Wie gelingt das weltbeste Schnitzel?
Diese Frage haben nicht nur wir uns oft gestellt, sondern auch freundin-autorin Okka Rohd, als sie für ihr neues Buch Lieblingsrezepte sammelte. Antworten bekam sie von einem österreichischen Schnitzelprofi, die wir natürlich mit Ihnen – in einem exklusiv
Mein Mann ist Österreicher. Ich habe viel von ihm gelernt. Zum Beispiel, dass man gleichzeitig nett und muffig sein kann, dass sich ziem‑ lich jede Zumutung mit einem „Geh, bitte!“anraunzen lässt, dass Aprikosen keine Marillen sind und man ohne die Redewen‑ dung, „das geht sich (nicht) aus“nicht wirklich gut durchs Leben kommt. Nur eines hat er mir nie beigebracht: wie man Wiener Schnitzel macht. „Geh bitte“, sagt er, „warum solltest du Wiener Schnitzel machen, wenn du mich hast, außerdem wirst du eh nie ver‑ stehen, was ein Wiener Schnitzel zu einem Wiener Schnitzel macht.“Dann legt er seine Stirn in dramatische Falten und zählt mein Sündenregister auf: dass ich nichts dabei finde, mein Schnitzel mit Ketchup in Kontakt zu bringen (was wahr ist und wirklich gruselig) und ich meinen Kartoffelsalat gerne mit Joghurt und gehackten Essiggurken esse (was wahr ist und wirklich großartig schmeckt). Oder dass wir Deutschen es nicht hinbekom‑ men, ordentliche Semmelbrösel anzubieten. Dafür kann ich persönlich zwar nichts, in mei‑ ner Eigenschaft als Deutsche aber sehr wohl.
Ich fragte also nicht ihn, sondern Ernst Schleich nach seinem Schnitzelrezept. Über das Schnitzel von Herrn Schleich wurde mir ausführlich vorgeschwärmt. Und er ist bei der österreichischen Botschaft in Berlin beschäf‑ tigt und kümmert sich dort ums Veranstal‑ tungsmanagement. Er hat also erstens einen Ruf als Schnitzelkoch (den mein Mann nicht hat), und seine Schnitzel sind gleichsam diplo‑ matisch, ein Gruß aus der österreichischen Staatsküche, besser ging es einfach nicht. Ich musste ihn einfach nur dazu überreden, mir das Panieren und die Geheimnisse des wirkli‑ chen Kartoffelsalates beizubringen. Damit würde ich den Herrn Gemahl beschämen (und hoffentlich erfreuen). Dann stellte sich heraus, dass ich Herrn Schleich gar nicht überreden musste. „Gern“, sagte er, „gar kein Problem, das bringe ich Ihnen bei“. Eines schönen Früh‑ sommerfreitagnachmittags stand er dann in unserer Küche. Herr Schleich, den zu duzen mir nie in den Sinn gekommen wäre, hatte sogar Semmelbrösel mitgebracht. Wahrschein‑ lich sind die Semmelbrösel das Wichtigste am Wiener Schnitzel. Aus ihnen wird die das Fleisch umhüllende goldene Panade, wie der Piefke, also ich, sagt. Der Österreicher sagt Panier, und der Österreicher, den ich liebe, hatte so lange über das Paniermehl gejammert, das man hier bekommt, bis ich ihm irgend‑ wann Panko vorgeschlagen hatte – die Brot‑ krümel also, in denen die Asiaten Gemüse panieren, und die es bei uns um die Ecke gibt. Das klappte ganz gut. Möglicherweise wa‑ ren sie ein wenig zu groß, aber immerhin nicht so klein und sandig, dass alles zu matschen begann. Seitdem gab es öfter Schnitzel. Wenn auch nicht die echten mit Semmelbröseln.
Dafür war jetzt Herr Schleich da. Er kannte eine Bäckerei in Berlin, die anständige Semmelbrösel machte – aus altem, geriebe‑ nem Weißbrot. Wir würden also echte Wiener Schnitzel machen. Staatsschnitzel, die so schmecken würden wie 1902 in der Hofburg oder sonntags bei Sigmund Freud, ein Ge‑ richt, für dessen Geschmack und Zubereitung eherne Regeln gelten, die man zu respektie‑ ren hat. Ein Mahl, das so bedeutsam für die österreichische Seele ist, dass man, wie Herr Schleich es an diesem Nachmittag sagte, den Adler im Staatswappen auch durch ein Schnitzel ersetzen könnte.
Das Fleisch: Kalbsschnitzel, dünn geschnit‑ ten. Ich hielt ihm schon den Fleischklopfer hin, den mein Mann einmal angeschafft hatte, aber Herr Schleich schüttelte energisch den Kopf. „Nein, tschuldigens, der Fleischklopfer geht gar nicht.“Der Fleischklopfer hatte näm‑ lich Spitzen, die die Fasern des Schnitzels zerstören würden, und wer bitte möchte ein fasertief zerstörtes Schnitzel essen? (Es war der Moment, in dem ich innerlich ein klitze‑ kleines bisschen zu triumphieren begann: Ich wusste jetzt schon mehr über das Schnitzel als der Österreicher, mit dem ich lebe, der nämlich immer ganz ungerührt mit dem Fleischklopfer ins Fleisch gehämmert hatte). „Und jetzt?“, wollte ich wissen. Er ließ sich unsere kleine Stielkasserolle geben. Dann klopfte er das Fleisch mit deren Boden platt. In seiner Küche hätte er es mit einem Fleischplattierer gemacht, aber der Topf ging auch, Hauptsache, das Fleisch bekam
❞ Wahrscheinlich sind die Semmelbrösel das Wichtigste am Wiener Schnitzel
es mit einer glatten Oberfläche statt mit faser‑ vernichtenden Riffelungen zu tun. Das Schnitzelklopfen, hatte mein Mann mir üb‑ rigens oft erzählt, war jenes Geräusch, das ihn immer an Wien erinnerte. „Jeden Sonntag, wenn du durch ein Mietshaus gehst, hörst du, wie die Menschen in ihren Küchen Schnitzel klopfen.“Und so, wie er das erzählte, klang es sehr poetisch. Dabei hat das Schnitzelklop‑ fen einen ganz sachlichen Grund: Die Schnitzel müssen dünn sein. Man muss es schaffen, das Fleisch in derselben Zeit durchzubacken, wie die Panier braucht, den vorgeschriebe‑ nen Goldton anzunehmen. Es dürfen ja weder das Schnitzelfleisch halbroh bleiben noch sein goldener Mantel verbrennen. „Wie dünn genau?“, fragte ich also. „Sieben Millimeter“, sagte Herr Schleich. Es gibt auch Köche, die behaupten, es dürften höchstens 3 Milli‑ meter sein, andere sprechen von 4 Milli‑ metern, wieder andere schwören, das perfekte Wiener Schnitzel habe eine Dicke (oder vielleicht eher: Dünne) von 5 Millimetern.
Als die Schnitzel 7 Millimeter dünn waren, setzte eine lange perfektionierte Choreogra‑ phie ein. Herr Schleich nahm ein Stück Fleisch, zog es liebevoll durch einen tiefen Teller mit Mehl, wendete es, zog es noch einmal durchs Mehl, schüttelte das überflüssige Mehl ab, sehr sachte; er zog das Fleisch durch einen zweiten, tiefen Teller, in dem er 3 Eier sorgsam mit einer Gabel verschlagen und gesalzen hatte; dann wälzte er es in einer Auflaufform voller Semmelbrösel, ganz zart nur. Er klopfte die Brösel nicht fest, weil das ein un‑ verzeihlicher Fehler gewesen wäre, die Pa‑ nier sollte sich ja wellen – „soufflieren“nannte Herr Schleich das. Sie sollte das Schnitzel nicht einsperren wie eine zu enge Wurstpelle, sondern das Fleisch so locker umhüllen wie ein perfekt sitzender Trenchcoat. Dann kam das Schnitzel auch gleich schon in die Pfan‑ ne, in der er zuvor eine ganze Flasche Pflan‑ zenöl erhitzt hatte. Richtig, eine ganze Fla‑ sche. „Das Schnitzel“, sagte Herr Schleich und machte eine kurze Pause, „muss schwimmen“. Und damit es gut schwimmen kann, muss genügend Öl in der Pfanne sein, zwei bis drei Zentimeter hoch muss es stehen, und es muss heiß genug sein, sonst wird alles mat‑ schig – aber nicht so heiß, dass das Schnit‑ zel verbrennt. Herr Schleich maß die korrekte Temperatur mit einem einfachen Trick: Er formte einen der Brösel, die sich beim Panieren an seinen Fingern gesammelt hatten, zu einer kleinen Kugel und warf sie ins Öl. „Wenn sie zischend hoch geht, ist das Öl zu heiß, dann muss man es ein wenig herunterkühlen lassen. Taucht sie einfach unter, ist das Öl noch zu kalt“. Man kann, soweit ich das nachgelesen habe, auch einen befeuchteten Holzspieß in das erhitzte Öl tauchen – steigen dann schnell Bläschen auf, ist die Temperatur korrekt.
Gleich nachdem das Schnitzel in die Pfan‑ ne gelegt worden war, begann Herr Schleich an derselben zu ruckeln, nicht ruppig, eher aus dem Handgelenk heraus. „Das dient dem Soufflieren“, sagte er. Das Öl sollte ein wenig verteilt werden und das Schnitzel sich nicht faul niederlassen. Nach anderthalb Minuten wurde es gewendet, er erkannte den richtigen Zeitpunkt nicht nur an der goldbraunen Farbe, sondern auch daran, dass das Schnitzel jetzt anders klang. „Das Schnitzelbraten hat viel mit Gehör zu tun“, sagte er. „Hören Sie“. „Jetzt“. Und ich bilde mir ein, dass das Pfannenbrutzeln tatsächlich anders klang als am Anfang des Schnitzelbratens, es wird nämlich immer höher. Er drehte das Schnitzel um. Rüttelte wieder ein wenig. Nahm es schon nach einer Minute aus der Pfanne, weil es goldbraun und richtig war, und bettete es auf einem Teller mit Küchenkrepp, um das überschüssige
❞ Das Schnitzel, sagte Herr Schleich und machte eine kurze Pause, muss schwimmen.
Öl aufzufangen. Das Schnitzel sollte ja nicht fettig, sondern knusprig sein.
„Was für ein Prachtstück“, dachte ich und sagte es auch schon. Die Hülle hatte sich ein wenig gewölbt und Blasen geworfen, und sie leuchtete golden wie ein neuer Sommer‑ tag. „Wollens kosten?“, fragte Herr Schleich. Ich nickte. Herr Schleich schnitt es auf, unser erstes gemeinsames Schnitzel, das er Probierschnitzel nannte. „Es ist wichtig“, sagte er, „dass es immer ein Probierschnitzel gibt.“Er schnitt einen Bissen ab und gab ihn mir. „Gut“, fragte er. „Ein Gedicht“, sagte ich. Er lächelte.
Nun ging es weiter. Ein Schnitzel nach dem anderen wanderte in die Pfanne, aber nie mehr als zwei gleichzeitig. Sie wurden gerüt‑ telt, gewendet, erneut gerüttelt, auf Küchen‑ krepp getrocknet und dann im Backofen bei 50 °C auf einem mit Küchenkrepp ausgelegten Rost warm gehalten, bis unser Schnitzelberg fertig war. „Wer soll das alles essen?“, fragte ich. „Sie werden schon sehen“, antwortete Herr Schleich. Und dass es auch wichtig sei, immer ein paar Reserveschnitzel zu ma‑ chen, für die sich beim Schnitzelessen unwei‑ gerlich einstellende Schnitzelgier.
„Essen ist fertig!“rief ich, und mein Mann und meine Tochter, die schon lange gelitten hatten, weil der Duft aus der Küche ihre Gier immer weiter angefacht hatte, saßen eine Se‑ kunde später am Esstisch, mit gezückten Messern und Gabeln. Glücklich sahen sie zu, wie auf jedem Teller ein Schnitzel, eine Por‑ tion Kartoffelsalat, eine Portion Gurkensalat, eine liebevoll eingedrehte Zitronenscheibe und ein Klecks Preiselbeeren Platz nahmen. Noch glücklicher waren sie darüber, dass der Schnitzelberg weiterhin riesig war, es gab ja noch jede Menge Reserveschnitzel.
Dann saßen wir da und sprachen über Gott und die Welt, vor allem über die Welt. Herr Schleich erzählte von seinen Jahren in Moskau und Paris und von Berlin, wo er nun schon seit Eröffnung der Botschaft 2001 als Angestellter arbeitet. Nebenbei aßen wir den Schnitzelberg kleiner. Es war einer dieser Abende, die noch lange bei einem bleiben und an die man sich immer mit einem Lächeln erinnert, nicht bloß wegen der göttlichen Schnitzel, auch wegen des Mannes, der sie für uns gekocht hatte.
„Und“, fragte ich, nachdem Herr Schleich wieder gegangen war. „Das beste Schnitzel, das ich je hatte“, sagte mein Mann. „Kann ich jetzt auch machen“, sagte ich (obwohl ich natür‑ lich wusste, wieviel Übung es mich kosten würde, meine Schnitzel‑choreographie auf ein ähnliches Eleganzniveau wie das von Herrn Schleich zu bringen). „Frau meines Lebens“, sagte er. „Ach, ihr Österreicher“, sagte ich, „ich mag euch ja so“. „Du willst doch immer nur unsere Schnitzel“, sagte er. Dann mussten wir lachen.