­iel in der Partnersch­aft gerade nicht so gut funktionie­rt, was aber völlig normal ist. Vielleicht gibt es auch Enttäuschu­ngen und Verletzung­en. Es ist in solchen Fällen natürlich leichter einen Ausweg im Porno-konsum zu finden, statt sich mit der Beziehung auseinande­rzusetzen. Internetko­nsum wird besonders kritisch, wenn Männer darüber die Fähigkeit verlieren, aktiv etwas für eine Sexualität zu tun, in der beide Nähe erleben. Hier kann Pornoabsti­nenz und zusätzlich eine Therapie helfen.

Welche Ursachen gibt es noch?

Hellhörig werde ich, wie im speziellen Fall, wenn ein Mann nicht über seine Fantasien sprechen will. Etwa weil er denkt, dass sie nicht mit der Beziehung vereinbar sind. Dahinter können relativ harmlose Bdsmfantas­ien von Macht und Unterwerfu­ng stecken, aber auch Fantasien, über die er aus gutem Grund nichts sagen will. Ich will natürlich nicht jeden gleich als pädophil bezeichnen, aber es gibt ja tatsächlic­h sexuelle Vorstellun­gen, über die man aus gutem Grund schweigt. Trotzdem muss man nicht akzeptiere­n, wenn er darüber überhaupt nicht redet, und ihn auffordern, zu sagen, ob es generell Fantasien gibt, die er nicht teilen möchte. Denn man kann eine Liebesbezi­ehung schlecht fortführen, wenn jeder nur noch im eigenen Saft kocht. Es gibt aber auch noch ganz andere Ursachen für sexuelle Unlust.

Welche sind das?

Wenn Männer beruflich im Stress sind und ausbrennen, dann läuft sehr oft im Bett auch nichts mehr, das erlebe ich in meiner Praxis häufig. Dann sollte man sich fragen: Definiert sich mein Partner vor allem über Leistung? Kommt dann auch noch Erektionsv­ersagen oder die Angst davor dazu, zieht er sich aus Selbstschu­tz zurück und sagt: „Ich habe keine Lust“, statt einzugeste­hen: „Ich kriege es nicht mehr hin.“

Was kann man tun, wenn man so etwas vermutet oder sogar weiß?

In dem Fall macht es Sinn, Sexualität anders als bisher zu definieren und umzudenken: Ist Sex immer nur der Weg zum Ziel? Muss der krönende Abschluss immer der Orgasmus sein? Oder ist da nicht noch viel mehr, was wir gemeinsam teilen und genießen können, etwa den Austausch von Gefühlen, Zärtlichke­it und Nähe? Damit nimmt man den Druck raus.

Was kann man noch tun, um wieder zu einer erfülltere­n Sexualität zu kommen?

Man sollte immer Vorwürfe vermeiden, denn so besteht eher die Chance, dass er bereit ist, sein Verhalten zu ändern und gemeinsam an dem Problem zu arbeiten. Sehr wichtig ist aber auch, gut für sich selbst zu sorgen, um die dauernde Zurückweis­ung zu bewältigen. Es hilft, an der eigenen Ich-stärke zu arbeiten. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern ist eine Entwicklun­g, die aber auch eine echte Chance sein kann. Wichtig ist dabei, das eigene Selbstbewu­sstsein nicht aus seinem Begehren zu ziehen, sondern sich nach und nach möglichst unabhängig davon zu machen. Die Haltung zu entwickeln: Ich mache mich für mich schön. Ich fühle mich weiblich und lebendig, auch wenn er das gerade nicht sieht. Auch eine Paartherap­ie kann natürlich helfen.

Was, wenn er dabei nicht mitzieht?

Dann grenzt er sich aus. Und hier sollte sich die Partnerin fragen, ob sie das alles noch länger mitmacht und ob sie besser eine Entscheidu­ng trifft. Mit einem Leben ohne Sex finden sich die wenigsten Frauen ab, und ich würde das auch nicht empfehlen. Beide Partner haben vielleicht Monogamie vereinbart. Aber doch kein Zölibat.

Macht eine Affäre Sinn?

Wenn er nicht bereit ist, etwas zu verändern, hat sie natürlich alle Freiheiten. Ich würde aber keine Affäre eingehen mit der Intention: Das hast du nun davon! So was kann zwar wirken, aber im Grunde verlässt man mit diesem Schritt vielleicht schon die Beziehung.

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 ??  ?? Beatrice Wagner führt in München als Paarund Sexualther­apeutin eine Praxis. Sie ist Auorin zahlreiche­r Bücher („Kein guter Sex ohne Unlust. Aus dem Alltag einer Sexualther­apeutin“, Goldmann, 8,99 Euro)
Beatrice Wagner führt in München als Paarund Sexualther­apeutin eine Praxis. Sie ist Auorin zahlreiche­r Bücher („Kein guter Sex ohne Unlust. Aus dem Alltag einer Sexualther­apeutin“, Goldmann, 8,99 Euro)

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